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„He, Minnesänger!“ donnerte eine tiefe Stimme. „Komm sofort zu meinem Herrn!“

Rod schlüpfte in sein Wams und griff nach der Harfe. Er riß die Tür auf und versuchte, ganz wach zu werden, nach dem kärglichen Schlaf, der ihm vergönnt gewesen war. „Ihr brauchtet zu dieser frühen Stunde nicht ganz so stürmisch zu sein“, brummte er. „Wer, zum Teufel, ist überhaupt Euer Herr?“

Eine schwere Faust traf Rod unter dem Ohr und warf ihn an die Wand. Er kämpfte gegen das Verlangen, dem Burschen den Hals umzudrehen. Durch dichte Nebelschleier hörte er ein sadistisches Kichern. „Überleg dir deine Worte, wenn du zu Höheren sprichst, Harfenzupfer!“

Rod richtete sich an der Wand auf und schätzte seinen Peiniger ab. Er war ein gewöhnlicher Fußsoldat in schmutzigem Lederwams und nicht weniger schmutzigern Kettenhemd, mit abstoßendem Körpergeruch und dazu noch fauligem Atem von den verrottenden Zähnen, die er in einem selbstzufriedenen Grinsen fletschte.

Rod seufzte. Es war besser, seine Rolle zu spielen. Den Schlag hatte er verdient, weil er aus dieser Rolle gefallen war. Der Minnesänger diente hier auch zur Abreagierung aggressiver Gefühle. „Na gut“, murmelte er. „Ich werde mir meine Worte überlegen.“

Diesmal traf die Faust ihn unter dem Kinn. Während er zurücktaumelte, hörte er: „Du hast wohl vergessen, daß man seinen Höheren mit Herr anspricht!“

Rods Handkante schlug dreimal blitzschnell zu. Das war ihm doch zuviel gewesen. „Ich würde mich erst mal vergewissern, wer der Höhere ist. Und jetzt führ mich zu deinem Herrn!“ Der Herr war, wie sich herausstellte, Lord Loguire. Er saß am Kopfende eines riesigen ovalen Tisches in der Mitte eines mit prächtigen Wandteppichen behangenen Gemachs. Zu seiner Rechten hatte sein ältester Sohn Platz genommen, zu seiner Linken Durer. Die anderen Stühle waren von acht Männern belegt, die Rod bekannt vorkamen. Seine Augen weiteten sich, als ihm klar wurde, daß es vier der Hohen Lords — Herzog di Medici, Graf Romanoff, Herzog Bourbon und Prinz Habsburg — mit ihren Ratgebern waren. Nach Loguire waren sie die mächtigsten der Hohen Lords. Und wenn diese fünf sich hier versammelt hatten, mochten die restlichen sieben da nicht ebenfalls in der Nähe sein?

Der Tisch war zum Frühstück gedeckt, aber keiner von den Anwesenden aß mit Genuß. Anselm, beispielsweise, Loguires Sohn, schluckte die Bissen mechanisch, und sein Gesicht war von kalter Wut verzerrt.

Rod schloß daraus, daß es eine Meinungsverschiedenheit zwischen Vater und Sohn gegeben hatte, aus der der alte Loguire natürlich als Sieger hervorgegangen war — aber nur, indem er seinem Sohn den Mund verboten hatte. Und ihn, Rod, hatte man gerufen, damit er wieder für Stimmung sorgte. Was von einem Minnesänger nicht alles erwartet wurde!

Durers Gesicht konnte die verstohlene Selbstzufriedenheit kaum verbergen. Bei den anderen Ratgebern war es nicht viel anders. Was immer auch hier geschehen war, es mußte Durer gerade recht gekommen sein, ja vermutlich war es sogar von ihm in Szene gesetzt worden. Der Mann ist der perfekte Katalysator, dachte Rod. Er wurde nie in die Reaktionen verwickelt, die er auslöste.

Loguire sah seinen Sohn mit stummer Bitte in den alten, rotumränderten Augen an. Aber Anselm gönnte ihm keinen Blick, bis des Herzogs Gesicht zu Stein zu erstarren schien. Als er sich umdrehte, entdeckte er Rod. „Minnesänger!“ donnerte er. „Warum steht Ihr müßig herum? Singt uns etwas Fröhliches!“

Durers Kopf zuckte herum. Bei Rods Anblick weiteten sich seine Augen. Schrecken verzerrte seine Züge und wurde von mörderischem Haß abgelöst.

Rod lächelte vergnügt und verbeugte sich. Er überlegte, welches Lied wohl die Spannung in diesem Raum lösen könnte. Er befürchtete, daß es hier Sitte war, sich abzureagieren, indem man den Minnesänger verprügelte, wenn es ihm nicht gelang, für die erwartete Entspännung zu sorgen.

Er begann eine blutrünstige Moritat zu spielen, weil er es für das Beste hielt, ihnen etwas noch Aufregenderes zu bieten, als das, was immer auch hier vorgefallen war. Er klimperte jedoch zuerst nur herum, ohne gleich zu singen, um die Gesichter der vier Lords zu studieren.

Sie schwankten von brütender Überlegung zu Verachtung (obgleich unterdrückt). Letztere galt offenbar dem alten Herzog. Es sah ganz so aus, als hätte Loguire hier keine Unterstützung. Alle schienen auf der Seite seines Sohnes zu sein. „Minnesänger!“

Rod schaute auf. Es war Anselm, der ihn gerufen hatte. Sein Gesicht war in Bitterkeit erstarrt. „Habt Ihr vielleicht ein Lied über einen, den eine Frau zum Narren hält und der ein doppelter Narr ist, weil er sie trotzdem liebt?“

„Genug!“ donnerte Loguire, doch ehe Anselm etwas sagen konnte, erwiderte Rod: „Viele, mein Lord, aber von einem Mann, der die Frau, die ihm weh getan hat, immer noch liebt.

Und in allen kehrt sie zu ihm zurück.“

„Hah, sie nimmt ihn wieder auf — um ihn an einem langen Strick von den Zinnen baumeln zu lassen!“

Der alte Herzog richtete sich auf. „Genug der Verleumdung!“ brüllte er.

Anselms Stuhl kippte nach hinten, als er aufsprang. „Und ist es Verleumdung, daß sie den stolzen Namen Loguire in den Schmutz gezogen hat? Und nicht nur einmal, sondern zweimal, und sie wird es noch öfter tun!“ Er schlug die Faust auf den Tisch. „Diese Hexe wird noch lernen, daß sie die Ehre ihrer Edlen nicht ungestraft verletzen darf. Wir müssen sie von ihrem Thron zerren und sie ein für allemal unter unseren Füßen zertreten!“

Loguires Gesicht lief tiefrot an. Er öffnete den Mund, doch ehe er etwas erwidern konnte, murmelte Rod: „Nein, mein Lord, nicht so hart. Nicht gleich Vernichtung, sondern eine Lehre!“

Er stand im Kreuzfeuer von laserstrahlgleichen Blicken Anselms und Durers, aber Loguire polterte mit der Freude und Erleichterung eines Riesen: „Ja! Unser Minnesänger spricht zwar ungebeten, aber er hat recht! Unsere junge Königin ist eigensinnig, doch das ist auch ein Füllen, ehe man ihm das Zaumzeug anlegt. Sie muß erst noch lernen, daß ihre Macht nicht absolut ist, daß auch andere das Recht haben, ein Wort mitzureden. Sie ist immerhin die Herrscherin und darf nicht gestürzt werden!“

Anselm stieß einen gurgelnden Laut aus. Er würgte vor Wut und stotterte fast in seinem Grimm. „Nein — ich sage nein! Eine Frau als Monarch? Das ist Spott und Hohn! Und noch dazu eine arrogante, hurende…“

„Halt den Mund!“ Selbst die vier anderen Hohen Lords schraken vor dieser Donnerstimme zurück.

Anselm zuckte zusammen und schien sichtlich zu schrumpfen, während Loguire an Größe wuchs. Und dann, mit einer Würde, wie Rod sie noch nie an einem Mann gekannt hatte, ja, mit der wahrhaft majestätischen Würde, die nur aus dem innersten Wesen selbst kommen kann, setzte Loguire sich wieder und sagte, ohne den Blick von seinem Sohn zu lassen: „Zieh dich in deine Gemächer zurück. Wir werden bis zum Konklave heute abend nicht mehr davon sprechen!“

Irgendwie gelang es Anselm, das Kinn zu heben und sich auf dem Absatz umzudrehen. Auf dem Weg zur Tür fiel sein Blick auf Rod. Wut stieg in ihm auf. Er hob den Arm, um den Minnesänger zu schlagen.

„Nein!“ donnerte Loguire, und Anselm erstarrte.

„Dieser Mann“, erklärte der Herzog betont langsam, „hat die Wahrheit gesprochen. Ich dulde nicht, daß jemand Hand gegen ihn erhebt!“

Anselm senkte den Blick. Er riß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu.

„Minnesänger, spielt!“ brummte Loguire. Rod stimmte eine Weise auf der Harfe an, während er nachdachte. Heute abend

würde also Kriegsrat abgehalten werden, und der Hauptpunkt war zweifellos die konstitutionelle Monarchie gegen die Souveränität der Hohen Lords, auch wenn das vielleicht nur Durer und ihm klar war. Nun, er, Rod, wußte jedenfalls, auf wessen Seite er stand.

Sie kamen in dem neuen Bankettsaal zusammen, nicht nur die zwölf Hohen Lords, sondern mit ihnen ihre Lehnsleute, Grafen, Barone, Ritter. Und zur Seite eines jeden stand, oder eher noch, kauerte einer der ausgemergelten kleinen Männer. Rod pfiff lautlos durch die Lippen. Er hatte nicht gewußt, daß es so viele dieser Ratgeber gab. Mit einem Blick geschätzt waren es mindestens fünfzig, wenn nicht siebzig. Und möglicherweise gab es außerhalb seines Blickfelds noch mehr, und sein Blickfeld war momentan arg beschränkt. Er schaute durch ein Loch in der Wand hinter Lord Loguire in den Saal. Das Loch war dadurch entstanden, daß er von einer Fackelhalterung einen der drei Haltestifte entfernt und dahinter das Loch kopfgroß erweitert hatte.