Der Herzog bemühte sich, seinen Grimm zu schlukken. Rod beugte sich zu Tom hinüber. „Kannst du für den alten Mann ein Versteck finden, wo er sicher ist?“
„Ja, Herr. Bei seinem Sohn, aber warum…“
„Im Haus Clovis?“
„Ja, Meister. Die Königin müßte ihre ganze Armee aufbieten, um ihn von dort herauszuholen!“
„Sprecht so, daß alle es hören können!“ erschallte eine neue Stimme, die Rod vertraut vorkam. Sir Maris trat neben den sichtlich erleichterten Wachsoldaten. „Gut gemacht, Rod Gallowglass! Ihr habt den schlimmsten der Rebellen hierhergebracht!“
Loguires Augen verengten sich und sprühten Rod haßerfüllt an.
„Sprecht nicht untereinander“, fuhr Sir Maris fort. „Ich verbiete es. Zwölf Armbrüste sind auf euch gerichtet.“
Loguire setzte sich stolz im Sattel auf. Sein Gesicht wirkte wie aus Granit.
„Zwölf?“ sagte Rod spöttisch. „Nur zwölf Schützen, um Herzog Loguire zu töten? Mein guter Sir Maris, ich muß wohl annehmen, daß Ihr in Eurem Alter unvorsichtig werdet.“
Der Granit zersprang. Loguire widmete Rod einen verwunderten Blick. Rod schwang sich aus dem Sattel und schritt von den Pferden weg zur Brücke. Er schüttelte betrübt den Kopf. „Sir Maris! Mein guter Sir Maris, zu glauben…“
Plötzlich wirbelte er herum und schlug mit einem schrillen Schrei auf die Pferde ein. „Macht kehrt und reitet!“ schrie er.
„Schnell!“
Sir Maris und seine Männer erstarrten vor Verblüffung, als die Pferde drehten und davongaloppierten. Einen Augenblick später schlugen elf Armbrustbolzen in den Boden, wo die Tiere sich befunden hatten. Nur einer der Schützen war etwas schneller gewesen, sein Geschoß hatte Gekabs Hinterteil getroffen, war davon abgeprallt und in den Fluß gesegelt, woraufhin erschrockenes Schweigen eingesetzt hatte und das Gemurmeclass="underline" „Hexenpferd!“ die Runde machte.
„Wirbel ein wenig Staub auf, Gekab!“ murmelte Rod, und sofort bäumte der mächtige Eisenrappe sich auf, schlug mit den Hufen durch die Luft und wieherte drohend, dann brauste er
durch die Nacht davon. Rod war sicher, daß er Toms und Loguires Spuren verwischen würde.
Sir Maris bemühte sich tapfer, ergrimmt dreinzuschauen, aber die nackte Furcht leuchtete aus seinen Augen. Seine Stimme zitterte, als er sagte: „Rod Gallowglass, Ihr habt die Flucht eines Rebellen ermöglicht.“ Er schluckte sichtlich, ehe er fortfuhr: „Deshalb muß ich Euch wegen Hochverrats festnehmen.“
„Ihr dürft es gern versuchen“, erwiderte Rod höflich.
Die Soldaten redeten verängstigt aufeinander ein und wichen vor Rod zurück. Keiner wollte die Klingen mit dem Zauberer messen. Sir Maris' Augen weiteten sich erschrocken. Er faßte eine der Wachen am Arm. „Du, da, lauf voraus und melde der Königin, was hier vorgeht!“
Der Soldat eilte davon, glücklich darüber, nicht eventuell hier in einen Kampf verwickelt zu werden.
Sir Maris wandte sich an Rod. „Ihr müßt zur Rechtsprechung zur Königin kommen, Meister Gallowglass. Begleitet Ihr uns freiwillig?“
Rod mußte sich beherrschen, um nicht über die Angst in der Stimme des alten Ritters zu lachen. Sein Ruf brachte zweifellos seine Vorteile mit sich. „Ich komme aus eigenem Willen mit Euch.“
Sir Maris bedachte ihn mit einem dankbaren Blick, doch dann kam ihm der Ernst der Lage offenbar erst richtig zu Bewußtsein. „Nicht um eine Burg und ein Herzogtum möchte ich in Eurer Haut stecken, Rod Gallowglass. Allein müßt Ihr nun der Königin Rede und Antwort stehen.“
„Nun, ich habe ihr auch ein paar Dinge zu sagen“, brummte Rod. „Machen wir uns auf den Weg, Sir Maris.“
Bedauerlicherweise gab der Marsch zur Burg Rod Zeit, über Catherines letzten Trick nachzudenken, und genauso bedauerlicherweise empfingen ihn mit Piken bewaffnete Soldaten, die mit zitternder Stimme erklärten, sie müßten ihn in
Ketten vor die Königin bringen.
„Oh“, brummte Rod und hob eine Braue. Er schob die auf ihn gerichteten Piken zur Seite, packte den als Boten vorausgeschickten Soldaten und warf ihn gegen den Trupp Wachen, die sich aneinandergedrängt vorsichtig vorwärtsschoben. Schließlich hob er mit einem heftigen Fußtritt die Tür aus ihren primitiven Eisenangeln. Sie knallte zu Boden, und er schritt darüber.
Catherine, der Bürgermeister der Hauptstadt, und Brom O'Berin sprangen erschrocken von ihren Stühlen um einen kartenbeladenen Tisch auf, als Rod in den Raum stiefelte.
Brom rannte Rod entgegen, um ihm den Weg zu versperren.
Aber schon war Rod an ihm vorbei. Erst am Tisch machte er halt und sah Catherine mit einem Blick an, der Wasser zu Eis hätte erstarren lassen. Die Königin wich zurück und drückte furchtsam die Hand an die Kehle.
Brom hüpfte auf die Tischplatte. „Was soll dieses unziemliche Eindringen, Rod Gallowglass? Verschwindet und wartet, bis Ihre Majestät Euch rufen läßt!“
„Ich ziehe es vor, ungekettet vor der Königin zu erscheinen!“
donnerte Rod. „Und ich lasse nicht zu, daß ein Edelmann von höchstem Stand in ein rattenverseuchtes Verlies mit gemeinen Mördern und Dieben geworfen wird!“
„Ihr laßt es nicht zu?“ krächzte die Königin.
„Und wer seid Ihr, etwas zuzulassen oder nicht?“ donnerte Brom. „Ihr seid nicht einmal von edlem Blut!“
„Dann muß ich wohl annehmen, daß edles Blut nur hinderlich ist, wenn es um Taten geht!“ Rod kippte den Tisch um und ging auf die Königin zu. „Ich hielt Euch für edel! Doch jetzt sehe ich, daß Ihr Euch gegen Eure eigene Familie wendet, selbst gegen einen, der Euch so nah wie ein Vater ist. Selbst wenn er ein Mörder wäre, müßtet Ihr ihn mit der Höflichkeit und den Ehren empfangen, die Ihr seinem Stand schuldet. Euer prächtigstes Gemach müßtet Ihr ihm als Zelle überlassen! Das ist Eure Blutspflicht!“
Er drängte sie zum Kamin zurück. „Aber nein, als Mörder würdet Ihr ihn gewiß in Ehren aufnehmen! Doch er hat sich der schrecklichsten aller Verbrechen schuldig gemacht, nämlich Euch darauf aufmerksam zu machen, daß Eure Gesetze tyrannisch sind, und dann, als Ihr ihn mit aller Berechnung beleidigtet, seine Würde zu bewahren! Und dazu besteht er noch darauf, mit dem Respekt behandelt zu werden, der einem Mann unter der Herrschaft einer rachsüchtigen, kindischen, trotzigen Halbwüchsigen zusteht, die zwar den Titel einer Königin trägt, aber nicht ihre Größe hat — und deshalb muß er wie der gemeinste Verbrecher bestraft werden!“
„Schämt Euch, so mit einer Lady zu sprechen!“ stammelte die Königin kreidebleich.
„Lady!“ schnaubte Rod abfällig.
„Eine geborene Lady!“ Es klang wie ein Verzweiflungsschrei.
„So laßt auch Ihr mich im Stich! Und sprecht mit der Zunge Clovis!“
„Ich spreche vielleicht wie ein Bauer, aber Ihr handelt wie einer. Und nun verstehe ich, weshalb alle Euch verlassen!
Denn selbst den einzigen Eurer Lords, der Euch treu geblieben ist, wollt Ihr in den Schmutz werfen!“
„Treu!“ keuchte sie. „Er, der die Rebellen anführt?“
„Anselm Loguire führt die Rebellen an! Weil er Euch die Treue hielt, wurde der alte Herzog gestürzt!“
Rod lächelte bitter, als er den Schrecken in den Augen des Mädchens sah, da sie sich ihrer Schuld bewußt wurde. Er drehte sich um, um ihr Zeit zu geben, sich der Ungeheuerlichkeit ihrer Tat ganz klar zu werden. Er hörte ein schmerzhaftes Stöhnen hinter sich, dann rannte Brom an ihm vorbei zu seiner Königin und half ihr auf einen Stuhl. Der Bürgermeister starrte mit großen Augen an Rod vorbei. Rod bedeutete ihm, den Raum zu verlassen. Zögernd blickte der Mann zur Königin. Erst als Rod mit dem Dolchgriff spielte,
ergriff er schleunigst die Flucht.
Rod wandte sich erneut dem verstörten Mädchen zu.
Brom warf ihm einen haßerfüllten Blick zu. „Laßt es genug sein! Mußte sie unter Eurer Zunge nicht schon viel zu sehr leiden?“
„Noch nicht!“ Mit kalter Stimme sagte er zu der Königin: „Euer wahrhaft edler Onkel, Herzog Loguire, stellte sich aus Liebe zu Euch gegen die Gesamtheit Eurer Aristokratie, selbst gegen seinen eigenen Sohn! Und Ihr seid schuld daran, mit Euren selbstherrlichen Gesetzen und Eurem absoluten Mangel an Diplomatie, daß Anselm sich gegen seinen Vater wandte.