Herzog Loguire hatte zwei Söhne, Ihr habt ihn um beide beraubt!“
Sie schüttelte heftig den Kopf, während ihre Lippen sich zum stummen Nein formten.
„Und doch ist er seiner Königin treu geblieben, obgleich sie ihn deshalb töten wollten — und es ihnen fast gelang!“
Ihre Augen weiteten sich vor Grauen.
Rod tupfte auf seine verbundene Schulter. „Sie hielt den Dolchstoß auf, der seinem Herzen gegolten hatte! Und selbst dann war es nur einem Wunder zu verdanken und der Hilfe einer der Hexen, die Ihr kaum zu schätzen wißt, daß es mir glückte, ihn lebend aus seiner Burg zu schaffen.“
Broms Kopf zuckte zurück. Durchdringend musterte er Rods Gesicht. Rod zog die Brauen zusammen und fuhr fort: „Aber es gelang mir, ihn unter Lebensgefahr heraus und in Sicherheit zu bringen. Und was muß ich erfahren? Er soll festgenommen und wie ein Meuchelmörder in ein kaltes, lichtloses Verlies geworfen und nicht behandelt werden, wie es einem Mann seines Standes zusteht.“
Offenbar war er ein wenig zu theatralisch gewesen. Sie schob das Kinn vor und unterdrückte ihre Tränen. „Vor meinen Gesetzen, mein Herr, sind alle gleich!“
„Das mag stimmen, doch das sollte eigentlich bedeuten, daß
Ihr auch einen Bauern wie einen Lord behandelt, und nicht umgekehrt einen Lord wie einen Bauern!“ Er beugte sich vor. „Verratet mir, Königin, weshalb schaut Catherine auf alle voll Verachtung herab?“
Das war zwar nicht ganz die Wahrheit, denn sie verachtete nur die Edlen, aber ihre Augen verrieten, daß sie plötzlich selbst an sich zu zweifeln begann. Trotzdem schob sie das Kinn noch eine Spur trotziger vor und erklärte: „Ich bin die Königin, und alle haben sich meiner Macht zu beugen!“ „Oh, sie beugen sich, das tun sie, doch nur, solange Ihr sie nicht ins Gesicht schlagt, denn dann schlagen sie zurück. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln, wenn Ihr sie ihrer Freiheit beraubt.“
Catherine starrte ihn an. „Freiheit? Aber ich bemühe mich doch, den Bauern größere Freiheit zu geben!“ „Ihr bemüht Euch also.“ Rod lächelte säuerlich. „Und wie geht Ihr es an? Indem Ihr sie noch enger an Euch bindet. Ihr haltet sie jetzt knapp, damit Ihr ihnen später mehr geben könnt!“ Er hieb mit der Faust auf die Lehne ihres Sessels. „Aber später wird nie kommen! Seht Ihr das nicht ein? Es gibt zu viele Mißstände im Land. Immer wird es etwas zu bekämpfen geben, und das Wort der Königin darf nicht in Frage gestellt werden, wenn sie ihre Armee gegen was immer auch ausschickt!“ Langsam zog er die Hand zurück. Seine Augen brannten. „Und so wird der Tag, da Ihr sie freigebt, nie kommen. In Eurem Reich wird keiner frei sein — außer der Königin!“ Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und stapfte im Zimmer auf und ab. „Es gibt nur ein bestimmtes Maß an Freiheit für alle. Wenn einer mehr bekommen soll, wird ein anderer deswegen weniger haben. Denn wenn einer befiehlt, muß ein anderer gehorchen.“ Er blieb vor Catherine stehen. „Und so nehmt Ihr sie nach und nach ganz, bis man auch Euren verrücktesten Launen gehorcht. Ihr werdet die absolute Freiheit haben zu tun, was Ihr wollt, aber nur Ihr allein werdet frei sein.
Für Euer Volk bleibt keine Freiheit mehr! Alle werden an Catherine gebunden sein!“
Er streckte die Hand aus und umklammerte ihre Kehle, doch ohne Druck auszuüben. Sie starrte ihn an, schluckte und wich bis ganz zur Stuhllehne zurück.
„Aber der Mensch kann nicht ohne zumindest ein winziges bißchen Freiheit leben. Er braucht es, sonst stirbt er.“ Seine Finger drückten ein wenig zu. „Sie werden sich gegen Euch erheben, vereint durch ihren gemeinsamen Feind — Euch! Und sie werden ihre Freiheit, ihre Rechte aus Euch herausquetschen, eines nach dem anderen — ganz langsam.“ Catherine wehrte sich gegen seine Hand und keuchte nach Luft. Brom sprang herbei, um sie zu befreien, doch Rod ließ sie schon vorher los. „Sie werden Euch an Eurem eigenen Burgtor hängen“, fuhr Rod fort. „Und die Edlen werden an Eurer Statt regieren. Alles, was Ihr getan habt, wird zunichte gemacht werden. Dessen könnt Ihr ganz sicher sein, denn so war es mit Tyrannen immer!“
Ihr Kopf zuckte hoch. Tiefe Kränkung sprach aus ihren Augen. Heftig schüttelte sie den Kopf. „Nicht ich! Nein! Nicht das! Tyrann nie und nimmer!“
„Schon immer ein Tyrann“, widersprach Rod fast sanft. „Seit Eurer Geburt. Immer ein Tyrann gegenüber allen um Euch, obgleich es Euch bis jetzt nicht bewußt wurde. Aber jetzt wißt Ihr es, und es muß Euch nun klar sein, daß nur Ihr allein Schuld an der Rebellion tragt. Immer schlimmer bedrängtet Ihr Eure Edlen — zum Wohle des Volkes, wie Ihr sagtet!“ Er schaute sie scharf an. „Aber habt Ihr es nicht vielleicht auch getan, um festzustellen, wer unter ihnen es wagen würde, sich Euch zu widersetzen? Um zu erkennen, wer unter ihnen Männer sind?“
Verächtlich verzog sie das Gesicht. „Männer!“ Es klang wie die gemeinste Beschimpfung. „Es gibt keine Männer mehr auf Gramayre, nur noch Jungen, die sich damit zufrieden geben, das Spielzeug einer Frau zu sein.“
Rod verzog den Mund. „O doch, es gibt sehr wohl noch Männer hier — im Süden, und Männer im Haus Clovis, oder zumindest einen dort! Echte Männer, aber gutherzige Männer, die ihre Königin lieben und sich deshalb nicht gegen sie stellen wollen.“
Ihre Verachtung schien nur noch zu wachsen. „Nein, in Gramayre gibt es keine Männer mehr!“
„Ihr täuscht Euch“, entgegnete Rod ruhig. „Und sie marschieren bereits gen Norden, um es zu beweisen.“
Sie starrte ihn an, dann lehnte sie sich zurück. „Nun gut, so marschieren sie also nordwärts, und ich werde sie auf dem Bredenfeld stellen. Aber trotzdem befindet sich keiner unter ihnen, den ich einen Mann nennen könnte!“
„Oh, Ihr werdet sie also stellen? Was wollt Ihr als Armee benutzen? Und wer soll sie befehligen?“
„Ich werde sie befehligen!“ erwiderte sie von oben herab. „Ich und Brom. Und zwar fünfhundert Mann meiner Leibwache, siebenhundert meiner,Armee, und fünf Dutzend Ritter meiner Domänen.“
„Sechzig Ritter!“ Rods Mundwinkel verzogen sich verächtlich.
„Nicht genug für auch nur einen Sturm der Ritter aus dem Süden! Sechzig Ritter von wie vielen Hunderten Eures Reiches? Und alle anderen haben sich gegen Euch erhoben!
Von Euren zwölf hundert Fußsoldaten gegen Tausende der Rebellen ganz zu schweigen!“
Ihre Hände umklammerten die Stuhllehnen, um das Zittern der Finger zu verbergen. Furcht ließ sie erblassen.
„Wir werden für die Ehre der Plantagenets und Gramayres siegen oder eines edlen Todes sterben.“
„Von einem edlen Tod auf einem Schlachtfeld habe ich bisher noch nie etwas gesehen. Der Tod dort ist gewöhnlich recht grausam und blutig.“
„Seid still!“ fauchte sie. Schließlich hob sie stolz den Kopf, stand auf und schritt majestätisch zum wieder aufgerichteten Tisch. Sie ließ sich Pergament und Feder bringen und kritzelte etwas. Dann reichte sie Rod das gefaltete Schriftstück. „Bringt das meinem Onkel Loguire. Es ist eine Aufforderung an ihn, hier zu erscheinen, und gleichzeitig ein Passierschein, der ihm sicheres Geleit zusagt. Ich glaube, ich werde jeden, der mir ergeben ist, an meiner Seite brauchen.“
Rod nahm das Pergament und zerknüllte es in der Hand. Ohne die Augen von Catherine zu nehmen, warf er es in das Feuer.
„Ihr werdet jetzt einen Brief an den Herzog schreiben, den ich ihm überbringen werde“, sagte er mit eisiger Stimme. „Doch Ihr werdet ihm nichts befehlen, sondern ihn um die Ehre seines Besuches bitten!“
Ihre Haltung versteifte sich, sie schob das Kinn vor. Schnell sagte Rod etwas weniger kalt: „Na, na, meine Königin! Ihr habt alle Freiheit, könnt Ihr nicht ein wenig davon auf höfliche Manier verschenken? Oder wollt Ihr Euch von der Sünde des Stolzes davontragen lassen, und soll dann Euer Volk den Preis für Euren Stolz bezahlen?“