„Nur halb… Du willst doch nicht sagen, daß ein Elternteil ein Mensch war?“
„Gewiß, Rod!“
Rod versuchte sich vorzustellen, wie ein fünfundvierzig Zentimeter großer Elf und ein normal großer Mensch miteinander Kinder haben konnten, aber Gekab unterbrach seinen Gedankengang.
„Sie macht sich jetzt auf den Weg, um ihn zu holen, Rod. Sie sagt, Sie sollen guten Mutes sein.“
„Wenn ich noch besseren Mutes wäre, wäre es nicht mehr auszuhalten. Sag ihr, sie soll gut auf sich aufpassen.“
„Er spricht in die leere Luft“, murmelte Tuan.
Tom lachte polternd. „Durchaus nicht, meine Lords. Dieser Mann redet mit Geistern.“
Rod lächelte düster. „Wieso plötzlich so fröhlich, Tom?“
Der Riese räkelte sich, daß die Ketten klirrten. „Einen Augenblick hielt ich Euch für geschlagen, Meister, aber jetzt weiß ich, daß alles wieder gut wird!“ Er streckte sich aus.
Rod grinste, als Tom zu schnarchen begann. „Das nennt man Vertrauen“, wandte er sich an die beiden Loguires.
„Hoffen wir, daß es gerechtfertigt ist“, brummte Tuan und betrachtete Rod zweifelnd.
„Hoffen wir es“, echote Rod grimmig. Er nickte dem Herzog zu. „Nun, habt Ihr Euch mit Eurem Sohn schon ausgesprochen?“
Der alte Loguire nickte. „Ich bin glücklich, ihn wiederzusehen, obgleich es mir unter anderen Umständen lieber gewesen wäre.“
Tuan starrte stirnrunzelnd auf seine Hände. „Es sind traurige Neuigkeiten, die ich von ihm erfuhr, Rod Gallowglass. Ich wußte, daß mein Bruder voll Haß und Ehrgeiz ist, aber nie hätte ich gedacht, er würde so tief sinken.“
„Oh, urteilt nicht so hart.“ Rod lehnte sich ebenfalls an die Wand und schloß müde die Lider. „Durer hat ihn völlig unter seinem Einfluß. Und wenn sein Zauber fast auch auf seinen Vater gewirkt hätte, wie konnte er da bei ihm versagen?“
„Ja“, stimmte Tuan ihm finster bei. „Und ich bin auf den Spötter hereingefallen.“
„Oh?“ Rod hob eine Braue. „Es wurde Euch also bewußt!“
„Ja. Er ist der schlimmste aller Halunken. Während er sich demütigst vor einem krümmt, schlitzen seine Helfershelfer einem den Beutel auf. Fragt nicht, wie er mich hintergangen hat!“
„War nicht er es, der Euch nahelegte, die Bettler zu organisieren?“
„Ja.“ Tuan nickte schwer. „Ich hatte ursprünglich beabsichtigt, ihr schweres Los zu erleichtern, aber er brachte mich auf die Idee, eine Armee zur Verteidigung der Königin aufzustellen.
Ich hatte so manches aus dem Süden gehört, das mir die Überzeugung verlieh, eine solche Armee würde vielleicht vonnöten sein.“
„Als der Spötter erfuhr, daß der Süden zu den Waffen griff, hielt er die Zeit für gekommen, die Macht an sich zu reißen und die Königin zu stürzen. Richtig?“ fragte Rod.
„Ja. Ich sprach dagegen, sagte, jetzt sei die Zeit, der Königin zu Hilfe zu kommen, da schimpfte er mich einen Verräter, und…“
Tuans Gesicht verdüsterte sich, und die Worte fielen ihm schwer. „Und einer seiner Bettler hätte mich getötet, aber der Spötter verwehrte es ihm und ließ mich hier hereinwerfen.“ Er blickte Rod stirnrunzelnd an. „Findet Ihr das nicht auch für sehr merkwürdig, Rod Gallowglass? Ich meine, daß er mich nicht töten ließ.“
„Nein.“ Rod schüttelte den Kopf. „Er braucht einen nominellen König, wenn Catherine gestürzt ist.“
„Keinen König. Er schreit herum, daß wir nie wieder einen König haben werden, nur eine Art Häuptling.“
„Eine Art Häuptling?“ Rod runzelte die Stirn. „Wie nennt er diesen Häuptling?“
„Diktator.“ Tuan kaute an der Lippe. „Ein wahrlich seltsamer Titel. Es soll auch keine Edlen mehr geben, nur noch diesen Diktator. Sehr merkwürdig.“
Die Galle stieg Rod hoch. „Gar nicht so merkwürdig, wie Ihr glaubt. Aber die Bettler bilden sich doch nicht ein, sie könnten die Burg stürmen?“
„Nein, doch sie wissen, daß der Süden die Waffen ergriffen hat, und daß Catherine nicht warten wird, bis der Feind die Hauptstadt erreicht hat…“
„Der Spötter nimmt also an, daß sie ihm entgegenmarschieren wird?“
„Und dann wird er ihr folgen und sie von hinten angreifen. Und derart in die Zange genommen, werden ihre Streitkräfte keine halbe Stunde durchhalten.“
„Und was beabsichtigt der Spötter nach der Schlacht mit den Ratgebern und den Edlen zu machen?“ fragte Rod. „Durer will Euren Bruder zum König erheben.“
„Der Spötter hat seine eigene Lösung für dieses Problem. Eine Metallröhre, die in die Bolzenrinne einer Armbrust paßt, nichts weiter. Aber sie schießt eine Bleikugel, die selbst durch den stärksten Brustpanzer dringt.“
„Er will seine ganze Armee damit ausrüsten?“
„O nein, er hat nur fünf davon. Eine für sich, und je eine für seine drei Hauptleute und für seinen vierten Hauptmann.“ Tuan deutete mit einem Kopf zucken auf den schlafenden Riesen.
„Aber er ist vor kurzem in Ungnade gefallen. Er versicherte uns, daß die fünf Röhren für die gesamte Macht der Edlen und Ratgeber genügen werden.“
Rod hörte den Rest seiner Worte gar nicht mehr. Er starrte auf Tom. „Ein Hauptmann?“ fragte er schluckend.
„Ja, wußtet Ihr denn nicht, daß er zu Clovis gehört?“
Tom öffnete ein treues Hundeauge und schaute Rod an. Rod blickte zur Seite und räusperte sich. „Nun, das erklärt allerdings so manches.“ Und zu Tom gewandt: „Du gehörst also zum inneren Kreis?“
Tom lächelte sauer und hob kettenklirrend einen Arm.
„Gehörte“, verbesserte er.
„Er stellte sich gegen den Spötter und seine Schakale, als der Bucklige befahl, mich zu meinem Sohn ins Verlies zu werfen.
,Nein! widersetzte sich Euer Mann.,Ich muß ihn zu meinem Herrn zurückbringen, wo er Euren Plänen nutzt. ,Die Pläne wurden geändert', antwortete man ihm. Und als man mich nicht gehen lassen wollte, kämpfte Euer Mann Tom Rücken an Rücken mit mir und er streckte die größere Zahl nieder.“
Letzteres sagte er in einem Ton verwunderten Respekts.
Tom grinste. Jetzt erst bemerkte Rod erschrocken, daß dem Riesen ein Zahn fehlte. „Ihr seid selbst ein mächtiger Recke.
Ich hätte nie gedacht, daß ein Edler ohne Waffen und Rüstung so wacker kämpfen könnte.“
Rod musterte Tom näher. Ein Auge war geschwollen und blau angelaufen, und quer über eine Wange verlief eine blutverkrustete Wunde. „Wie vielen hast du denn den Schädel eingeschlagen, Tom?“
„Kaum zwei Dutzend“, antwortete Tom. „Ich hatte nur diesen tapferen Lord, um meinen Rücken zu schützen, und es waren zu viele dieser Burschen für uns.“
Rod grinste und fragte sich, ob Loguire klar war, wie hoch er dieses Kompliment Toms einschätzen mußte.
„Und nun, da man mich entlarvt hat“, brummte Tom, „gebt uns die Ehre, auch Eure Maske abzunehmen.“
Rod starrte ihn an. „Wie lange hast du mich schon durchschaut?“
Tom lachte polternd. „Seit Ihr mit Judo gegen mich vorgingt.“
„Also von Anfang an! Und deshalb wolltest du unbedingt mein Knappe werden. Auf Befehl, Tom?“
Tom nickte. „Also, Meister, was seid Ihr?“
„Ein Zauberer“, erwiderte Rod sich innerlich windend, aber unter den gegebenen Umständen war es die beste Antwort.
Tom spuckte aus. „Keine Ausflüchte, Meister. Ihr gehört nicht zu den Ratgebern, sonst hättet Ihr Lord Lo guire nicht vor ihnen in Sicherheit gebracht. Und vom Haus Clovis seid Ihr auch nicht, sonst wüßte ich es. Also, was seid Ihr dann?“
„Ein Zauberer“, wiederholte Rod. „Ein neuer Spieler im großen Spiel, Tom, und zwar einer, der treu hinter der Königin steht.
Ich bin X, die Unbekannte in der Gleichung der Ratgeber und des Hauses Clovis, und nur durch reinen Zufall hier.“
„Ich glaube nicht so recht an Zufälle, Herr. Ich weiß, daß Ihr an der Seite der Königin steht. Aber wer steht hinter Euch?“