Der andere spuckte hörbar aus. „Ja“, höhnte er. „Und jede Nacht brauche ich einen neuen Schein, wenn ich sie sehen will.
Verdammt, das war bisher das einzige auf der Welt, das man ohne Erlaubnis von anderen tun konnte!“
Die Stimme des Postens wurde wieder hart. „Das Wort des Spötters ist Gesetz im Haus, und ich werde ihm mit dem Prügel Nachdruck verleihen!“
Ein wütendes Knurren war zu hören, dann sich entfernende, schlurfende Schritte. Nach einer Weile setzte erneut Stille ein, bis der Posten wieder zu schnarchen begann.
Rod schaute Tuan an. Das Gesicht des Jungen war fahl, und die Lippen hatte er so fest zusammengepreßt, daß sie weiß wirkten.
„Ich nehme an, davon wußtet Ihr nichts, oder?“ flüsterte Rod.
„Nein. Als sie mich erst abserviert hatten, vergeudeten sie keine Zeit. Eine Wache vor jedem Zimmer. Ein Stück Papier als Erlaubnis, daß zwei ein Bett miteinander teilen dürfen — das ist schlimmer als die Lords des Südens!“
Toms Kopf ruckte hoch. „Nein!“ knurrte er. „Es ist jetzt nur ein wenig unbequem, aber das Resultat ist diesen Preis wert.“
„Welches Resultat kann schon einen solchen Preis wert sein!“ schnaubte Tuan und hob seine Stimme ein wenig.
„Nun“, grollte Tom. „Mehr zu essen für alle, mehr und bessere Kleidung, keine Armen und Hungernden mehr.“
„Und alles dank einer geplanten Elternschaft!“ murmelte Rod kopfschüttelnd mit einem vorsichtigen Blick auf die Erde.
„Und wie soll das möglich sein?“ fragte Tuan und hob trotz der besorgten Gesten Rods die Stimme um ein weiteres. „Mit einem Erlaubnisschein für eine Liebesnacht? Ich wüßte nicht, wie!“
„Nein, Ihr ganz gewiß nicht“, sagte Tom verächtlich. „Aber der Spötter weiß sehr wohl, was er tut.“
„Wie erlaubst du dir, mit mir zu sprechen!“ Tuan zog seinen Dolch, und schon hatte auch Tom seinen in der Hand.
Rod schob die beiden auseinander. „Meine Herren! Auch wenn eure Meinung in dieser Sache auseinandergeht, muß ich doch bitten, Ruhe zu bewahren. Jeden Moment kann der Posten wieder aufwachen und das ganze Haus zusammenbrüllen.
Wollt ihr das wirklich?“
Die beiden funkelten einander wütend an, aber sie steckten die Dolche wieder ein. „Und was machen wir jetzt mit dem Posten?“ fragte Rod.
„Wir können nur eines tun“, antwortete Tuan. „Ihn aufwecken und gegen ihn kämpfen.“
„Was?“ knurrte Tom. „Daß er Alarm schlägt? Nein, nein! Wir schleichen uns an ihn heran und versetzen ihm einen Schlag auf den Schädel.“
„Das ist unehrenhaft“, protestierte Tuan.
Tom spuckte verächtlich aus. „Toms Plan ist schon in Ordnung“, beruhigte Rod Tuan. „Nur was ist, wenn der Mann aufwacht, während wir uns anschleichen?“
Tom zuckte die Schultern. „Dann müssen wir uns auf ihn werfen. Wenn wir dabei sterben, sterben wir eben.“
„Und die Königin mit uns“, brummte Rod. „Nein! Laßt euch was anderes einfallen.“
Tom zog seinen langen Dolch wieder hervor und balancierte ihn auf einer Fingerspitze. „Ich treffe den Burschen auf fünfzig Schritt in die Kehle.“
„Das ist schlimmer als ein Stoß in den Rücken!“ wehrte Tuan ab. „Wir müssen ihm eine Chance geben, sich zu verteidigen.“
„O ja?“ höhnte Tom. „Damit er das ganze Haus aufweckt mit seinem Gebrüll?“
Rod hielt beiden den Mund zu und war nur froh, daß er nicht drei Begleiter mitgebracht hatte. Er zischte Tom zu. „Hab Geduld. Er ist schließlich neu in diesem Job!“
Tuan richtete sich hoch auf und funkelte jetzt beide wütend an.
Rod flüsterte Tom direkt ins Ohr. „Wenn du nicht wüßtest, daß er ein Aristokrat ist, wie würdest du ihn dann einschätzen?“
„Als tapferen Mann und guten Kämpfer“, gestand Tom ein, „wenn auch arg jung und töricht und mit zu vielen Idealen belastet.“ Er schaute Rod an. „Also gut, ich werde versuchen, mit ihm auszukommen, aber wenn er noch einmal zu predigen versucht…“
„Wenn wir die Sache schnell genug hinter uns bringen, wird er keine Zeit dazu haben. Ich habe eine Idee.“
„Warum habt Ihr uns dann überhaupt gefragt?“ grollte Tom.
„Weil sie mir erst kam, als ihr zwei euch in die Haare geraten
seid. Wir brauchen eine Kompromißlösung, richtig? Tuan läßt ein Messer in den Rücken nicht zu und auch keines in Brust oder Kehle, solange der Bursche schläft. Er will eben keinen treuen Untertanen töten, weil er vielleicht schon morgen gutes Kanonenfutter abgeben könnte. Richtig?“
„Nicht das ist der Grund“, brummte Tuan.
„Und Tom will dem Posten keine Chance geben, Alarm zu schlagen — und ich auch nicht, ganz nebenbei bemerkt. Wir sind alle drei gute Kämpfer, aber nur drei gegen ein ganzes Haus voll Messerstecher ist wohl utopisch. Tom, wenn der Posten plötzlich um die Ecke rennen sollte, würdest du ihm dann nur ganz leicht über den Schädel schlagen?“
„Sicher!“ Tom grinste.
„Leicht, sagte ich. Läßt sich das mit Eurer Ehre vereinbaren, Tuan?“
„Ja, da er uns dann das Gesicht zuwendet.“
„Gut, dann brauchten wir nur noch eine Maus, der er um die Ecke nachjagt.
„Das ist einfach“, brummte Tom. „Der Meister kann eine machen.“
„Eine machen?“ Rod starrte ihn an.
„Aber ja.“ Tuan nickte heftig. „Ihr seid doch ein Zauberer und hier an der Wand wächst soviel Hexenmoos. Was braucht Ihr mehr?“
„Huh?“ Rod schluckte. „Heißt das, daß Hexen das Zeug für ihre Zwecke benutzen?“
„Natürlich! Wieso wußtet Ihr das nicht? Sie formen kleine lebende Dinge daraus — wie Mäuse!“
In Rods Kopf klickte es. Das war also das fehlende Glied im Rätsel um Gramayre. „Schön und gut“, brummte er. „Aber das ist nicht meine Art von Zauberei.“ Er legte die Hände als Trichter vor den Mund und rief leise: „Gwen! Gwen-dy-lon!“
Eine Spinne rannte an einem Faden direkt vor seiner Nase von der Decke. Rod hüpfte zurück. „Alle guten Geister. Tu das
nicht, Mädchen!“ Er pflückte die Spinne vom Faden und streichelte sie vorsichtig mit einer Fingerspitze. „Zumindest hast du dich nicht in eine Schwarze Witwe verwandelt. Hm, übrigens bist du die hübscheste Spinne, die ich je gesehen habe!“
Die Spinne tanzte erfreut in seiner Handfläche.
„Hör zu, meine Süße, ich brauche eine Maus, die den Posten hierherlockt. Schaffst du das?“
Die Spinnenform verschwamm, und schon saß eine Maus auf Rods Hand. Das Tier sprang auf den Boden und huschte zur Ecke.
„Nein! Nein!“ Rod sprang ihr nach und hob sie vorsichtig wieder hoch. „Tut mir leid, mein Schätzchen, aber wie leicht könnte jemand auf dich treten, und das würde mir gar nicht gefallen.“ Er küßte das schwarze Naschen. Tom sog die Luft ein. Die Maus wand sich vor Ekstase.
„Nein“, sagte Rod, strich mit der Fingerspitze über ihren Rücken und zwickte sie in den Schwanz. „Du mußt eine aus Hexenmoos machen. Kannst du das, Liebling?“
Die Maus nickte, drehte sich um und konzentrierte sich auf das Hexenmoos am Boden der Wand. Aus einem Stück davon bildete sich nach und nach eine Maus. Tom schluckte und bekreuzigte sich.
Rod starrte ihn erstaunt an. „Ich dachte, du bist Atheist?“
„Nicht in einem solchen Augenblick, Herr.“
Die Hexenmoosmaus rannte um die Ecke. Tom faßte seinen Dolch an der Klingenspitze, um den Griff als Prügel zu benutzen.
Das Schnarchen um die Ecke wurde zu einem verärgerten Grunzen. „He, was knabbert da an mir?“ Der Hocker des Postens kippte klappernd um. Dann war zweimal ein wütendes Stampfen zu hören, und schließlich vernahmen die Wartenden eilige Schritte, und schon huschte die Maus um die Ecke.
Der Posten folgte ihr fluchend und rutschte an der Ecke aus. Er blickte hoch, sah Tom, und hatte gerade noch Zeit, die Augen entsetzt aufzureißen, als Toms Dolchgriff auf seinen Hinterkopf herabsauste.