Hufgedröhn erschallte hinter Rod. Er drehte sich um. Ein Page kam über die Wiese auf ihn zugaloppiert. „Ihr müßt zur Königin kommen, Meister Gallowglass!“ rief er atemlos. „Lord O'Berin und die Lords Loguire sind bereits bei ihr!“ Der Kriegsrat war schnell vorbei. Er war nichts weiter als eine kurze Summierung bereits besprochener Pläne, ein kurzes Gebet, und die Erklärung Catherines, doch nicht mit ihren Soldaten zum Sturm zu reiten. Rod war aufgefallen, daß sie während der ganzen Sitzung, so paradox es auch klang, gestanden hatte.
Und dann begaben sich alle auf ihre Posten. Sir Maris in der Mitte, Herzog Loguire an der rechten Flanke, und Rod an der linken. Brom würde mit Catherine und Gwendylon auf der Hügelkuppe bleiben, um die gesamte Schlacht zu leiten — ein Vorschlag Rods, den Brom ohne Vorbehalt angenommen hatte. Der Zwerg war zwar ein gewaltiger Kämpfer, aber seine Beine waren nicht lang genug, sich beim Gefecht im Sattel zu halten. Tom, dem man die Wahl gelassen hatte, mit den Bettlern oder an Rods Seite zu kämpfen, entschied sich für letzteres, vermutlich, weil er mitten im Schlachtgetümmeln sein wollte. Tuan blieb natürlich bei seinen Bettlern.
Als Tuan sich in den Sattel schwang, hielt Catherine ihn mit einer Hand auf seinem Knie zurück. Rod sah, daß sie ein Stück Seidenschleier um Tuans Oberarm band. Dann hob sie fast
flehend die Hände zu ihm. Tuan griff nach ihnen, drückte sie an die Lippen, dann beugte er sich hinab, um das Mädchen auf den Mund zu küssen. Die Königin blickte ihm nach, als er zu seiner zerlumpten Armee ritt. Rod warf noch einen letzten Blick auf Gwendylon, die neben dem Zelt der Königin stand, dann trabte er zur linken Flanke. Er war der einzige Reiter, der ohne Brustpanzer in den Kampf zog.
Plattenpanzer, wie er im vierzehnten Jahrhundert auf der Erde üblich gewesen war, war zu beiden Seiten des Feldes zu finden, aber die Streitkräfte des Südens waren zu einem dichten, schimmernden Wall formiert, während Catherines Ritter in einem Abstand von jeweils zwanzig Metern über die ganze Länge der Feindlinie verteilt waren.
Aber es gibt ein paar Lücken, dachte Rod. Und die einzelne Reihe Fußsoldaten hinter den Rittern der Königin war ein wenig mager, verglichen mit der dichtgeballten Masse hinter den Rebellenlords. Nein, es war wirklich kein sehr hoffnungerweckender Anblick. Doch es gab noch die Bettler, die Hexen und die Elfen — von diesen drei Gruppen war nichts zu sehen.
Die Rebellen würden einige sehr unangenehme Überraschungen erleben!
Am Südende des Feldes erschallte ein Horn. Die Rebellenritter legten ihre Lanzen ein. Die Ritter der Königin taten es ihnen gleich. Die Pferde schössen vorwärts. Das Hufgedröhn wurde zum Donnern einer Lawine, als die beiden Metallreihen sich einander näherten. Und als sie sich fast erreicht hatten, zog die Nordreihe sich zusammen, bis die Ritter Schulter an Schulter in der Mitte ritten.
Jubelrufe erschallten aus den Rebellenreihen, als sie den leichten Sieg vorhersahen, denn es war ein Kinderspiel für die Flanken der Rebellen, um die Nordlinie zu fegen und so die Streitkräfte der Königin in die Zange zu nehmen.
Die Ritter der Königin stießen mit einem metallischen Krachen auf das Zentrum der Rebellenlinien. Reiter stürzten von den Pferden, Blut spritzte, aber die Mitte der Linie hielt.
Mit siegessicherem Gebrüll schwangen die Rebellen nach beiden Seiten, um die Nordtruppen in die Zange zu nehmen…
Aber ihr Siegesgebrüll wurde zu wilden Schreckens schreien, als der Boden unter den Hufen ihrer Pferde nachgab und sie mitsamt Reiter in einem zwei Meter tiefen Graben landeten.
Die Elfen hatten gute Nachtarbeit geleistet.
Die Fußsoldaten kamen zur Rettung ihrer Lords herbeigerannt, doch nun brachen die Bettler mit einem Kriegsgeheul zwischen den Bäumen an den Seiten des Feindes herbei. Sie schwangen Dolche, Schwerter und Keulen und fielen voll Begeisterung über die Soldaten her.
Doch immer noch war der Feind zahlenmäßig stärker.
Nur traten jetzt die Luftstreitkräfte in Aktion. Gruppen von jeweils vier levitierenden Hexern, denen gerade der erste Bart sproß, trugen einen Korb, in dem eine telekinetische Hexe saß.
Die jugendlichen Hexer schössen aufs Geratewohl Pfeile in die feindlichen Linien. Sie hatten ihre Hände dazu frei, denn der Korb wurde von Ledergurten um ihre Mitte gehalten. Steine flogen aus den Körben, von den Hexern so gelenkt, daß sie mit mehr als betäubender Wirkung ihr Ziel trafen. Aus den Reihen der Südtruppen schwirrten Pfeile zu ihnen hoch, aber die Hexen lenkten sie ab und manchmal gelang es ihnen auch, sie zu ihren Absendern zurückzuschicken.
Die geordnete Schlacht wurde zum chaotischen Handgemenge.
Aber die Südritter hatten immer noch mehr als alle Hände voll zu tun. Der Ehrenkodex verlangte, daß nur ein Ritter gegen einen Ritter kämpfte. Ein Fußsoldat konnte, nur weil er es versuchte, zum Tod verurteilt werden, und der Himmel mochte ihm gnädig sein, wenn er es nicht nur versuchte, sondern einen Ritter garbesiegte!
Catherines Ritter kämpften sich ihren Weg vom Zentrum der Rebellenlinien nach außen. Viele verloren ihr Leben dabei, aber der Prozentsatz der Verluste in den Rebellenreihen war höher, denn Catherine, genau wie ihr Vater vor ihr, hatte es für richtig gehalten, es ihren Rittern bei der Ausbildung an nichts fehlen zu lassen.
Toby, der junge Hexer, tauchte plötzlich in der Luft über Rod auf. „Master Gallowglass! Herzog Loguire ist in arger Bedrängnis! Ihr müßt ihm zu Hilfe kommen!“ Er war so schnell verschwunden, wie er erschienen war. Das war vielleicht nicht die beste Art der Nachrichtenübermittlung, aber jedenfalls besser als die der Rebellen.
Rod erledigte seinen augenblicklichen Gegner mit der linken Hand und lenkte Gekab aus dem Handgemenge. Er ritt zum anderen Ende der Linie, wo eine dürre Gestalt in Panzerrüstung sich mit einem glühenden Schwert einen Weg durch die Truppen zu Lord Loguire gebahnt hatte. Einer der Ratgeber versuchte also, den Sieg herbeizuführen, indem er die Führerschaft eliminierte. Ein merkwürdiges Strahlen ging von dem Schwert aus. Rod wußte nicht, was es war, aber es war zweifellos etwas ungemein Wirkungsvolles, das hier als Schwert getarnt war.
Mitten durch das blutige Gemetzel zwischen Bettlern und Soldaten kämpfte er sich hindurch. Loguire konnte gerade noch den Schild hochstoßen, um das Strahlenschwert abzuwehren.
Der Hieb durchtrennte lautlos den Schild, verfehlte jedoch glücklicherweise das Herz. Der alte Lord schrie schmerzerfüllt auf, als die Hitze durch Schild und Panzerrüstung drang und seine Haut ansengte.
Diesen Augenblick nutzte der Ratgeber. Er schwang sein Schwert zum tödlichen Hieb.
Gekab rannte mit voller Kraft gegen das Tier des Ratgebers.
Das Roß ging zu Boden, der ausgemergelte Kleine flog erschrocken aufbrüllend durch die Luft, und das Schwert entglitt seinen Fingern.
Die Soldaten sprangen der glühenden Waffe furcht erfüllt aus dem Weg, während Rod herumwirbelte und den Ratgeber von Gekabs Hufen töten ließ. Der Bursche stieß einen schnell ersterbenden Schrei aus, der in Rods Schädel nachhallte. Nun meldete sein Gewissen sich doch, aber er beschloß, zumindest bis zum Ende der Schlacht nicht darauf zu achten. Als er die Soldaten ängstlich „Hexerei!“ rufen hörte, drehte er sich zu ihnen um. „Nein, nur Magie!“ beruhigte er sie, schwang sich aus dem Sattel, griff nach dem glühenden Schwert, und saß eilig wieder auf. Er warf die Klinge mit dem Griff voraus Loguire zu, der sie mit einer Dankesbezeigung auffing. Rod kehrte zu seiner Linie zurück, während ringsum die Schlacht heftig tobte und die Esper/Hexen sich in der Luft zurückzogen, denn es war nun so gut wie unmöglich, den Feind zu treffen, ohne den Freund in Mitleidenschaft zu bringen. Die Bettler waren mit ihrer Kampfweise und Skrupellosigkeit den Soldaten weit überlegen. Gewiß, auch von ihnen fanden viele den Tod, doch nicht ohne zumindest fünf oder sechs der Feinde ins Jenseits befördert zu haben.