„Ich hatte ebenfalls die Wahl zwischen dem Traum oder dem Menschen. Gut, dann wählt, was Ihr für richtig haltet.“
„Ich habe eine Verpflichtung…“
„Genau wie ich, und so wird meine auf Euch übergehen und Euch von der anderen befreien. Ihr müßt jetzt mir und den Meinen dienen…“ Der Blick des Sterbenden verschleierte sich.
„Ich hatte geglaubt, ich wüßte, was das Beste für sie sei — doch jetzt wird alles dunkel um mich…“
Er ruckte plötzlich hoch. Husten schüttelte ihn und er spuckte Blut. Rod stützte ihn. Als der Anfall vorüber war, würgte der Riese. „Euer Geist — ist klarer — Ihr müßt — entscheiden…“
„Sei still.“ Rod versuchte ihn wieder auf den Umhang zu legen.
„Verschwende nicht das bißchen Leben, das noch in dir ist…“
„Nein!“ Tom umklammerte erneut Rods Arm. „Laßt mich sprechen. Espers — Tribunal — sie werden es schaffen. Wir -
kämpfen — hier — gegen sie…“
„Spar deine Kraft. Ich weiß, was du sagen willst.“
„Ihr wißt…“
„Ja. Du hast mir das letzte bißchen, was mir fehlte, gerade gesagt. Bleib jetzt ruhig liegen.“
Tom keuchte schwer. „Sagt es mir — ich — muß sicher — sein, daß — Ihr es — wirklich — wißt…“
„Ja, ich weiß es“, murmelte Rod. „Das DDT wird siegen. Ihr könnt es nur hier bekämpfen. Und ihr bekämpft euch untereinander.“
„Ja.“ Tom nickte kaum merklich. „Ihr — müßt jetzt — entscheiden — und — Herr…“ Der Rest war zu leise, als daß Rod ihn hätte verstehen können. Als Tom es bemerkte, kämpfte er um einen weiteren Atemzug, während er Rod besorgt ansah.
Rod beugte sich über ihn und legte sein Ohr dicht an Toms Lippen.
„Sterbt — nicht — für — einen — Traum…“
Rod runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht, was du meinst, Tom!“
Aber er bekam keine Antwort mehr.
Nach einer langen Weile drückte er dem Mann, der ihm zum Freund geworden war, die Augen zu.
„Mei-meister Gallowglass?“ Toby stand neben ihm und starrte verwirrt auf die Bettler, die sich jetzt um Toms Leiche knieten.
„Ja, Toby?“ Rod faßte den Jungen an der Hand und schritt mit ihm durch die Reihen der Bettler.
„Mylord, sie bitten um Pardon. Sollen wir ihn ihnen gewähren?“
„Pardon? O ja. Sie wollen sich ergeben.“ Er drehte sich um und schaute auf die Gruppe um Tom. „Ich weiß nicht. Was meint Brom?“
„Lord O'Berin sagt ja, aber die Königin sagt nein. Die Lords Loguire sind einer Meinung mit Brom.“
„Und trotzdem will die Königin nicht.“ Rod nickte bitter. „Und nun soll meine Stimme den Ausschlag geben?“ Er warf noch einen letzten Blick auf Toms wächsernes Gesicht. „Zum Teufel! Sie sollen ihr Pardon haben!“
Die Sonne war hinter den Bergen versunken. Die zwölf Hohen Lords standen in Ketten vor Catherine, neben der Loguire, Tuan, Brom und Sir Maris saßen. Rod stand in einiger Entfernung von ihnen an Gekab gelehnt. Er hatte den Kopf gesenkt.
Auch der alte Herzog Loguire hatte das Kinn fast auf die Brust gedrückt. Tiefer Gram sprach aus seinen Augen, denn sein Sohn Anselm stand einen Schritt vor den restlichen Lords, unmittelbar vor der Königin.
Catherine trug ihren Kopf hoch. Ihre Augen leuchteten voll Triumph und Macht, und ihre Wangen waren vor Stolz gerötet.
Rod betrachtete sie, und Abscheu stieg in ihm auf. Mit ihrem Sieg war ihre alte Arroganz wiedergekehrt.
Auf ein Zeichen von Brom O'Berin schmetterten zwei Fanfaren, und ein Herold trat vor und verlas eine Verkündigung der Königin.
„Hiermit sei allen kund und zu wissen getan, daß am heutigen Tag der schurkische Vasall, Anselm, Sohn des Herzogs Loguire, sich in blutiger Rebellion gegen Catherine, Königin von Gramayre, erhob, und deshalb wegen Hochverrats vor dem Gericht der Krone steht.“
Der Herold rollte das Pergament wieder zusammen.
„Wer spricht zur Verteidigung des Rebellenführers Anselm?“
Der alte Loguire erhob sich. Er verbeugte sich ernst vor Catherine. Sie dankte ihm mit einem erstaunten, wütenden Blick.
„Nichts kann zur Verteidigung eines Rebellen gesagt werden“, rief Loguire. „Doch wenn ein Mann sich heißen Blutes erhebt, um sich für das zu rächen, was er für ehrenrührige Beleidigung an seinem Vater und seinem Haus erachtet, kann viel gesagt werden, denn selbst wenn sein Vorgehen unüberlegt, ja sogar von Hochverrat gezeichnet gewesen sein mochte, war es doch von gekränkter Ehre und Liebe zum Vater geleitet. Da er nun das Ergebnis vorschnellen Handelns kennt, und ihn sein Herzog und Vater belehren wird, dürfte es durchaus nicht unwahrscheinlich sein, daß er sich seiner Treue und seiner Pflichten gegenüber seiner Herrscherin wieder voll bewußt wird.“
Catherine lächelte süßlich. „Ihr wollt also, Mylord, daß ich diesen Mann begnadige, der den Tod vieler Tausender auf sich geladen hat, und daß ich ihn zur Belehrung und Protektion in Eure Hände gebe, obgleich Ihr Euch diese Aufgabe — wie der heutige Tag nur zu gut beweist — schon einmal nicht gewachsen gezeigt habt!“
Lord Loguire zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen.
„Nein, Mylord!“ rief sie heftig. „Ihr habt bereits Rebellen gegen mich großgezogen und wollt es nun wieder tun!“
Loguires Gesicht verhärtete sich, während Tuan mit vor Grimm gerötetem Gesicht aufsprang.
Von oben herab wandte sie sich an ihn. „Hat der Lord der Bettler auch etwas zu sagen?“
Tuan kämpfte mit knirschenden Zähnen um seine Fassung.
Dann verbeugte er sich. „Meine Königin, Vater und Sohn haben heute tapfer für Euch gekämpft. Habt die Gnade, uns schon deshalb das Leben unseres Sohnes und Bruders zu schenken.“
Catherines Gesicht wurde noch blasser, und ihre Augen verengten sich.
„Ich danke meinem Vater und Bruder“, sagte Anselm mit klarer, ruhiger Stimme.
„Still!“ schrie Catherine schrill. „Verräterrischer, schurkischer, dreimal verhaßter Hund!“
Die Augen der Loguires funkelten, doch sie hielten die Lippen zusammengepreßt.
Keuchend umklammerte Catherine die Armlehnen ihres Thrones. „Ihr werdet erst reden, wenn ich es Euch befehle. Bis dahin habt Ihr Euren Mund zu halten!“
„Das werde ich nicht! Ihr könnt mir gar nicht noch mehr anhaben, denn Ihr, niederträchtige Königin, habt beschlossen, daß ich sterben muß, und nichts wird Euren einmal gefaßten Entschluß ändern. So tötet mich doch und bringt es hinter Euch!“
„Das Urteil kommt aus seinem eigenen Mund“, sagte Catherine spöttisch. „Es ist das Gesetz des Landes, daß ein des Hochverrats Schuldiger sterben muß.“
„Das Gesetz des Landes bestimmt die Königin“, brummte Brom. „Wenn sie einem Rebellen das Leben schenkt, ist es ihr Recht!“
Sie drehte sich zu ihm um. „Was, auch Ihr verratet mich? Steht kein einziger meiner Generale an meiner Seite?“
„Genug!“ donnerte Rod, der plötzlich neben ihr stand und auf sie hinabschaute. „Kein einziger Eurer Generale wird Euch jetzt unterstützen. Sollte Euch das nicht vielleicht auf den
Gedanken bringen, daß Ihr im Unrecht seid? Aber nein, nein, doch nicht die Königin! Weshalb haltet Ihr überhaupt noch Gericht? Ihr habt doch bereits beschlossen, daß er sterben muß!“ Er spuckte vor ihr aus.
„Auch Ihr?“ stöhnte sie. „Auch Ihr wollt einen Verräter verteidigen, der den Tod von dreitausend Männern verursacht hat!“
„Ihr tragt die Schuld am Tod der dreitausend!“ brüllte Rod.
„Ein edler Mann niedriger Geburt liegt tot auf dem Feld, seine rechte Seite ist weggerissen, und die Mäuse nagen an ihm. Und warum? Um ein eigensinniges Balg zu verteidigen, das auf dem Thron sitzt und nicht das Leben eines Bettlers wert ist. Ein Balg, das eine so schlechte Königin ist, daß es eine Rebellion heraufbeschwor!“