Catherine duckte sich auf ihrem Thron und drückte sich gegen die Rückenlehne. Zitternd rief sie: „Seid still! War vielleicht ich es, die rebellierte?“
„Wer gab denn den Edlen mit zu hastigen Reformen und zu hochnäsigen Manieren Grund, sich aufzulehnen? Die Ursache ist es, Catherine. Ohne sie gibt es keine Rebellion! Und wer anders als die Königin hat diese Ursache gegeben?“
„Seid still! Still!“ Sie drückte die Hand auf den Mund, als wollte sie verhindern, laut hinauszuschreien. „So dürft Ihr mit einer Königin nicht reden!“
Rod schaute voll Verachtung auf die sich immer noch vor ihm duckende Königin. Er wendete sich zu Gekab um. „Mir dreht sich der Magen um! Gewährt ihnen Pardon. Viel zu viele mußten heute sterben. Laßt sie leben. Sie werden der Krone treu sein, ohne ihre Ratgeber, die sie aufhetzten. Laßt sie alle leben! Sie haben ihre Lektion gelernt, auch wenn man das von Euch nicht behaupten kann!“
„Ihr geht zu weit!“ keuchte Catherine.
„Ja, das tut Ihr!“ Tuan sprang auf und legte die Hand um den Schwertgriff. „Die Königin gab den Anlaß, das stimmt, aber sie
hat die Gefallenen nicht getötet!“
Catherine blickte ihn dankbar an.
„Solange Ihr die Wahrheit sprecht“, fuhr Tuan fort, „dürft Ihr sie tadeln. Doch wenn Ihr sie beschuldigt, etwas getan zu haben, was nicht so ist, dann darf ich Euch nicht sprechen lassen!“
Rod hatte gute Lust, ihm ins Gesicht zu spucken. Doch statt dessen wandte er sich erneut Catherine zu, die nun wieder hocherhobenen Hauptes auf dem Thron saß und ihre arroganteste Miene aufsetzte.
„Vergeßt nicht“, knurrte er, „daß eine Königin, die ihre Launen nicht unter Kontrolle hat, eine schwache Regentin ist.“
Wieder erblaßte sie.
„Hütet Eure Zunge!“ grollte Tuan.
Die Wut in Rod wurde so mächtig, daß er einen Augenblick erstarrte, bis sie alle Bande in ihm brach und davonflutend eine eisige Ruhe in ihm zurückließ und ihm klar zeigte, was er tun mußte und weshalb — und was die Folgen für ihn sein würden…
Catherine lächelte nun wieder selbstzufrieden und überheblich, als sie sah, daß Rod bei Tuans Drohung zögerte. „Habt Ihr noch etwas zu sagen, Herr?“ fragte sie spöttisch von oben herab.
„Ja! Was ist das für eine Königin, die ihr eigenes Volk verrät?“
Er holte aus und schlug ihr die Hand ins Gesicht.
Sie heulte und schlug gegen die Rückenlehne des Thrones.
Schon war Tuan heran und stieß die Faust vor.
Rod duckte sich unter dem Hieb, packte Tuan und brüllte: „Gekab!“
Tuans Fäuste hämmerten auf ihn ein, aber Rod ließ ihn nicht los. Er sah, daß die anderen Generale herbeistürmten. Doch Gekab war schneller. Rod versuchte zu vergessen, was für ein netter Junge Tuan im Grund genommen war, und hieb ihm das Knie zwischen die Beine. Jetzt gab er ihn frei und sprang in den Sattel, als Tuan fiel und sich vor Schmerzen wand.
Gekab wirbelte herum und sprang über die Köpfe der herbeieilenden Gardesoldaten. Als er davongaloppierte, hörte Rod, wie Catherine Tuans Namen schrie. Grinsend ließ er sich von Gekab weitertragen, doch plötzlich wurde das Grinsen zu einem stummen Schrei, als seine verwundete Schulter zu explodieren schien. Er drehte den Kopf. Der Schaft eines Armbrustge schosses ragte am Rücken heraus. Nachdem sie einen weiten Kreis durch Wald und Feld gezogen hatten und Kilometer weit durch einen Bach gewatet waren, um ihre Spuren zu verwischen, kehrten Rod und Gekab in der Abenddämmerung zu einem Hügel über dem Schlachtfeld zurück.
Am Rand eines Wäldchens ließ Rod sich aus dem Sattel fallen und lehnte sich gegen einen Baum. Er schaute hinunter auf die Lagerfeuer und lauschte dem fröhlichen Lärm der Siegesfeier. Er seufzte und wandte sich dem dringlichsten Problem, nämlich seiner Schulter zu. Trotz des schmerzstillenden Mittels, das er genommen hatte, machte sie ihm zu schaffen. Der Widerhaken des Geschosses schien vor dem Schlüsselbein neben dem Schultergelenk zu stecken. Wie durch ein Wunder hatte es sowohl den Knochen als auch die Schlagader verfehlt. Ein leiser Knall wie von einer Miniaturschockwelle war zu hören. Er schaute hoch und sah Gwendylon sich mit Tränen in den Augen zu ihm herabbeugen. „Mein Lord! Mein Lord! Seid Ihr schwer verletzt?“
Rod lächelte und zog ihren Kopf zu seinem herab. Er antwortete mit einem ausgiebigen Kuß. Errötend befreite sie sich. „Ihr seid wohl doch nicht so schlimm verwundet, wie ich befürchtete.“
„O Mädchen!“ Rod zog sie in seine Arme. „Ich war einsam auf dem langen Ritt!“
„Ich wäre eher gekommen, aber ich mußte warten, bis Ihr endlich anhieltet“, sagte sie entschuldigend. „Doch nun zu Eurer Schulter. Es wird weh tun, mein Lord.“
Rod biß die Zähne zusammen, als sie das festklebende Wams löste. „Verband ist in der Satteltasche“.
Sie kniete sich neben ihn und verhielt sich völlig still. Rod runzelte die Stirn und fragte sich, was sie machte. Plötzlich durchzuckte ihn glühender Schmerz. Er spürte, wie die Geschoßspitze sich behutsam und, wie es schien, ganz von allein genau in der Bahn, die sie verursacht hatte, zurückzog.
Durch schmerzverschleierte Benommenheit dachte er, daß diese Hexen die Erfüllung des Traumes für Chirurgen wären.
Das Geschoß glitt vorsichtig aus seiner Haut, dann plötzlich wirbelte es heftig durch die Luft und zerschmetterte auf einem Stein. „Das werde ich mit allen machen, die Euch Schmerzen zufügen wollen, Mylord!“ fauchte Gwendylon.
Rod schauderte, als ihm das Ausmaß ihrer Kräfte bewußt wurde.
Das Mädchen griff nach dem Verband. „Nein, erst der Puder aus dem Silberbeutel“, hielt Rod sie zurück. „Er stoppt das Bluten.“
„Ich würde lieber Kräuterumschläge verwenden“, sagte sie zweifelnd, „aber wie Ihr wollt.“
„Es sieht so aus, als müßtest du ständig diese Schulter verbinden“, murmelte er.
„Ja, mein Lord. Ich wollte, Ihr würdet besser darauf aufpassen.“
Jemand räusperte sich ganz in der Nähe. Rod blickte auf und sah eine gedrungene Silhouette in den Baumschatten.
„Kommt ruhig herbei, Freund Brom“, rief Rod. „Aber im Gegensatz zu jenem im Tal ist uns nicht nach Feiern zumute.
Für uns sind die Früchte des Sieges heute sauer.“
Brom setzte sich mit gesenktem Kopf, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf eine Wurzel.
Rod runzelte die Stirn. Der Zwerg benahm sich komisch, ungewöhnlich. „Welche Laus ist dir übers Leberlein gelaufen?“ knurrte er.
Brom seufzte und stützte die Ellbogen auf die Knie. „Du hast mir heute viel Herzeleid bereitet, Rod Gallowglass.“
„So wie du es sagst, klingt es eher wie Magenschmerzen. Ich nehme an, du warst nicht sehr erfreut über die Art und Weise, wie die Dinge verliefen?“
„Im Gegenteil, ich war höchst erfreut. Und doch…“ Brom vergrub das Gesicht in den aufgestützten Händen. „Ich muß gestehen, daß ich anfangs erzürnt über dich war.“
„Was du nicht sagst!“
„Ja. Doch das war, ehe ich deinen Plan durchschaute.“
„Ah, und dann kamst du dahinter, was ich beabsichtigte?“
„Nein. Ich werde alt, Rod Gallowglass…“
Rod schnaubte.
„Danke.“ Brom schaute ihn an, dann neigte er den Kopf. „Aber es ist wahr, ich werde alt, und man muß mich erst mit der Nase daraufstoßen…“
„Worauf?“
„Nun, es war eine rührende Szene!“ Brom lächelte ein wenig sarkastisch. „Zuerst brachte Catherine nichts anderes heraus als:,Oh, mein Liebster! Du bist verletzt! Und dann rief sie nach Ärzten und Krautern, bis Tuan endlich auf die Beine kam und versicherte, daß seine Verwundung nicht schwer sei. Und da fiel sie ihm weinend um den Hals und nannte ihn schluchzend ihren Beschützer und den Retter ihrer Ehre. Und sie beruhigte sich nicht, bis er schwor, daß er sie heiraten würde!“ Broms Lächeln wurde weicher. „Ja, es war schön, das zu hören und zu sehen.“