Sie flohen durch die Stadt in ein Viertel mit besser gebauten und erhaltenen Häusern. „Was hältst du von der ganzen Sache, Gekab?“
„Eine totalitäre Bewegung. Ein Machthungriger, der das Lumpenpack anführt, um der Regierung Bedingungen zu stellen, die sie nicht akzeptieren kann. Die Weigerung der Krone wird den Mob zur Gewalttätigkeit anstacheln, und schon kommt es zur Revolution.“
„Könnte es nicht vielleicht lediglich ein ehrgeiziger Adeliger sein, der den Thron an sich reißen möchte?“
„Usurpation verlangt die Unterstützung der oberen Klassen, Rod. Nein, das ist eine proletarische Revolution — ein Präludium zu einer totalitären Regierungsform.“
Rod spitzte die Lippen. „Glaubst du, daß vielleicht eine höher entwickelte Gesellschaft von außerhalb des Planeten ihre Hand im Spiel hat? Ich meine, in dieser Art von Kultur findet man doch normalerweise keine proletarische Revolution, oder?“
„Selten, Rod, und wenn es dazu kommt, ist die Propaganda rudimentär, sie würde in einer mittelalterlichen Gesellschaft nie auf die Grundrechte hinweisen. Dieses Konzept ist einer solchen Kultur absolut fremd. Die Wahrscheinlichkeit einer Einmischung ist groß…“
Rod zog die Lippen zu einem wilden Grinsen zurück.
„Sieht ganz so aus, als wären wir genau zum richtigen Planeten gekommen.“
Am Stadtrand hielten sie vor einem einstöckigen Gebäude in U-Form um einen mit Fackeln beleuchteten Garten an. Ein Holzzaun mit Tor verschloß die vierte Seite. Eine Gruppe lachender, gutgekleideter junger Männer schwankte, ein Trinklied grölend, heraus. Geschirr klirrte und Rufe nach Fleisch und Bier wurden laut.
„Ich glaube, hier haben wir ein besseres Gasthaus gefunden.
Meinst du, daß es in einer solchen Kultur Knoblauchwurst gibt?“
Der Roboter schauderte. „Einen Geschmack haben Sie, Rod!“
„Aus dem Weg! Aus dem Weg!“ brüllte jemand. Rod drehte sich um und sah einen Trupp Kavalleristen auf sie zukommen.
Hinter ihnen rollte eine vergoldete, kunstvoll verzierte Equipage.
Ein Herold ritt vorbei. „Macht Platz für die Kutsche der Königin!“ rief er.
Rod stupste das Pferd mit den Knien. Gekab stellte sich so an den Straßenrand, daß Rod einen guten Blick auf Kutsche und Eskorte werfen konnte.
Durch die nicht ganz zugezogenen Vorhänge sah Rodney eine schlanke Gestalt in einem dunklen Kapuzenumhang, ein feingeschnittenes Gesicht, von fast platinblondem Haar eingerahmt, große dunkle Augen und kleine, sehr rote Lippen, die leicht schmollend verzogen waren. Sehr jung war sie, fast noch ein Kind. Sie saß kerzengerade und wirkte ungemein zerbrechlich, aber auch absolut entschlossen — und irgendwie verloren in ihrer herausfordernden Haltung, die nur zu oft Furcht und Einsamkeit zu verbergen sucht.
„Rod!“
Rod zuckte zusammen. Ihm wurde bewußt, daß die Kutsche längst außer Sichtweite war. Wütend fragte er: „Was willst du, Gekab?“
„Ich fragte mich nur, ob Sie eingeschlafen sind.“ Der schwarze Kopf drehte sich Rod zu, die großen Augen schienen zu lachen.
„Der Traum, Rod?“
„Ich dachte, Roboter hätten keine Gefühle“, brummte Rod finster.
„Nein, aber wir haben es gar nicht gern, wenn unseren Schützlingen jene Eigenschaft fehlt, die man als klaren Menschenverstand bezeichnet.“
Rod bedachte ihn mit einem säuerlichen Lächeln. „Und natürlich wißt ihr Ironie zu schätzen, da sie logischen Ursprungs ist. Und Ironie deutet auf…“
„Eine Art Humor hin, ja. Und Sie müssen doch selbst zugeben, Rod, daß es gewissermaßen erheiternd ist, wenn ein Mensch ein Objekt seiner eigenen Erfindung quer durch die halbe Galaxis verfolgt.“
Rod kaute wütend an der Lippe und antwortete nicht. Also trabte Gekab durch das Gasthaustor. Ein Knecht kam aus dem Pferdestall. Rod warf ihm die Zügel zu und stapfte in die riesige Schankstube. Es ging hoch her in dem rauchigen Raum.
Alle der etwa zwanzig großen und mehreren kleineren Tische waren dicht besetzt. Beleuchtet war die Stube mit Fackeln und Talgkerzen, die auf die Gäste herabtropften und auch auf den Ochsen am Spieß.
Schenkburschen und kräftige, untersetzte Bauernmädchen sorgten für einen ständigen Nachschub aus Küche und Keller, um die Gäste nicht unnötig warten zu lassen. Das Geschäft ging gut heute abend.
Ein großer Mann mit schütterem Haar, vermutlich der Wirt, kam mit einer riesigen, dampfenden Platte aus der Küche. Er blickte auf und sah Rod in seinem goldnen und scharlachroten Wams, dem Degen und Dolch — vor allem den Beutel sah er —, und schon drückte er die Platte einer Schenkdirn in die Hand und rannte eifrig auf Rod zu.
„Wie kann ich Euch zu Diensten sein, mein guter Herr?“ fragte er.
„Mit einem Krug Bier, einem Steak so dick wie Eure beiden Daumen, und einem Tisch für mich allein“, sagte Rod lächelnd.
Der Wirt starrte ihn mit zum O geformten Mund an. Offenbar war Rods Benehmen ungewöhnlich. Und schon nahmen seine Augen einen berechnenden Ausdruck an. Man muß den Burschen ausnehmen, wie man kann, verriet er.
Rods Lächeln wandelte sich in eine finstere Miene. Er mußte
also anders vorgehen. „Worauf wartet Ihr?“ brüllte er. „Beeilt Euch, oder ich säble mir ein Stück von Eurem feisten Hintern ab!“
Sofort verbeugte sich der Wirt tief. „Aber gewiß, My-lord, sofort.“
„Erst den Tisch!“ erinnerte ihn Rod und packte den Wirt an der Schulter. Der Mann führte ihn zu einem Tisch neben einem aufrechtstehenden Baumstamm, der als Stützpfeiler diente.
Es gefiel Rod nicht, daß er hatte grob werden müssen, aber ein weichherziger Bourgeois im Mittelalter war unvorstellbar.
Als der Wirt sofort gesagt hatte, mußte er es wohl auch gemeint haben, denn Steak und Bier wurden bereits aufgetischt, als er noch kaum saß. Der Wirt rieb sich die Hände an der Schürze und blieb mit besorgtem Blick neben Rod stehen, vermutlich, um abzuwarten, ob der Gast auch mit dem Essen zufrieden war.
Rod öffnete die Lippen, um ihn zu beruhigen, als plötzlich seine Nasenflügel zuckten. Ein seliges Grinsen zog über sein Gesicht. Er blickte hoch. „Rieche ich Knoblauchwurst?“
„O ja, Euer Ehren!“ Wieder verneigte der Wirt sich tief.
„Knoblauchwurst der feinsten Sorte. Wenn Euer Ehren vielleicht…“
„Ja, meine Ehren möchte und zwar presto allegro!“ Der Wirt zuckte zurück wie Gekab manchmal auch und eilte davon.
Rod probierte das Steak und spülte mit einem Schluck Bier nach, als bereits ein Teller mit Wurst vor ihm aufgesetzt wurde.
„Sehr gut“, sagte Rod. „Und das Steak ist annehmbar.“
Erleichtert grinste der Wirt und wandte sich zum Gehen, doch dann drehte er sich wieder um. Er zerknüllte nervös den Schurz und murmelte: „Verzeiht, mein Herr, aber…“ Er scharrte verlegen mit den Füßen, ehe er fortfuhr: „Seid Ihr vielleicht ein Zauberer?“
„Wer ich? Ein Zauberer? Lächerlich!“ Rod fuchtelte mit dem Taschenmesser in die allgemeine Richtung des Wirtes, der daraufhin sofort die Flucht ergriff. Rod schüttelte den Kopf und überlegte, wie der Bursche auf die Idee gekommen sei, daß er ein Zauberer sein könnte. Vielleicht hätte ich nicht presto allegro sagen sollen, dachte er. Möglicherweise hielt er diese Worte für eine magische Formel. Und hatten sie nicht auch Wunder gewirkt? Er nahm einen Bissen Wurst und einen Schluck Bier. Er ein Zauberer! Verrückte Idee! Er war zwar der zweite Sohn eines zweiten Sohnes, aber das hatte noch lange nichts zu bedeuten. Außerdem müßte er als Zauberer einen Vertrag mit Blut unterzeichnen, und er konnte absolut keinen Tropfen entbehren. Er leerte seinen Krug und stellte ihn laut auf den Tisch. Sofort eilte der Wirt herbei, um ihn nachzufüllen. Rod wollte ihm dankend zulächeln, dann erinnerte er sich seiner Stellung hier und unterließ es. Er fummelte in seinem Beutel und berührte die unsymmetrische Form eines Nuggets — eine Währung, wie sie auch im Mittelalter akzeptiert wurde, aber schnell wurde ihm bewußt, daß er sich nicht zu großzügig zeigen durfte und holte statt dessen einen winzigen Silberbarren heraus.