Durers Gesicht konnte die verstohlene Selbstzufriedenheit kaum verbergen. Bei den anderen Ratgebern war es nicht viel anders. Was immer auch hier geschehen war, es mußte Durer gerade recht gekommen sein, ja vermutlich war es sogar von ihm in Szene gesetzt worden. Der Mann ist der perfekte Katalysator, dachte Rod. Er wurde nie in die Reaktionen verwickelt, die er auslöste.
Loguire sah seinen Sohn mit stummer Bitte in den alten, rotumränderten Augen an. Aber Anselm gönnte ihm keinen Blick, bis des Herzogs Gesicht zu Stein zu erstarren schien. Als er sich umdrehte, entdeckte er Rod. „Minnesänger!“ donnerte er. „Warum steht Ihr müßig herum? Singt uns etwas Fröhliches!“
Durers Kopf zuckte herum. Bei Rods Anblick weiteten sich seine Augen. Schrecken verzerrte seine Züge und wurde von mörderischem Haß abgelöst.
Rod lächelte vergnügt und verbeugte sich. Er überlegte, welches Lied wohl die Spannung in diesem Raum lösen könnte. Er befürchtete, daß es hier Sitte war, sich abzureagieren, indem man den Minnesänger verprügelte, wenn es ihm nicht gelang, für die erwartete Entspännung zu sorgen.
Er begann eine blutrünstige Moritat zu spielen, weil er es für das Beste hielt, ihnen etwas noch Aufregenderes zu bieten, als das, was immer auch hier vorgefallen war. Er klimperte jedoch zuerst nur herum, ohne gleich zu singen, um die Gesichter der vier Lords zu studieren.
Sie schwankten von brütender Überlegung zu Verachtung (obgleich unterdrückt). Letztere galt offenbar dem alten Herzog. Es sah ganz so aus, als hätte Loguire hier keine Unterstützung. Alle schienen auf der Seite seines Sohnes zu sein. „Minnesänger!“
Rod schaute auf. Es war Anselm, der ihn gerufen hatte. Sein Gesicht war in Bitterkeit erstarrt. „Habt Ihr vielleicht ein Lied über einen, den eine Frau zum Narren hält und der ein doppelter Narr ist, weil er sie trotzdem liebt?“
„Genug!“ donnerte Loguire, doch ehe Anselm etwas sagen konnte, erwiderte Rod: „Viele, mein Lord, aber von einem Mann, der die Frau, die ihm weh getan hat, immer noch liebt.
Und in allen kehrt sie zu ihm zurück.“
„Hah, sie nimmt ihn wieder auf — um ihn an einem langen Strick von den Zinnen baumeln zu lassen!“
Der alte Herzog richtete sich auf. „Genug der Verleumdung!“ brüllte er.
Anselms Stuhl kippte nach hinten, als er aufsprang. „Und ist es Verleumdung, daß sie den stolzen Namen Loguire in den Schmutz gezogen hat? Und nicht nur einmal, sondern zweimal, und sie wird es noch öfter tun!“ Er schlug die Faust auf den Tisch. „Diese Hexe wird noch lernen, daß sie die Ehre ihrer Edlen nicht ungestraft verletzen darf. Wir müssen sie von ihrem Thron zerren und sie ein für allemal unter unseren Füßen zertreten!“
Loguires Gesicht lief tiefrot an. Er öffnete den Mund, doch ehe er etwas erwidern konnte, murmelte Rod: „Nein, mein Lord, nicht so hart. Nicht gleich Vernichtung, sondern eine Lehre!“
Er stand im Kreuzfeuer von laserstrahlgleichen Blicken Anselms und Durers, aber Loguire polterte mit der Freude und Erleichterung eines Riesen: „Ja! Unser Minnesänger spricht zwar ungebeten, aber er hat recht! Unsere junge Königin ist eigensinnig, doch das ist auch ein Füllen, ehe man ihm das Zaumzeug anlegt. Sie muß erst noch lernen, daß ihre Macht nicht absolut ist, daß auch andere das Recht haben, ein Wort mitzureden. Sie ist immerhin die Herrscherin und darf nicht gestürzt werden!“
Anselm stieß einen gurgelnden Laut aus. Er würgte vor Wut und stotterte fast in seinem Grimm. „Nein — ich sage nein! Eine Frau als Monarch? Das ist Spott und Hohn! Und noch dazu eine arrogante, hurende…“
„Halt den Mund!“ Selbst die vier anderen Hohen Lords schraken vor dieser Donnerstimme zurück.
Anselm zuckte zusammen und schien sichtlich zu schrumpfen, während Loguire an Größe wuchs. Und dann, mit einer Würde, wie Rod sie noch nie an einem Mann gekannt hatte, ja, mit der wahrhaft majestätischen Würde, die nur aus dem innersten Wesen selbst kommen kann, setzte Loguire sich wieder und sagte, ohne den Blick von seinem Sohn zu lassen: „Zieh dich in deine Gemächer zurück. Wir werden bis zum Konklave heute abend nicht mehr davon sprechen!“
Irgendwie gelang es Anselm, das Kinn zu heben und sich auf dem Absatz umzudrehen. Auf dem Weg zur Tür fiel sein Blick auf Rod. Wut stieg in ihm auf. Er hob den Arm, um den Minnesänger zu schlagen.
„Nein!“ donnerte Loguire, und Anselm erstarrte.
„Dieser Mann“, erklärte der Herzog betont langsam, „hat die Wahrheit gesprochen. Ich dulde nicht, daß jemand Hand gegen ihn erhebt!“
Anselm senkte den Blick. Er riß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu.
„Minnesänger, spielt!“ brummte Loguire. Rod stimmte eine Weise auf der Harfe an, während er nachdachte. Heute abend
würde also Kriegsrat abgehalten werden, und der Hauptpunkt war zweifellos die konstitutionelle Monarchie gegen die Souveränität der Hohen Lords, auch wenn das vielleicht nur Durer und ihm klar war. Nun, er, Rod, wußte jedenfalls, auf wessen Seite er stand.
Sie kamen in dem neuen Bankettsaal zusammen, nicht nur die zwölf Hohen Lords, sondern mit ihnen ihre Lehnsleute, Grafen, Barone, Ritter. Und zur Seite eines jeden stand, oder eher noch, kauerte einer der ausgemergelten kleinen Männer. Rod pfiff lautlos durch die Lippen. Er hatte nicht gewußt, daß es so viele dieser Ratgeber gab. Mit einem Blick geschätzt waren es mindestens fünfzig, wenn nicht siebzig. Und möglicherweise gab es außerhalb seines Blickfelds noch mehr, und sein Blickfeld war momentan arg beschränkt. Er schaute durch ein Loch in der Wand hinter Lord Loguire in den Saal. Das Loch war dadurch entstanden, daß er von einer Fackelhalterung einen der drei Haltestifte entfernt und dahinter das Loch kopfgroß erweitert hatte.
Rod stand in der klammen Dunkelheit eines schmalen Ganges. Seine Rechte ruhte auf einem Hebel. Wenn er ihn nach unten drückte, mußte der Stein vor ihm zur Seite schwingen und sich eine Öffnung bilden, die groß genug war, ihn hindurchzulassen. Nach den Mienen der Lords, die ihre Gesichter Loguire zuwandten, würde es vermutlich notwendig werden, einzugreifen.
Der Mann unmittelbar vor dem Herzog war Anselm. Bourbon und di Medici standen links und rechts von dem jungen Mann, und Durer links von Loguire.
Der Herzog erhob sich schwer. „Hier in diesem Saal“, begann er, „sind alle von edlem Blut und die wahre Macht Gramayres zusammengekommen, um über eine passende Belehrung Königin Catherines zu beraten.“
Herzog Bourbon spreizte die Ellbogen und legte die Hände auf die Schenkel. Er erweckte den Eindruck eines großen
schwarzen Bären mit den zottligen Brauen und dem Urwald von einem Vollbart. „Nein, guter Onkel!“ widersprach er funkelnden Blickes. „Wir sind hier, um zu besprechen, wie wir sie stürzen können, sie, die unsere Ehre in den Schmutz zieht.“ Loguires Schultern strafften sich, seine Augen weiteten sich vor Entrüstung. „Nein!“ würgte er. „Es besteht nicht genug Grund…“
„Grund!“ Bourbons Stimme zitterte. „Sie hat uns höhere Steuern auferlegt als je in der Geschichte Gramayres und dann die Einnahmen an den Abschaum von Bauern vergeudet. Jeden Monat schickt sie ihre Richter zu uns, um sich Beschwerden von allen in unseren Ländereien anzuhören. Jetzt will sie auch noch die Priester selbst ernennen. Und da sagt Ihr, wir hätten nicht genug Grund? Sie beraubt uns unserer rechtmäßigen Herrschaft innerhalb unserer eigenen Domänen. Und um allem die Krone aufzusetzen, beleidigt sie uns auch noch vor allem Volk, indem sie sich erst die Petition von schmutzigen Bettlern anhört, ehe sie uns ihr Ohr leiht!“
Medici hatte sich zu seinem Ratgeber hinabgebeugt. Jetzt richtete er sich auf und rief: „Und hat ein Monarch je zuvor Petitionen seiner Bauern in seinem Audienzsaal angehört?“ „Nie!“ donnerte Bourbon. „Aber nun zieht die Königin Bettler und Bauern uns vor! Sie mißachtet alle Tradition! Und das jetzt, während sie noch ein Kind ist, mein verehrter Herzog Loguire. Was wird sie erst tun, wenn sie erwachsen ist?“ Er hielt kurz an, um Atem zu holen, dann knurrte er: „Wir haben gar keine andere Wahl, als sie zu stürzen!“