„Ja!“ pflichtete ihm di Medici bei, und alle anderen stimmten in das Ja ein, bis es durch den riesigen Saal hallte. „Und ich sage nein!“ donnerte Loguire über alle hinweg. Schweigen senkte sich auf die Anwesenden herab. „Sie ist unsere Herrscherin. Kapriziös, ja, und despotisch, hitzköpfig und eigensinnig, all das, ja, das ist sie. Aber das sind die üblichen Untugenden der Jugend, eines Kindes, das man die Grenzen seiner Macht erst noch lehren muß, und es ist an uns, sie ihr zu zeigen, sie darauf hinzuweisen, wo sie sie überschritten hat. Das dürfen wir tun, doch nicht mehr!“ „Eine Frau kann nicht weise regieren“, murmelte di Medicis Ratgeber, und di Medici griff es sofort auf. „Mein teurer Vetter“, wandte er sich an Loguire. „Gott schuf die Frauen nicht dazu, ein Land zu regieren.“
Sofort stieß Bourbon ins gleiche Horn. „Ja, guter Onkel! Weshalb will sie uns keinen König geben? Sie soll heiraten, wenn sie wirklich möchte, daß dieses Land weise regiert wird!“ „Es ist ihr Recht, zu regieren!“ polterte Loguire. „Sie ist vom Blute der Plantagenets, dem Herrschergeschlecht dieses Landes, seit es besteht! Mein guter Neffe, vergeßt Ihr so leicht den Eid, den Ihr diesem Namen geleistet habt?“ „Die Korruption macht auch bei Dynastien nicht halt!“ murmelte Bourbons Ratgeber mit funkelnden Augen. „Ja!“ donnerte Bourbon. „Das Blut der Plantagenets ist zu dünn, es brachte nur noch ein kleines Mädchen mit den Launen einer starrköpfigen Frau hervor. Wir brauchen neues Blut für unsere Könige!“
„Vielleicht das der Bourbons?“ fragte Loguire verächtlich. Bourbon lief tief rot an, aber schon rief di Medici: „Nein, teurer Vetter, das beste, das höchste Blut. Anselm Loguire wird unser neuer König sein!“
Loguires Kopf zuckte zurück, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Mit zitternder Hand stützte er sich auf die Stuhllehne. Er schaute zu seinem Sohn, der triumphierend nickte. „Es ist also ein abgekartetes Spiel! Schon vor dieser Zusammenkunft habt ihr euch besprochen — hinter meinem Rücken! Und wer hat euch dazu angestachelt?“ Mit finsterem Blick musterte er Durer.
„Du!“ brüllte er. „Vor fünf Jahren kamst du zu mir, und ich alter Narr war sogar noch erfreut darüber. Und dann kamen
nach und nach alle deine Bastarde — und immer noch hielt ich es für gut!“
Er wandte sich nach rechts. „Anselm, den ich einst meinen Sohn nannte, wach auf und hör mich an! Hüte dich vor dem Vorkoster, denn er hat die beste Möglichkeit, dich zu vergiften!“
Rod wurde plötzlich klar, wie die Zusammenkunft enden würde. Die Ratgeber durften das Risiko nicht eingehen, Loguire am Leben zu lassen. Der alte Herzog war immer noch stark und nicht unterzukriegen und es mochte ihm durchaus wieder gelingen, die Hohen Lords auf seine Seite zu bekommen.
Anselm legte die Hand auf Durers Schulter. Der Ratgeber hatte Loguire kategorisch verlassen und sich neben seinen Sohn gestellt. „Ich vertraue diesem Mann. Er war von Anfang an auf meiner Seite, und ich bin für seine Weisheit dankbar — so wie ich es für deine sein werde, wenn du dich uns anschließt.“
Loguire verengte die Augen. „Nein!“ spuckte er. „Lieber sterbe ich, als zum Verräter zu werden, wie ihr!“
„Ihr sollt haben, was ihr begehrt!“ rief Durer. „Welche Todesart zieht Ihr vor?“
Anselm starrte ihn an. „Halte dich zurück, Durer! Er ist ein alter Narr, ja, und steht gegen das Wohl des Landes. Aber er ist mein Vater, und ich werde nicht dulden, daß jemand Hand an ihn legt!“
Durer hob die Brauen. „Ihr wollt eine Schlange an Eurem Busen nähren, Mylord? Aber nicht Ihr allein habt zu entscheiden, sondern alle Lords.“ Er hob die Stimme. „Was sagt Ihr, edle Herren? Soll dieser Mann sterben?“
Rod überlegte. Er mußte Loguire herausholen. Er konnte die Geheimtür öffnen und den Herzog mitsamt Stuhl herausziehen, ehe die anderen wußten, was ge schah. Aber konnte er sie auch rechtzeitig wieder schließen? Die anderen waren zu nah. Und vor allem würde Durer schnell handeln.
Ein zögerndes, aber einstimmiges Ja hallte durch den Saal. Durer verneigte sich spöttisch. „Das Urteil, mein Lord, ist der Tod.“ Er zog das Rapier und holte aus. Im gleichen Augenblick erlosch das Licht. Rod blieb einen Moment wie erstarrt in der totalen Dunkelheit stehen, dann zog er mit aller Kraft den Hebel. Das Ächzen und Knarren des zurückgleitenden Steines brach die Totenstille, und sofort schrien alle durcheinander. Der Lärm würde Rod von Nutzen sein. Er tastete blind um sich und stieß gegen jemandes Brustkasten. Der Jemand brüllte und holte mit der Klinge aus. Sie zischte dicht über Rods Kopf hinweg. Eine Sekunde schaltete er das Licht seiner Dolchscheide an und erkannte den Jemand als Lord Loguire. Doch auch ein anderer hatte sich in dem flüchtigen Lichtschein orientiert. Ein knorriger, kleiner Körper stieß heulend vor Wut gegen Rod, und gleichzeitig stach eine Klinge in Rods Schulter. Durch reinen Zufall gelang es ihm, Durers Handgelenk zu fassen und den zurückgezogenen Dolch, der schon fast seine Kehle erreicht hatte, zu stoppen.
Der Kleine war unheimlich stark und zäh. Immer näher drang die Dolchspitze an Rods Hals. Er spürte bereits die ersten Blutstropfen, als plötzlich ein grauenvolles, ohrenbetäubendes Ächzen den Saal erfüllte, dem gleich Panikschreie folgten. Drei riesige schimmernde, durchscheinende Gestalten schwebten durch die Luft. Knochengesichter waren zu sehen, mit den Mündern zu großen Os gerundet. Horatio und zwei andere ehemalige Loguires amüsierten sich köstlich. Rod brüllte: „Gekab, sechzig Hertz!“ Betäubendes Dröhnen summte in seinen Ohren und sofort schwand seine Furcht. Hastig schaltete er wieder das Hüllenlicht ein und fand Loguire. Rod duckte sich, rammte ihm den Schädel in den Magen, schwang ihn sich über die gute Schulter, und eilte zur Öffnung. „Drückt die Hände an die Ohren, ihr Narren!“ kreischte Durer und folgte Rod, der die Öffnung nicht gleich finden konnte.
Panik griff nach ihm, denn mit Loguire auf der Schulter hatte er gegen den drahtigen Kleinen keine Chance.
Kalte Luft blies gegen seine Wange. „Mir nach!“ donnerte Horatio. Rod gehorchte, und so gelangten sie durch die Öffnung. „Schnell, Mann!“ polterte der Geist. „Der Stein! Ihr müßt ihn schließen!“ Rod nickte keuchend und tastete nach dem Hebel. Knarrend schloß sich die Öffnung. Er setzte den Herzog, der allmählich zu sich kam, auf den Steinboden.
Immer noch keuchend blickte er zu Horatio hoch. „Habt Dank für die Rettung!“ krächzte er.
Horatio winkte ab. „Tot hättet Ihr Euren Eid nicht erfüllen können“, brummte er.
„Wie habt Ihr das eigentlich geschafft, alle Fackeln gleichzeitig zu löschen?“ fragte Rod nach einer Weile.
„Ich dachte, das hättet Ihr getan, Zauberer.“
Rod starrte ihn mit weit offenem Mund an. „Ich dachte, Ihr hättet — und Ihr dachtet, ich hätte… Aber wer war es dann?“
Ein Lichtstrahl drang durch das von Rod geschaffene Guckloch. Horatio heulte furchterfüllt auf und verschwand.
Rod spähte durch das Loch. Durer stand auf der Plattform und stieß mit dem Dolch um sich. „Wo? Wo?“ heulte er.
Rod half Loguire, der noch völlig benommen war, auf die Beine. „Wer — wer war das?“ fragte er, während Rod ihn hinter sich herzog. „Dieser Mann in Weiß?“
Offenbar stand Loguire noch unter Schock. Er mußte ihn also vorsichtig behandeln. „Einer Eurer Verwandten, Mylord. Kommt, wir müssen uns beeilen.“
„Verwandter?“ murmelte Loguire, aber er lief hinter Rod her, bis sie um eine Biegung kamen, dahinter würde es dunkel sein, da das Licht aus dem Guckloch nicht so weit reichte. Doch als sie um die Ecke bogen, schimmerte etwas voraus — eine Gestalt mit einer phosphoreszierenden Lichtkugel in der Hand und zutiefst besorgtem Gesicht.
„Gwendylon!“ rief Rod.
Ihr Gesicht strahlte erleichtert auf.
„Was, zum Teufel, machst du da?“
Unschuldigen Blickes antwortete sie: „Ich folgte Euch, Mylord.“
„Aber, aber… Du mußt mich doch jetzt hassen, so war es schließlich gedacht!“
„Nie, mein Lord“, sagte sie ernst. Rod dachte wieder daran, was Tom über Bauernmädchen gesagt hatte, doch dann betrachtete er das kugelförmige Feuer in ihrer bloßen Hand.