Sie befanden sich in einer riesigen ehemaligen Küche. Die dichten Spinnweben verrieten, daß sie schon lange nicht mehr benutzt wurde.
„Was hat ein guter Junge wie du, Tom, eigentlich hier zu suchen?“ brummte Rod. Tom schnaubte verächtlich. „Nein, ich meine es wirklich“, versicherte ihm Rod. „Einen Gott, ein Idol, schätzt man nach den Menschen ein, die es anbeten.“
„Seid still!“ knurrte Tom.
„Aber ich habe doch recht, oder? Die Ratgeber sind bis ins Mark verderbt, das wissen wir schließlich. Und der Spötter und seine Kumpane sind schmutzigstes Ungeziefer. Du bist der einzige anständige Mann in dem Haufen, weshalb willst du nicht…“
„Haltet den Mund!“ brummte Tom drohend und packte Rod am Kragen seines Wamses. „Und was ist mit der Königin und
ihren Göttern, eh?“ Wütend schob er Rod gegen die Wand und ließ ihn los. Rod schüttelte sich und sah im Schein einer Fackel den Haß in Toms Augen, ehe er vorwärtsschlich.
„Löscht die Fackeln!“ flüsterte er kurz darauf über die Schulter zurück. „Wir kommen gleich an eine Biegung, und dahinter hält ein Posten Wache. Vorsicht, Jungs!“
Als sie sich der Ecke näherten, hörten sie zu ihrer Rechten, aus dem neuen Schlafsaal, schwaches Schnarchen. Tom drückte sich an die Wand, und schnell folgten Rod und Tuan seinem Beispiel.
„Halt!“ brüllte eine Stimme hinter der Biegung.
Erschrocken hielten die drei den Atem an.
„Wohin zu dieser Stunde?“ fragte der Posten drohend.
Eine zitternde, nasale Stimme antwortete: „Auch nachts muß man manchmal!“
„Aha!“ rief der Posten, „sicher nur, weil gleich neben den Toiletten der Frauenschlafsaal ist, hm? Nein, Bürschchen, zurück auf dein Lager. Dein Liebchen ist heute nacht nicht für dich!“
„Aber ich…“
„Du kennst die Bestimmungen, Freundchen. Du mußt zuerst schon die Erlaubnis des Spötters einho len.“ Mit vertraulicherer Stimme fuhr er fort: „So schwierig ist es doch nicht, den Schein von ihm zu bekommen. Dann hält dich niemand auf und du hast es schwarz auf weiß, wo und zu welcher Zeit du es treiben kannst.“
Der andere spuckte hörbar aus. „Ja“, höhnte er. „Und jede Nacht brauche ich einen neuen Schein, wenn ich sie sehen will.
Verdammt, das war bisher das einzige auf der Welt, das man ohne Erlaubnis von anderen tun konnte!“
Die Stimme des Postens wurde wieder hart. „Das Wort des Spötters ist Gesetz im Haus, und ich werde ihm mit dem Prügel Nachdruck verleihen!“
Ein wütendes Knurren war zu hören, dann sich entfernende, schlurfende Schritte. Nach einer Weile setzte erneut Stille ein, bis der Posten wieder zu schnarchen begann.
Rod schaute Tuan an. Das Gesicht des Jungen war fahl, und die Lippen hatte er so fest zusammengepreßt, daß sie weiß wirkten.
„Ich nehme an, davon wußtet Ihr nichts, oder?“ flüsterte Rod.
„Nein. Als sie mich erst abserviert hatten, vergeudeten sie keine Zeit. Eine Wache vor jedem Zimmer. Ein Stück Papier als Erlaubnis, daß zwei ein Bett miteinander teilen dürfen — das ist schlimmer als die Lords des Südens!“
Toms Kopf ruckte hoch. „Nein!“ knurrte er. „Es ist jetzt nur ein wenig unbequem, aber das Resultat ist diesen Preis wert.“
„Welches Resultat kann schon einen solchen Preis wert sein!“ schnaubte Tuan und hob seine Stimme ein wenig.
„Nun“, grollte Tom. „Mehr zu essen für alle, mehr und bessere Kleidung, keine Armen und Hungernden mehr.“
„Und alles dank einer geplanten Elternschaft!“ murmelte Rod kopfschüttelnd mit einem vorsichtigen Blick auf die Erde.
„Und wie soll das möglich sein?“ fragte Tuan und hob trotz der besorgten Gesten Rods die Stimme um ein weiteres. „Mit einem Erlaubnisschein für eine Liebesnacht? Ich wüßte nicht, wie!“
„Nein, Ihr ganz gewiß nicht“, sagte Tom verächtlich. „Aber der Spötter weiß sehr wohl, was er tut.“
„Wie erlaubst du dir, mit mir zu sprechen!“ Tuan zog seinen Dolch, und schon hatte auch Tom seinen in der Hand.
Rod schob die beiden auseinander. „Meine Herren! Auch wenn eure Meinung in dieser Sache auseinandergeht, muß ich doch bitten, Ruhe zu bewahren. Jeden Moment kann der Posten wieder aufwachen und das ganze Haus zusammenbrüllen.
Wollt ihr das wirklich?“
Die beiden funkelten einander wütend an, aber sie steckten die Dolche wieder ein. „Und was machen wir jetzt mit dem Posten?“ fragte Rod.
„Wir können nur eines tun“, antwortete Tuan. „Ihn aufwecken und gegen ihn kämpfen.“
„Was?“ knurrte Tom. „Daß er Alarm schlägt? Nein, nein! Wir schleichen uns an ihn heran und versetzen ihm einen Schlag auf den Schädel.“
„Das ist unehrenhaft“, protestierte Tuan.
Tom spuckte verächtlich aus. „Toms Plan ist schon in Ordnung“, beruhigte Rod Tuan. „Nur was ist, wenn der Mann aufwacht, während wir uns anschleichen?“
Tom zuckte die Schultern. „Dann müssen wir uns auf ihn werfen. Wenn wir dabei sterben, sterben wir eben.“
„Und die Königin mit uns“, brummte Rod. „Nein! Laßt euch was anderes einfallen.“
Tom zog seinen langen Dolch wieder hervor und balancierte ihn auf einer Fingerspitze. „Ich treffe den Burschen auf fünfzig Schritt in die Kehle.“
„Das ist schlimmer als ein Stoß in den Rücken!“ wehrte Tuan ab. „Wir müssen ihm eine Chance geben, sich zu verteidigen.“
„O ja?“ höhnte Tom. „Damit er das ganze Haus aufweckt mit seinem Gebrüll?“
Rod hielt beiden den Mund zu und war nur froh, daß er nicht drei Begleiter mitgebracht hatte. Er zischte Tom zu. „Hab Geduld. Er ist schließlich neu in diesem Job!“
Tuan richtete sich hoch auf und funkelte jetzt beide wütend an.
Rod flüsterte Tom direkt ins Ohr. „Wenn du nicht wüßtest, daß er ein Aristokrat ist, wie würdest du ihn dann einschätzen?“
„Als tapferen Mann und guten Kämpfer“, gestand Tom ein, „wenn auch arg jung und töricht und mit zu vielen Idealen belastet.“ Er schaute Rod an. „Also gut, ich werde versuchen, mit ihm auszukommen, aber wenn er noch einmal zu predigen versucht…“
„Wenn wir die Sache schnell genug hinter uns bringen, wird er keine Zeit dazu haben. Ich habe eine Idee.“
„Warum habt Ihr uns dann überhaupt gefragt?“ grollte Tom.
„Weil sie mir erst kam, als ihr zwei euch in die Haare geraten
seid. Wir brauchen eine Kompromißlösung, richtig? Tuan läßt ein Messer in den Rücken nicht zu und auch keines in Brust oder Kehle, solange der Bursche schläft. Er will eben keinen treuen Untertanen töten, weil er vielleicht schon morgen gutes Kanonenfutter abgeben könnte. Richtig?“
„Nicht das ist der Grund“, brummte Tuan.
„Und Tom will dem Posten keine Chance geben, Alarm zu schlagen — und ich auch nicht, ganz nebenbei bemerkt. Wir sind alle drei gute Kämpfer, aber nur drei gegen ein ganzes Haus voll Messerstecher ist wohl utopisch. Tom, wenn der Posten plötzlich um die Ecke rennen sollte, würdest du ihm dann nur ganz leicht über den Schädel schlagen?“
„Sicher!“ Tom grinste.
„Leicht, sagte ich. Läßt sich das mit Eurer Ehre vereinbaren, Tuan?“
„Ja, da er uns dann das Gesicht zuwendet.“
„Gut, dann brauchten wir nur noch eine Maus, der er um die Ecke nachjagt.
„Das ist einfach“, brummte Tom. „Der Meister kann eine machen.“
„Eine machen?“ Rod starrte ihn an.
„Aber ja.“ Tuan nickte heftig. „Ihr seid doch ein Zauberer und hier an der Wand wächst soviel Hexenmoos. Was braucht Ihr mehr?“
„Huh?“ Rod schluckte. „Heißt das, daß Hexen das Zeug für ihre Zwecke benutzen?“
„Natürlich! Wieso wußtet Ihr das nicht? Sie formen kleine lebende Dinge daraus — wie Mäuse!“
In Rods Kopf klickte es. Das war also das fehlende Glied im Rätsel um Gramayre. „Schön und gut“, brummte er. „Aber das ist nicht meine Art von Zauberei.“ Er legte die Hände als Trichter vor den Mund und rief leise: „Gwen! Gwen-dy-lon!“