„Ihr wurdet in Schmutz und Elend geboren, zu harter, rückenkrümmender Arbeit! Zu leeren Bäuchen und ohne ein Dach über euren Köpfen, richtig?“
„Ja! Ja!“
„Wer füllte euch die Bäuche? Wer gab euch mit die sem Haus ein Dach über eure Köpfe?“
„Ihr, Tuan!“
„Ja, ich holte euch aus eurem Elend. Aber wer war schon vor eurer Geburt an an diesem Elend schuld? Wer hat euch Jahrhundert um Jahrhundert tiefer in den Schmutz getreten?“
„Die Edlen!“ brüllte der Bucklige. Sofort griffen die anderen es
auf. „Die Edlen! Die Edlen!“
Rod wand sich unter dem Haß, den sie in dieses Wort steckten.
„Ja, die Edlen!“ bestätigte Tuan und ließ die Meute kurz toben, ehe er weitersprach. „Aber wer unter all den Hochgeborenen ergriff eure Seite? Wer gab euch zu essen, wenn ihr gehungert habt? Wer hörte euch an? Wer schickte Richter aus, um euch Gerechtigkeit zu bringen, statt der Willkür der Edlen?“
„Die Königin!“ rief er.
„Die Königin!“ echoten sie.
„Sie verschloß den Edlen ihr Ohr, um euch hören zu können!“
„Ja!“
„Aber sie hat Euch verbannt, Euch, unseren Tuan Loguire!“
schrie der Bucklige.
Tuan lächelte. „Hat sie das wirklich? Oder hat sie mich zu euch gesandt, um unter euch zu leben und Gutes zu tun?“ Er warf die Arme wieder hoch, und sie brüllten begeistert.
„Die Königin hat euch euer Geburtsrecht wiedergegeben!“
„Ja!“
„Seid ihr Männer?“
„Ja! Ja!“
„Werdet ihr kämpfen?“
„Ja!“
„Gegen die Edlen für eure Königin?“
„Ja! Ja!“
Immer lauter wurde das Brüllen. Die Bettler begannen herumzuhüpfen, die Männer griffen nach den Frauen unter ihnen und wirbelten sie herum.
„Habt ihr Waffen?“ brüllte Tuan.
„Ja!“ Dolche stießen glänzend in die Höhe.
„Dann stürmt aus dem Haus und durch das Südtor der Stadt.
Die Königin wird euch Proviant und Zelte geben! Dann setzt euch in Marsch zum Bredenfeld und wartet dort auf die Edlen!
Und jetzt geht! Geht! Für die Königin!“
„Für die Königin!“
Tuan schnippte mit den Fingern. Die Trommel dröhnte.
„Signal! Gallowglass!“
Rod legte das Horn an die Lippen und schmetterte das Signal.
Die Menge verteilte sich auf die Zimmer und Schlafräume, wo sie ihre Waffen und Beuteln holte.
„Geschafft!“ Tuan sprang von der Brüstung auf die Galerie. „In zwei Tagen haben sie das Bredenfeld erreicht!“ Er grinste und schlug Tom auf die Schulter. „Wir haben es geschafft, Tom!“
„Puh!“ keuchte Tuan, als Tom ihn wieder losließ. Er wandte sich an Rod. „Geht Ihr, Freund Gallowglass, zur Königin, damit sie ihren Soldaten die nötigen Befehle erteilt. Ersucht sie, Fleisch, Brot, Bier und Zelte an die Bettler verteilen zu lassen. Und seht zu, daß diese Halunken in die Verliese der Königin geworfen werden.“ Er deutete auf die vier Baumelnden. „Lebt wohl!“ Und schon sprang er die Stufen hinunter.
„Heh, wartet!“ brüllte Rod ihm nach. „Was habt Ihr vor?“
„Ich muß meine Leute zum Bredenfeld begleiten“, rief Tuan zurück, „sonst plündern sie unterwegs alles kahl wie die Heuschrecken und bringen sich bei der Verteilung der Beute auch noch um. Versichert Catherine meiner…“ Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „… Loyalität.“
Und schon rannte er dem Mob voran, der aus dem Tor quoll.
Rod und Tom tauschten einen Blick aus, dann eilten sie zum flachen Dach hoch, von wo aus sie die singende Meute beobachteten, die Tuan folgte.
„Glaubst du, er braucht Hilfe?“ murmelte Rod.
Tom starrte ihn erstaunt an. „Er, Herr? Nein, wohl eher, die, die sich gegen ihn stellen wollen, mit dieser Armee in seinem Rücken.“
„Aber er ist nur einer, Tom! Einer, der zweitausend körperliche und seelische Krüppel führt!“
„Zweifelt Ihr jetzt noch an seinen Kräften, Meister? Nach
allem, was Ihr hier gesehen und gehört habt?“
„Nein.“ Rod schüttelte den Kopf. „Es gibt mehr Hexerei in diesem Land, als ich ahnte, Tom.“
„Weckt die Königin und sagt ihr, wir warten im Audienzsaal“, befahl Brom der eilig geweckten Leibmagd. „Schnell!“
Er schlug die Tür zu und drehte sich zum Kamin um, wo Rod mit Toby saß, der mit nur einer Stunde Schlaf nach einer sehr ausgedehnten Hexenparty die Augen kaum offenzuhalten vermochte.
„Natürlich“, murmelte er mit dicker Stimme, „wollen wir der Königin auf jede uns mögliche Weise helfen, aber was könnten wir in einer Schlacht schon nutzen?“
„Überlaß das mir.“ Rod lächelte. „Ich werde etwas für euch zu tun finden. Du sorgst inzwischen dafür, daß die Hexen der Königin sich auf dem Bredenfeld einfinden, sagen wir in…
Was meinst du, Brom O'Berin?“
„In drei Tagen. Wir brechen bei Morgengrauen auf und marschieren etwa drei Tage.“
Toby nickte. „Wir werden dort sein, meine Herren. Und nun, wenn Ihr mich entschuldigen würdet?“ Er erhob sich, sank jedoch mit einem leisen Aufschrei auf den Stuhl zurück und preßte die Hände an den Kopf.
„Langsam, langsam, Junge. Ist wohl dein erster Kater?“
„O nein.“ Toby blickte Rod mit rotunterlaufenen Augen an.
„Aber es ist das erstemal, daß ich wach bin, wenn der Rausch sich zum Kater wandelt. Entschuldigt…“
Die Luft brauste in ihren Ohren, als sie den Raum einnahm, wo Toby sich gerade noch befunden hatte. Rod sah Brom kopfschüttelnd an. „Diese Teleporter!“
Der Zwerg runzelte die Stirn. „Tele-was?“
„Uh…“ Rod fluchte insgeheim über seinen Ausrutscher. „Ich nehme an, er ist wieder in sein Bett zurückgekehrt. Er kann also hier verschwinden und dort wieder erscheinen.“
„Ja, so schnell wie der Gedanke.“
Rod nickte. „Das wußte ich, Und gerade das kann uns von Nutzen sein.“
„Was hast du mit ihnen vor, Rod Gallowglass?“
„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht lasse ich sie Federn in die Rüstungen der Ritter aus dem Süden zaubern. Dann sterben sie vor Lachen.“
„Du weißt also noch gar nicht, wozu du sie einsetzen willst und befiehlst sie trotzdem auf das Schlachtfeld?“
„Ja. Ich glaube, ein wenig Hexerei kann manchmal recht nützlich sein.“
„O ja.“ Brom lächelte verschmitzt. „Sie hat dir zweimal das Leben gerettet, nicht wahr?“
Rod starrte ihn an. „Sie? Wer, sie? Wen meinst du?“
„Gwendylon, wen sonst?“
„Du kennst sie? Ja, natürlich. Sie steht ja auf ziemlich gutem Fuß mit den Elfen, außerdem hat sie dich auch geholt, uns aus dem Verlies zu befreien.“
„Sag mir, liebst du sie?“ fragte Brom plötzlich ernst.
„Lieben? Was geht das dich an?“
Brom winkte ungeduldig ab. „Es geht mich etwas an, lassen wir es dabei bewenden. Liebst du sie?“
„Ich lasse es nicht dabei bewenden!“ Rod richtete sich in seiner Ehre gekränkt auf.
„Ich bin der Elfenkönig!“ schnaubte Brom. „Geht mich da nicht alles an, was die mächtigste Hexe in Gramayre betrifft?“
„Die mächtigste Hexe von Gramayre?“ echote Rod erschrocken.
Brom lächelte säuerlich. „Wußtest du das nicht? Also, gestehe jetzt: liebst du sie?“
„Nun — uh — ich — uh, ich weiß es nicht.“ Rod stützte den Kopf in beide Hände. „Ich meine — uh — es ist so plötzlich — ich…“
„Du mußt doch schließlich wissen, ob du sie liebst oder nicht!“
knurrte Brom ungeduldig. „Kennst du denn dein eigenes Herz nicht?“
„Nun, da ist die Aorta, die Pulmonalklappe, die…“
„Ich will wissen, ob du sie liebst!“ donnerte Brom.
„Woher soll ich es wissen!“ brüllte Rod genauso wütend zurück. „Frag doch mein Pferd!“
Ein zitternder Page steckte den Kopf durch die Tür. „Meine Lords, Ihre Majestät, die Königin!“
Rod und Brom wirbelten herum und verbeugten sich.
„Nun, Mylords“, sagte Catherine ungehalten und ließ sich beim Feuer nieder. „Welche wichtige Neuigkeit habt ihr, daß ihr mich so früh aus den Federn reißt?“
„Das Haus Clovis hat die Waffen ergriffen und marschiert südwärts“, informierte Rod sie.
Catherine schloß die Augen. „Der Himmel sei gepriesen!“
„Und Tuan Loguire!“ sagte Rod.