Der entscheidende Moment kam schließlich nach einem vorzüglichen Dinner in der Borgata, einem Restaurant im altitalienischen Stil. Sie hatten sich an einer Hummersuppe, an Kalbsmedaillons mit Sauce bearnaise, weißem Spargel mit Vinaigrette und einem Souffle au Grand Marnier gütlich getan, und Henry Chambers war ein liebenswürdiger, äußerst angenehmer Gesellschafter gewesen. Es war ein wundervoller Abend.
»Ich liebe diese Stadt«, sagte Henry. »Es fällt schwer sich vorzustellen, daß Phoenix vor fünfzig Jahren nur fünfundsech-zigtausend Einwohner zählte. Heute sind's über eine Million.«
Es gab da einen Punkt, der schon lang Leslies Neugier erregte. »Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, Kentucky zu verlassen und hierherzuziehen, Henry?«
Er zuckte die Schultern. »Es war eigentlich keine freie Entscheidung. Es war wegen der verdammten Lungen. Die Ärzte wußten nicht, wie lange ich noch zu leben hatte, und meinten, Arizona hätte für mich das gesündeste Klima. Draufhin habe ich beschlossen, den Rest meines Lebens - was immer das bedeuten mag - hier zu verbringen und das Leben in vollen Zügen zu genießen.« Er lächelte sie an. »Und da wären wir nun.« Er nahm ihre Hand. »Die Ärzte konnten damals nicht wissen, wie gut Arizona mir tun würde. Leslie, Sie glauben doch nicht etwa, daß ich zu alt für Sie bin?« fragte er nervös.
»Zu jung.« Leslie lächelte. »Viel zu jung.«
Er schaute sie lange schweigend an. »Ich meine es ernst. Wirst du mich heiraten?«
Als Leslie einen Moment die Augen schloß, sah sie wieder das handgemalte Schild auf dem Fußweg im Breaks Interstate Park vor sich: leslie, wirst du mich heiraten ... »Ich kann dir leider nicht versprechen, daß du einen Gouverneur zum Mann haben wirst, immerhin bin ich aber ein recht guter Anwalt.«
Leslie schlug die Augen auf und sah Henry an.
»Ja, ich möchte deine Frau sein.« Mehr als alles in der Welt.
Zwei Wochen später fand die Trauung statt.
Als die Hochzeitsanzeige im Lexington Herald Leader erschien, vermochte Senator Todd Davis den Blick lange nicht davon zu lösen. »Entschuldigen Sie die Störung, Senator, aber könnte ich Sie vielleicht treffen? Ich muß Sie um einen Gefallen bitten ... Kennen Sie Henry Chambers persönlich? ... Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn sie mir ein Empfehlungsschreiben für ihn geben könnten.
Falls sie es nur darauf abgesehen hatte, würde es keine Probleme geben.
Falls sie es nur darauf abgesehen haben sollte .
Die Flitterwochen verbrachten Henry und Leslie in Paris, wo Leslie überall und immer wieder die Frage durch den Kopf schoß, ob Oliver und Jan wohl die gleichen Stätten besichtigt hatten, ob sie ebenfalls durch diese Straßen spaziert, in den gleichen Restaurants gespeist, in den gleichen Geschäften eingekauft hatten. Sie stellte sich die beiden zusammen vor: wie sie einander liebten, wie Oliver Jan die gleichen Lügen ins Ohr flüsterte, die er vorher ihr zugeflüstert hatte - Lügen, die sie ihm heimzahlen würde.
Henry war von aufrichtiger Liebe zu ihr erfüllt; er scheute keine Mühe, sie glücklich zu machen. Unter anderen Umständen hätte Leslie sich sehr wohl in ihn verlieben können, doch in ihrem tiefsten Innern war etwas gestorben. Ich werde nie wieder einem Mann vertrauen können.
Wenige Tage nach der Rückkehr überraschte Leslie Henry mit der Bitte: »Henry, ich würde gerne bei der Zeitung mitarbeiten.«
Er lachte. »Und warum?«
»Weil ich es mir interessant vorstelle. Und aufgrund meiner früheren Tätigkeit als leitende Angestellte bei einer Werbeagentur könnte ich in diesem Bereich möglicherweise sogar von Nutzen sein.«
Er protestierte, gab aber zu guter Letzt nach.
Henry fiel auf, daß Leslie tagtäglich den Lexington Herald Leader las.
»Um hinsichtlich der Leute in deiner Heimat auf dem laufenden zu bleiben?« neckte er sie.
»Gewissermaßen«, erwiderte Leslie lächelnd. Sie verfolgte mit größtem Interesse alles, was über Oliver geschrieben wurde. Sie wünschte sich, daß er glücklich und erfolgreich war. Je höher sie in den Himmel wachsen ...
Henry lachte, als Leslie ihn darauf hinwies, daß der Star defizitär arbeitete. »Das ist nur ein Tropfen auf einen heißen Stein, Schatz. Mir fließen Gewinne aus Ecken zu, von denen du nicht einmal gehört hast. Es ist völlig unwichtig, ob der Star Verluste macht.«
Für Leslie war es aber wichtig. Es war ihr sogar ungemein wichtig. Und je mehr sie sich mit dem Management der Zeitung befaßte, um so klarer schien ihr der Hauptgrund für die Verluste bei den Gewerkschaften zu liegen. Die Druckerpres-sen des Phoenix Star waren veraltet; die Gewerkschaften verweigerten für die Anschaffung moderner Maschinen ihre Zustimmung, weil damit, so behaupteten sie, Jobs von Gewerkschaftsmitgliedern verlorengehen würden. Sie verhandelten zu der Zeit gerade mit der Geschäftsführung des Star über einen neuen Tarifvertrag.
Als Leslie mit Henry über die Situation diskutieren wollte, meinte er: »Warum willst du dich mit solchem Zeug plagen? Komm, laß uns einfach Spaß haben.«
»Mir macht solches Zeug Spaß«, versicherte sie ihm.
Leslie hatte eine Unterredung mit Craig McAllister, dem Anwalt des Star.
»Wie kommen die Tarifverhandlungen voran?«
»Ich hätte wirklich gern bessere Nachrichten für Sie, Mrs. Chambers, aber es sieht leider gar nicht gut aus.«
»Verhandelt wird aber noch, oder?«
»Angeblich. Aber dieser Joe Riley, der Boß der Druckergewerkschaft, ist ein sturer Huren -, ein wahrer Dickschädel. Er will nicht einen Fingerbreit nachgeben. In zehn Tagen läuft unser Tarifvertrag mit den Druckern aus, und Riley hat uns mit Streik gedroht, falls die Gewerkschaft bis dahin keinen neuen Vertrag hat.«
»Und Sie nehmen seine Drohung ernst?«
»Ja. Ich gebe den Gewerkschaften gegenüber ungern nach. Nur sieht die Realität eben so aus, daß wir ohne sie keine Zeitung haben. Sie haben es in der Hand, ob der Verlag schließen muß. Wir wären nicht das erste Presseunternehmen, das zusammenbricht, weil die Unternehmensführung sich gegen die Gewerkschaften durchzusetzen versucht.«
»Und was verlangen sie diesmal?«
»Das Übliche: kürzere Arbeitszeiten, Lohnerhöhungen, Schutz vor künftiger Automatisierung .«
»Sie wollen uns erpressen, Craig. Das mag ich nicht.«
»Hier geht es nicht um eine Frage des Gefühls, Mrs. Chambers, hier steht eine pragmatische Frage zur Debatte.«
»Dann raten Sie uns also, nachzugeben?«
»Ich glaube, wir haben gar keine andere Wahl.«
»Warum unterhalte ich mich nicht mal mit Joe Riley?«
Die Besprechung war auf vierzehn Uhr angesetzt. Leslie kam verspätet vom Mittagessen zurück, so daß Riley bereits wartete; er unterhielt sich gerade mit Leslies Sekretärin Amy, als sie ins Empfangsbüro trat. Riley war mehr als fünfzehn Jahre lang Drucker gewesen und vor drei Jahren zum Boß seiner Gewerkschaft gewählt worden; und er hatte sich als härtester Verhandlungsführer der Branche einen Namen gemacht. Leslie blieb einen Augenblick am Eingang stehen und beobachtete ihn beim Flirten mit Amy.
Riley erzählte ihr gerade eine Geschichte. »... und dann drehte sich der Mann zu ihr und sagte: >Sie haben gut reden. Aber wie werde ich wieder rauskommen?<«
Amy lachte. »Wo hörst du nur solche Sachen, Joe?«
»Ich komme eben herum, Schätzchen. Gehen wir heute abend zusammen essen?«
»Liebend gern.«
Riley bemerkte Leslie, als er den Kopf hob. »Tag, Mrs. Chambers.«