»Guten Tag, Mr. Riley. Kommen Sie zu mir herein, ja?«
Sie hatten im Sitzungsraum Platz genommen. »Möchten Sie einen Kaffee?« fragte Leslie.
»Nein, danke.«
»Etwas Stärkeres vielleicht?«
Er grinste. »Sie wissen doch, daß es gegen die Regeln verstößt, wenn ich während der Arbeitszeit trinke, Mrs. Chambers.«
Leslie holte tief Luft. »Ich habe dieses Gespräch mit Ihnen gewünscht, weil ich gehört habe, daß Sie ein äußerst fairer
Mensch sind.«
»Ich gebe mir Mühe, fair zu sein«, erwiderte Riley.
»Sie müssen wissen, daß die Gewerkschaft meine Sympathien hat. Ich finde, daß Ihre Männer das Recht haben, etwas zu fordern. Ihre jetzigen Forderungen sind allerdings unvernünftig. Sie haben sich Sachen angewöhnt, die uns jährlich Millionen kosten.«
»Könnten Sie das konkreter ausdrücken?«
»Nur zu gern. Ihre Männer arbeiten weniger reguläre Arbeitszeit, finden dann aber Auswege, um in den Schichten zu arbeiten, die mit Überstundentarif bezahlt werden. Manche arbeiten in drei solcher Schichten nacheinander, so daß sie das ganze Wochenende über an den Pressen stehen. Dafür haben sie sogar einen besonderen Ausdruck, wenn ich mich nicht irre - >an die Peitschen gehen<. Das können wir uns nicht länger leisten. Wenn es uns möglich wäre, die neue elektronische Drucktechnologie einzuführen ...«
»Ausgeschlossen! Die von Ihnen gewünschte neue Ausrüstung würde meine Männer arbeitslos machen, und ich habe nicht die Absicht, dabei mitzumachen, daß meine Männer wegen Maschinen vor die Tür gesetzt werden. Ihre verdammten Maschinen müssen nichts zu essen haben; meine Männer schon.« Riley stand auf. »Nächste Woche läuft der gültige Vertrag aus. Wir bekommen entweder, was wir verlangen, oder wir streiken.«
Als Leslie ihrem Mann von der Unterredung berichtete, meinte er: »Warum willst du dich mit dem allen abgeben? Wir müssen nun mal mit den Gewerkschaften leben. Erlaube, daß ich dir einen guten Rat gebe, mein Schatz. Für dich sind diese Dinge neu, du bist darin unerfahren, und außerdem bist du eine Frau. Überlaß diese Angelegenheit den Männern. Laß uns beide bitte nicht ...« Er brach mitten im Satz ab, denn er bekam keine Luft mehr.
»Dir geht's nicht gut?«
Er nickte. »Ich war heute bei meinem dummen Arzt. Er findet, daß ich eine Sauerstoff-Flasche brauchte.«
»Ich werde mich darum kümmern«, versprach Leslie. »Und ich werde dir eine Krankenschwester suchen, für die Zeiten, wenn ich nicht daheim bin, damit .«
»Nein! Ich brauche keine Krankenschwester. Ich bin - ich bin bloß ein bißchen müde.«
»Komm, Henry. Wir sollten dich zu Bett bringen.«
Als Leslie den Vorstand drei Tage später zu einer Krisensitzung zusammenrief, sagte Henry: »Geh du hin, Baby, ich bleibe zu Hause, um mich zu schonen.« Die Sauerstofflasche hatte geholfen; er fühlte sich jedoch schwach und deprimiert.
Leslie rief Henrys Arzt an. »Er verliert zu viel Gewicht und hat Schmerzen. Es muß doch etwas geben, das Sie für ihn tun können.«
»Wir tun unser Möglichstes, Mrs. Chambers. Achten Sie bitte darauf, daß er viel Ruhe bekommt und regelmäßig seine Medikamente einnimmt.«
Leslie beobachtete Henry, der hustend im Bett lag.
»Tut mir leid wegen der Sitzung«, sagte Henry. »Übernimm du den Vorsitz. Machen kann man da sowieso nichts.«
Sie lächelte.
5
Die Vorstandsmitglieder saßen im Sitzungszimmer des Zeitungsverlags am runden Tisch, schlürften ihren Kaffee, nahmen sich Bagels und Frischkäse und harrten der Ankunft Leslies.
»Meine Damen, meine Herren, verzeihen Sie, daß ich Sie habe warten lassen«, sagte sie beim Eintreten. »Henry hat mich gebeten, ihn mit einem Gruß zu entschuldigen.«
Die Haltung des Vorstands gegenüber Leslie hatte sich seit der ersten Sitzung, an der sie teilnahm, merklich verändert. Damals war sie von oben herab und wie ein Eindringling behandelt worden. Doch seit Leslie sich allmählich in das Zeitungsgeschäft eingearbeitet und wertvolle Vorschläge gemacht hatte, wurde sie von allen geachtet. Unmittelbar vor Sitzungsbeginn wandte Leslie sich an Amy, die gerade Kaffee nachschenkte. »Amy, ich möchte Sie bitten, daß Sie während der Sitzung dableiben.«
Amy schaute sie verdutzt an. »Ich bin leider nicht besonders gut in Steno, Mrs. Chambers. Cynthia ist viel tüchtiger fürs -«
»Sie sollen ja auch nicht Protokoll führen. Sie notieren nur die Resolutionen, die wir am Ende beschließen.«
»Jawohl, Mrs. Chambers.« Amy nahm sich Notizblock und Kugelschreiber und setzte sich auf einen Stuhl an der Wand.
Leslie wandte sich dem Vorstand zu. »Wir haben ein Problem. Unser Tarifvertrag mit der Druckergewerkschaft ist fast ausgelaufen. Wir verhandeln nun schon seit drei Monaten, ohne eine Vereinbarung erzielen zu können. Wir müssen deshalb jetzt eine Entscheidung treffen, und zwar sehr schnell. Sie haben die Berichte gelesen, die ich Ihnen zusandte. Ich würde gern Ihre Meinung hören.«
Sie fixierte Gene Osborne, der Partner einer örtlichen Anwaltskanzlei war.
»Wenn Sie mich fragen, Leslie, so kann ich nur sagen, daß die Kerle sowieso schon verdammt zuviel bekommen. Gibt man ihren jetzigen Forderungen nach, werden sie morgen noch mehr verlangen.«
Leslie nickte und ließ ihren Blick zum Kaufhausbesitzer Aaron Drexel wandern. »Aaron?«
»Dem kann ich nur beipflichten. Sie sind ohnehin viel zu sehr gehätschelt worden. Falls wir ihnen was geben, sollten wir dafür auch was bekommen. Nach meiner Meinung könnten wir einen Streik verkraften und sie nicht.«
Die Kommentare der übrigen Vorstandsmitglieder waren ähnlich.
»Ich muß Ihnen allen widersprechen«, erklärte Leslie, womit sie heftiges Erstaunen auslöste. »Ich finde, wir sollten ihren Forderungen stattgeben.«
»Das wäre reiner Wahnsinn.«
»Am Ende werden sie noch Eigentümer der Zeitung sein.«
»Dann werden sie überhaupt nicht mehr zu bremsen sein.«
»Wir dürfen ihnen auf keinen Fall nachgeben.«
Leslie ließ alle ausreden, um anschließend zu erklären: »John Riley ist ein anständiger Kerl. Er ist von der Richtigkeit seiner Forderungen überzeugt.«
Die völlig überraschte Amy verfolgte die Diskussion von ihrem Platz aus mit größtem Interesse.
Ein weibliches Vorstandsmitglied brachte die Kritik offen auf den Punkt. »Ich finde es absolut unverständlich, daß Sie für Riley Partei ergreifen, Leslie.«
»Ich ergreife hier für niemanden Partei. Ich halte es aber für erforderlich, in diesem Punkt moderat und vernünftig vorzugehen. Im übrigen liegt die Entscheidung ja nicht bei mir. Lassen Sie uns zur Abstimmung schreiten.« Sie drehte sich zu Amy um. »Ich möchte Sie bitten, das Folgende zu protokollieren.«
»Jawohl, Ma'am.«
Leslie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Gruppe zu.
»Wer die Forderungen der Gewerkschaft ablehnt, möge die Hand heben.« Es wurden elf Hände hochgehoben. »Halten Sie im Protokoll fest, daß ich persönlich für eine Annahme und die übrigen Vorstandsmitglieder gegen die Annahme der gewerkschaftlichen Forderungen votiert haben.«
Amy notierte es mit nachdenklicher Miene in ihren Notizblock.
»Also, das war's dann wohl.« Sie erhob sich. »Falls keine weiteren Themen zur Diskussion anstehen ...«
Die anderen erhoben sich.
»Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen.« Leslie wartete, bis alle den Raum verlassen hatten, bevor sie Amy ansprach: »Würden Sie das bitte ordentlich ins reine tippen, Amy?«
»Unverzüglich, Mrs. Chambers.«
Leslie begab sich zu ihrem Büro.
Es dauerte gar nicht lang, bis der Anruf kam.
»Mr. Riley für Sie, auf Leitung eins«, sagte Amy.
Leslie nahm den Hörer ab. »Hallo.«
»Hier Joe Riley. Ich wollte Ihnen einfach nur für Ihre Bemühungen danken.«