»Falsch gedacht!« Baker explodierte vor Wut. »Sie können doch nicht einfach hereinmarschieren und sich an einem fremden Schreibtisch breitmachen. Und jetzt sehen Sie zu, daß Sie verschwinden, verdammt noch mal, oder ich rufe die Polizei und lasse Sie festnehmen.«
»Aber -«
»Hinaus!«
Dana erhob sich vom Schreibtisch, nahm ihre ganze Würde zusammen, drückte Matt Baker ihr Manuskript in die Hand und rauschte um die Ecke.
Matt Baker schüttelte ungläubig den Kopf: Mein Gott! Was ist bloß aus der Welt geworden? Er las den Anfang von Danas Bericht. »Stacy Taylor erklärte heute mit einem übel zugerichteten und dick geschwollenen Gesicht im Krankenhausbett, daß sie ins Hospital eingeliefert wurde, weil ihr Ehemann, der berühmte Rockstar Tripp Taylor, sie verprügelt hat. >Er schlägt mich jedesmal zusammen, wenn ich schwanger werde. Er will keine Kinder.c« Matt las fasziniert weiter. Als er den Kopf hob, war Dana verschwunden.
Matt umklammerte die Seiten und stürmte zu den Fahrstühlen - in der Hoffnung, Dana zu finden, bevor sie das Gebäude auf Nimmerwiedersehen verlassen hatte. Als er um die Ecke lief, rannte er fast in sie hinein. Sie lehnte wartend an der Wand.
»Wie sind Sie an diese Geschichte gekommen?« wollte er wissen.
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt«, erwiderte sie, »daß ich Reporterin bin.«
Er holte tief Luft. »Folgen Sie mir in mein Büro.«
Da saßen sie nun wieder zusammen in Matt Bakers Zimmer. »Saubere Arbeit«, räumte er widerwillig ein.
»Vielen Dank! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich mich Ihre Anerkennung macht«, erwiderte Dana aufgeregt. »Ich werde die beste Reporterin sein, die Sie je gehabt haben. Sie werden ja sehen. Eigentlich - das ist mein sehnlichster Wunsch - möchte ich Auslandskorrespondentin werden, ich bin aber gern bereit, mich von ganz unten hochzuarbeiten, selbst wenn es ein Jahr dauert.« Sie bemerkte den Ausdruck auf seinem Gesicht. »Oder auch zwei.«
»Es gibt bei der Tribune aber keine Vakanzen. Außerdem haben wir eine Warteliste.«
Sie schaute ihn erstaunt an. »Ich hatte angenommen ...«
»Moment mal.«
Dana beobachtete, wie er einen Stift hervorholte und die Buchstaben des Wörtchens »annehmen« ausschrieb: a-n-n-e-h-m-e-n. Er zeigte mit dem Finger darauf. »Ein Reporter, der etwas >annimmt<, ist eine Blamage für mich und für Sie. Verstanden?«
»Ich verstehe.«
»Gut.« Er dachte kurz nach und traf eine Entscheidung. »Schauen Sie im Fernsehen manchmal den Kanal wte? Den Fernsehsender der Tribune Enterprises?«
»Nein. Ich könnte nicht behaupten, daß ich ...«
»Gut. Dann werden Sie es von jetzt an tun. Sie haben wirklich Glück. Dort ist nämlich gerade eine Stelle freigeworden. Ein Textredakteur hat gekündigt. Sie können seinen Job haben.«
»Und was müßte ich da tun?« fragte Dana zaghaft.
»Texte fürs Fernsehen schreiben.«
Sie machte ein langes Gesicht. »Fernsehtexte schreiben? Davon verstehe ich doch gar .«
»Die Sache ist ganz einfach. Der Produzent der Nachrichtensendung liefert Ihnen das Rohmaterial der Nachrichtenagentu-ren, das Sie dann in anständige Sätze umschreiben und für die Moderatoren auf den TelePrompTer projizieren.«
Dana blieb stumm.
»Was ist?«
»Nichts. Es ist nur, daß - ich doch Reporterin bin.«
»In unserem Hause sind fünfhundert Reporter beschäftigt, die ausnahmslos von der Pike angefangen haben. Begeben Sie sich hinüber zu Gebäude Vier. Fragen Sie nach Mr. Hawkins. Für den Anfang ist Fernsehen wirklich nicht schlecht.« Matt Baker griff nach dem Telefon. »Ich werde Sie bei Hawkins ankündigen.«
Dana seufzte. »In Ordnung. Ich danke Ihnen, Mr. Baker. Falls Sie je eine ...«
»Hinaus mit Ihnen.«
Die wte-Fernsehstudios nahmen den gesamten sechsten Stock von Building Four ein. Tom Hawkins begleitete Dana in sein Büro; er war der Produzent der Abendnachrichten.
»Haben Sie bereits im Fernsehen gearbeitet?«
»Nein, Sir. Ich habe bei Zeitungen gearbeitet.«
»Dinosaurier. Vergangenheit. Uns gehört die Gegenwart. Und die Zukunft - wer weiß? Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Büros.«
Da saßen Dutzende Menschen an Schreibtischen und Monitoren. Auf den Bildschirmen der Computer erschienen Meldungen von einem halben Dutzend Nachrichtenagenturen.
»In diesem Raum gehen Informationen und aktuelle Meldungen aus aller Welt ein«, erklärte Hawkins. »Ich treffe die Entscheidung, was davon übernommen wird. Unser Auftragsressort schickt dann die Teams zum Abdecken der Geschichten aus, für die ich mich entschieden habe. Unsere Reporter an der Front schicken ihre Berichte über Mikrowellen oder Transmit-ter herein. Außer den Agenturdiensten sind wir an hundertsechzig Polizeikanäle angeschlossen, wir haben Berichterstatter, die mit Mobiltelefonen, Radarantennen, Monitoren arbei-ten. Jeder Bericht wird auf die Sekunde genau vorgeplant. Um das genaue Timing hinzukriegen, arbeiten die Textredakteure mit den Videobandredakteuren zusammen. Die durchschnittliche Sendedauer der Nachrichten liegt zwischen anderthalb und eindreiviertel Minuten.«
»Und wie viele Textredakteure sind bei Ihnen beschäftigt?« fragte Dana.
»Sechs. Dann gibt es noch einen Videokoordinator, Tonbandredakteure, Produzenten, Regisseure, Reporter und die Anchormen ...« Er brach ab. Ein Mann und eine Frau näherten sich. »Wenn man vom Teufel spricht - erlauben Sie, daß ich Sie mit Julia Brinkman und Michael Tate bekanntmache.«
Julia Brinkmann war eine hinreißende Frau mit kastanienbraunem Haar, getönten Kontaktlinsen, die ihren Augen ein sinnliches Grün verliehen, und einem geübten entwaffnenden Lächeln; Michael Tate war ein sportlicher Typ mit einem strahlenden, warmen Lächeln und einer kontaktfreudigen Art.
»Unsere neue Textredakteurin«, stellte Hawkins vor. »Donna Evanston.«
»Dana Evans.«
»Völlig egal. Machen wir uns an die Arbeit.«
Er begleitete Dana wieder zurück zu seinem Büro und deutete mit einer Kopfbewegung zur Wandtafel mit den Auftragszuteilungen. »Das dort sind die Stories, aus denen ich meine Auswahl treffe - die >Schrotkörner<, wie wir sie nennen. Unser Team ist zweimal täglich dran. Wir verantworten das Mittagsnachrichten-Magazin von zwölf bis ein Uhr und die Spätnachrichten von zehn bis elf Uhr. Ich teile Ihnen mit, welche Geschichten ich bringen will, dann geben Sie ihnen die richtige Form - da muß sich dann alles so packend anhören, daß die Zuschauer einfach nicht mehr auf einen anderen Kanal umschalten können. Und der Videoredakteur wird Ihnen Clips liefern, und Sie werden die Clips in die Skripts einarbeiten und auf den Scripts kennzeichnen, an welchen Stellen die Clips
gezeigt werden müssen.«
»In Ordnung.«
»Manchmal gibt es auch eine aktuelle Geschichte - dann schieben wir eine Direktschaltung in unser geplantes Programm ein.«
»Interessant«, sagte Dana.
Sie konnte nicht ahnen, daß ihr solch eine Live-Zuschaltung einmal das Leben retten würde.
Ihre erste Spätnachrichtensendung wurde die reinste Katastrophe, weil Dana die Spitzenmeldungen statt an den Anfang des Programms in die Mitte plaziert hatte - Julie Brinkman stellte plötzlich fest, daß sie die Stories las, die Michael Tate hätte lesen sollen, und umgekehrt.
Nach Schluß der Sendung sprach der Regisseur Dana an: »Mr. Hawkins möchte Sie in seinem Büro sprechen, jetzt gleich.«
Hawkins saß mit grimmiger Miene hinter seinem Schreibtisch.
»Ich weiß«, sagte Dana zerknirscht. »Es war ein neuer Tiefpunkt in der Geschichte des Fernsehens, und es ist einzig und allein meine Schuld.«
Hawkins rührte sich nicht und sah sie nur stumm an.
Dana unternahm einen zweiten Versuch. »Die gute Nachricht ist, Tom, daß es von jetzt an nur besser werden kann. Okay?«
Er fixierte sie weiterhin, ohne auch nur eine Silbe von sich zu geben.