»Und es wird nie wieder vorkommen, weil« - der Ausdruck auf seinem Gesicht war ihr nicht entgangen - »ich fristlos gefeuert bin.«
»Mitnichten«, erwiderte Hawkins knapp. »Damit kämen Sie mir zu leicht davon. Nein, Sie werden diese Arbeit jetzt solange durchziehen, bis Sie alles im Griff haben. Und das heißt: Sie sind morgen für das Mittagsnachrichtenmagazin wieder dran. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
»Überdeutlich.«
»Gut. Dann erwarte ich Sie hier morgen früh um acht.«
»In Ordnung, Tom.«
»Und da wir nun mal zusammenarbeiten werden, merken Sie sich eines - Sie dürfen mich mit >Mr. Hawkins< anreden.«
Das Mittagsmagazin lief reibungslos ab. Tom Hawkins hatte recht gehabt, fand Dana. Es kam darauf an, sich an den Rhythmus zu gewöhnen. Man bekommt den Auftrag . schreibt die Geschichte . koordiniert sie mit dem Videoredakteur . und füttert den TelePromTer, von dem die Moderatoren ablesen.
Von diesem Moment an entwickelte sich die Arbeit für Dana zur Routine.
Als Dana acht Monate lang bei wte gearbeitet hatte, kam für sie endlich der Durchbruch. Es war 21 Uhr 45; sie hatte es gerade geschafft, die Texte für die Abendnachrichten auf den TelePrompTer zu übertragen und wollte sich auf den Nachhauseweg machen. Als sie das Fernsehstudio betrat, um sich zu verabschieden, herrschte dort das reinste Chaos. Es redeten alle durcheinander.
Der Regisseur Bob Cline schrie: »Wo bleibt sie denn, zum Teufel?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hat sie denn keiner gesehen?«
»Nein.«
»Haben Sie schon bei ihr daheim angerufen?«
»Da meldet sich nur der Anrufbeantworter.«
»Hervorragend. Wir sind« - er schaute auf seine Uhr - »in zwölf Minuten auf Sendung.«
»Vielleicht hat Julia ja einen Unfall gehabt«, meinte Michael Tate. »Vielleicht ist sie tot.«
»Das ist keine Entschuldigung. Sie hätte wenigstens anrufen müssen.«
Dana ergriff das Wort. »Entschuldigen Sie ...«
Der Regisseur drehte sich ungeduldig nach ihr um. »Ja?«
»Wenn Julia nicht auftauchen sollte, könnte ich doch für sie einspringen.«
»Vergessen Sie's.« Er wandte sich wieder seinem Assistenten zu. »Rufen Sie unten an der Rezeption an und fragen Sie nach, ob Julia inzwischen eingetroffen ist.«
Der Assistent nahm das Telefon und wählte. »Ist Julia Brinkman inzwischen eingetroffen ...? Verstehe. Wenn Sie kommt, sagen Sie ihr, daß sie sich beeilen soll.«
»Und er soll einen Fahrstuhl für sie freihalten. Wir gehen .« - er schaute wieder auf seine Uhr - »verflixt, wir gehen schon in sieben Minuten auf Sendung.«
Dana beobachtete die wachsende Panik.
»Ich könnte beide Teile übernehmen«, sagte Michael Tate.
»Nein«, fuhr ihn der Regisseur an. »Wir brauchen euch beide.« Er warf erneut einen Blick auf die Uhr. »Noch drei Minuten! Herrgott noch mal! Wie kann sie uns nur so etwas antun? Wir senden in .«
»Ich bin mit sämtlichen Texten vertraut«, sagte Dana laut in die Runde. »Ich habe sie nämlich geschrieben.«
Er musterte sie kurz. »Sie sind nicht geschminkt. Und Sie sind nicht angemessen gekleidet.«
Aus der Kabine des Toningenieurs meldete sich eine Stimme: »Zwei Minuten. Nehmen Sie bitte Ihre Plätze ein.«
Michael Tate zuckte die Schultern und nahm auf dem Podium vor den Fernsehkameras Platz.
»Bitte die Plätze einnehmen!«
Dana bedachte den Regisseur mit einem entwaffnenden Lächeln. »Gute Nacht, Mr. Cline.« Und schritt zum Ausgang.
»Augenblick mal!« Er rieb sich die Stirn. »Sind Sie sicher, daß Sie es schaffen?«
»Probieren Sie's doch«, sagte Dana.
»Ich habe keine andere Wahl, oder?« stöhnte er. »Einverstanden. Gehen Sie aufs Podium! Nehmen Sie Platz. Mein Gott! Wenn ich doch nur auf meine Mutter gehört hätte! Dann
wäre ich heute nämlich Arzt!«
Dana eilte aufs Podium und setzte sich neben Michael Tate.
»Dreißig Sekunden . zwanzig . zehn . fünf .«
Der Regisseur gab ein Zeichen mit der Hand. Das rote Licht auf der Kamera blinkte.
»Guten Abend«, sagte Dana. Sie sprach völlig ruhig. »Willkommen zu den Zehn-Uhr-Nachrichten bei wte. Wir haben für Sie eine aktuelle Geschichte aus Holland. Am heutigen Nachmittag hat sich in einer Schule in Amsterdam eine Explosion ereignet .«
Die Sendung lief reibungslos.
Am nächsten Morgen kam Rob Cline in Danas Büro. »Ich habe schlechte Nachrichten. Julia ist gestern abend mit dem Auto verunglückt. Ihr Gesicht ist . « er suchte nach dem passenden Wort, ». entstellt.«
»Das tut mir leid«, sagte Dana entsetzt. »Wie schlimm ist es?«
»Ziemlich schlimm.«
»Aber mit kosmetischer Chirurgie läßt sich heutzutage doch .«
Er schüttelte den Kopf. »In diesem Fall leider nicht. Sie wird ihre Arbeit bei uns nicht wieder aufnehmen können.«
»Ich würde sie gerne besuchen. In welchem Krankenhaus liegt sie?«
»Sie wird in ihre Heimatstadt gebracht, nach Oregon. Zu den Eltern.«
»Es tut mir wirklich leid.«
»Der eine verliert, der andere gewinnt.« Er schaute Dana einen Augenblick forschend an. »Sie waren okay gestern nacht. Wir behalten Sie bei uns, bis wir einen festen Ersatz gefunden haben.«
Dana suchte Matt Baker auf. »Haben Sie gestern abend die Spätnachrichten gesehen?« fragte sie.
»Und ob«, grunzte er. »Aber um Himmels willen, versuchen
Sie's mal mit ein bißchen Make-up. Und ziehen Sie sich was Anständiges an.«
Dana fühlte sich plötzlich wieder ganz klein. »In Ordnung.«
Als sie sich zur Tür umdrehte, sagte Matt Baker mürrisch: »Sie waren gar nicht mal schlecht.« Aus seinem Mund bedeuteten solche Worte ein großes Lob.
Nach ihrem fünften Auftritt in den Spätnachrichten teilte der Regisseur Dana mit: »Übrigens - die hohen Tiere haben erklärt, daß wir Sie behalten sollen.«
Dana fragte sich, ob mit den hohen Tieren Matt Baker gemeint war.
Es dauerte kein halbes Jahr, und Dana - jung, hübsch und von ausnehmender Intelligenz - war ein Fixstern der Szene in Washington. Mit Jahresende bekam sie eine Gehaltserhöhung, Sonderaufgaben, und ihre vlp-Interview-Show Hier und jetzt erreichte Spitzeneinschaltquoten: Die Interviews waren persönlich gehalten und verständnisvoll; Berühmtheiten, die sich sonst zierten, bei Talkshows zu erscheinen, drängten sich darum, in Danas Show aufzutreten. Zeitungen und Zeitschriften begannen, Dana zu interviewen. Sie war im Begriff, selbst eine Berühmtheit zu werden.
Nachts schaute Dana die internationalen Fernsehnachrichten an und beneidete die Auslandskorrespondenten. Diese Kolleginnen und Kollegen leisteten eine bedeutsame Arbeit, und indem sie die Welt über wichtige Ereignisse rund um den Globus informierten, machten sie selbst Geschichte. Dana fühlte sich zutiefst frustriert.
Danas Zweijahresvertrag mit wte war fast ausgelaufen, als eines Tages Philip Cole - der Ressortchef der Korrespondenten - bei ihr vorbeischaute.
»Sie leisten großartige Arbeit, Dana. Wir sind stolz auf Sie.«
»Danke, Philip.«
»Es ist an der Zeit, daß wir uns über Ihren neuen Vertrag unterhalten. Vorweg .«
»Ich kündige.«
»Wie bitte?«
»Ich werde die Show nach Vertragsende nicht weitermachen.«
Er betrachtete sie mit einem Ausdruck fassungslosen Unglaubens. »Aber warum sollten Sie kündigen wollen? Gefällt es Ihnen denn nicht bei uns?«
»Es gefällt mir hier gut«, antwortete Dana, »und ich würde gern bei wte bleiben. Aber ich möchte als Auslandskorrespon-dentin arbeiten.«
»Das ist doch ein schreckliches Leben«, brach es aus ihm hervor. »Warum sollten Sie ein so elendes Dasein führen wollen?«
»Weil ich's nicht mehr aushalte, mir dauernd anhören zu müssen, welche Gerichte berühmte Frauen besonders gern zum Abendessen kochen und wie sie ihren fünften Ehemann kennengelernt haben. In der Welt finden Kriege statt, in diesen Kriegen leiden und sterben Menschen, und die Welt schert sich einen Dreck darum. Und das möchte ich ändern. Ich möchte dafür sorgen, daß die Menschen Anteil nehmen.« Sie holte tief Luft. »Es tut mir leid, aber so kann ich nicht weitermachen.« Sie erhob sich von ihrem Stuhl und ging zur Tür.«