Und so ging das weiter, bis der einzige, für die Partei mögliche Kandidat Gouverneur Oliver Russell war.
Der Nominierungsprozeß lief reibungslos. Oliver Russell vereinigte gleich im ersten Wahlgang siebenhundert Stimmen auf sich: über zweihundert aus den sechs nordöstlichen Bundesstaaten, hundertsechsundfünfzig von den sechs New-England-Staaten, vierzig aus den vier Südstaaten, weitere hundertachtzig aus zwei Agrarstaaten und den Rest von drei Bundesstaaten an der Pazifikküste.
Peter Tager arbeitete wie ein Verrückter, damit die PR-Trommel gerührt wurde, und bei der endgültigen Auszählung hieß der klare Gewinner Oliver Russell, dessen Nominierung in der - mit Kalkül orchestrierten - Erregung der Parteitagsatmo-sphäre unter stehendem Beifall bekanntgegeben wurde.
Als nächstes stand die Entscheidung über den Vizepräsidenten an. Melvin Wicks war als politisch korrekter Kalifornier, wohlhabender Unternehmer und sympathischer Kongreßabge-ordneter eine ideale Wahl.
»Sie werden einander ergänzen«, versicherte Tager Oliver. »Und jetzt beginnt für uns die eigentliche Arbeit. Wir jagen der magischen Zahl zweiundsiebzig nach.« Der Stimmenzahl, die ein Kandidat benötigt, um Präsident der Vereinigten Staaten zu werden.
»Die Leute wollen einen jungen Menschen als Leader . «, erklärte Tager Gouverneur Russell. »Einen Mann, der gut aussieht, Humor und Visionen hat ... Sie möchten von Ihnen gern hören, wie großartig Sie sind - und es Ihnen glauben ... Geben Sie ihnen zu erkennen, daß Sie ein kluger Politiker sind; Sie sollten aber nicht versuchen, allzu klug zu sein ... Greifen Sie Ihren Gegner nie direkt persönlich an ... Blicken Sie nie von oben auf Reporter herab. Wenn Sie Reporter wie Freunde behandeln, werden Sie Ihre Freunde sein . Achten Sie darauf, nie kleinlich zu wirken. Vergessen Sie es nie - Sie sind ein Staatsmann.«
Der Wahlkampf war unerbittlich, lief ohne Unterbrechung. Senator Davis' Jet flog Oliver für drei Tage nach Texas, einen Tag nach Kalifornien, einen halben Tag nach Michigan, für sechs Stunden nach Massachusetts. Es wurde nicht eine einzige Minute verschwendet. Es gab Tage, an denen Oliver zehn Städte besuchte und zehn Wahlkampfreden hielt. Er schlief Nacht für Nacht in einem anderen Hotel, dem Drake in Chicago, dem St. Regis in Detroit, dem Carlyle in New York City, dem Place d'Armes in New Orleans - bis schließlich alle Hotelzimmer für ihn zu einem verschmolzen. Und wo Oliver auch auftauchte - überall fuhren Polizeieskorten voraus, sammelten sich große Menschenmengen und gab es jubelnde Wähler.
Auf den meisten Reisen wurde Oliver von Jan begleitet, und er mußte sich eingestehen, daß sie eine große Stütze war. Sie war schön, sie war intelligent, sie nahm die Reporter für sich ein. Von Zeit zu Zeit las Oliver über die jüngsten Aktivitäten von Leslie: eine Zeitung in Madrid, eine Fernsehstation in Mexiko, ein Rundfunksender in Kansas, und er freute sich über ihren Erfolg; denn dann fühlte er sich nicht mehr so schuldig wegen seines üblen Benehmens ihr gegenüber.
Überall, wo Oliver eintraf, wurde er von Reportern fotografiert, interviewt und zitiert. Über seinen Wahlkampf berichteten mehr als hundert Korrespondenten, von denen einige aus Ländern am anderen Ende der Welt kamen. Kurz vor dem Erreichen des Höhepunkts der Kampagne wiesen Umfragen Oliver als Spitzenreiter aus; dann - gänzlich unerwartet -begann sein Rivale, Vizepräsident Cannon, aufzuholen.
Peter Tager machte sich Sorgen. »Cannons Beliebtheitskurve steigt. Wir müssen etwas tun, um ihn zu bremsen.«
Es waren zwei Fernsehdebatten zwischen den Kontrahenten vereinbart worden.
»Cannon wird über Wirtschaftsthemen sprechen«, teilte Tager Oliver mit, »und da wird er ausgezeichnet sein. Wir müssen ihm die Schau stehlen. Ich habe dazu folgenden Plan ausgearbeitet .«
Am Abend der ersten Debatte sprach Vizepräsident Cannon vor den laufenden Fernsehkameras über die Wirtschaft. »Amerika ist ökonomisch noch nie so gesund gewesen wie heute. Die Wirtschaft floriert.« Und er nutzte seine Sprechzeit von zehn Minuten dazu, diese Situation auszumalen und mit Fakten und Zahlen zu belegen.
Als dann Oliver Russell an der Reihe war und ans Mikrofon trat, machte er die Feststellung: »Das war alles sehr beeindruk-kend. Wir sind sicherlich alle miteinander sehr froh darüber, daß die Großunternehmen florieren und daß die Profite der
Konzerne noch nie so hoch gewesen sind.« Er wandte sich seinem Rivalen zu. »Nur haben Sie vergessen zu erwähnen, warum die großen Unternehmen dermaßen blühen und gedeihen. Ein Grund dafür liegt nämlich in dem Phänomen, das euphemistisch mit >Unternehmensverschlankung< umschrieben wird. Um es kurz und bündig auszudrücken: >Unternehmens-verschlankung< bedeutet nichts anderes, als daß Menschen entlassen und durch Maschinen ersetzt werden. Es hat in unserem Land noch nie so viele Arbeitslose gegeben. Es wird Zeit, daß wir uns mit dem menschlichen Aspekt der Situation beschäftigen. Ich vermag Ihre Auffassung keineswegs zu teilen, daß der finanzielle Erfolg der Großunternehmen wichtiger ist als das Leben der Menschen . « Und so ging das weiter.
Während Vizepräsident Cannon das Business in den Vordergrund stellte, vertrat Oliver Russell eine humanitäre Auffassung von Politik und sprach von menschlichen Empfindungen und Chancen. Zum Schluß war es Russell gelungen, daß Cannon wie ein kaltblütiger Politiker klang, dem das Wohl der amerikanischen Bevölkerung gleichgültig war.
Am Morgen nach der Fernsehdebatte kamen die Umfragestatistiken in Bewegung: Oliver Russell rückte bis auf drei Punkte zum Vizepräsidenten auf. Und es stand noch eine weitere, landesweit ausgestrahlte Diskussion bevor.
Arthur Cannon hatte seine Lektion gelernt. Als er bei der letzten Debatte vor dem Mikrofon stand, erklärte er: »Wir leben in einem Land, in dem alle Bürger gleiche Chancen erhalten müssen. Amerika ist mit der Freiheit gesegnet worden, doch Freiheit allein ist nicht genug. Unser Volk muß auch die Freiheit haben, arbeiten und einen anständigen Lebensunterhalt verdienen zu können .«
Diesmal gedachte er, Oliver Russell die Schau zu stehlen, indem er sich auf die vielen Pläne konzentrierte, die er zur
Verbesserung der Lebensqualität der Menschen umsetzen wollte. Genau damit hatte Peter Tager jedoch gerechnet, und als Cannon zu Ende gesprochen hatte, trat Oliver Russell ans Mikrofon.
»Das war ungemein rührend. Ich bin sicher, wir alle sind sehr bewegt von dem, was Sie über das Elend der Arbeitslosen und - um Ihren Ausdruck zu zitieren - der vergessenen Menschern gesagt haben. Mich stört und beunruhigt nur eines: Sie haben überhaupt nicht erwähnt, wie Sie alle diese wunderbaren Dinge für diese Menschen eigentlich realisieren wollen.« Und während Vizepräsident Cannon hier die Emotionen angesprochen hatte, sprach Oliver Russell über reale Probleme und Wirtschaftspläne, so daß der Vizepräsident am Ende ausgebootet war.
Oliver und Jan saßen mit Senator Davis beim Abendessen in der Georgetown-Villa des Senators, als der Senator sich mit einem zufriedenen Lächeln seiner Tochter zuwandte.
»Ich habe soeben die Ergebnisse der jüngsten Umfragen erfahren und glaube, daß du dir wirklich überlegen kannst, wie du das Weiße Haus tapezieren möchtest.«
Ihre Miene hellte sich auf. »Du glaubst wirklich, daß wir gewinnen, Vater?«
»Ich irre mich ja in vielen Dingen, Honey, doch niemals, wenn es um Politik geht. Politik ist mein Lebensblut. Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sitzt direkt neben dir.«
10
»Bitte die Sicherheitsgurte anschnallen.«
Auf geht's! dachte Dana ganz aufgeregt. Sie blickte zu Benn Albertson und Wally Newman hinüber. Ihr Produzent Benn Albertson, ein bärtiger, nervöser Mann um die Vierzig, hatte nicht nur Nachrichtenprogramme mit höchsten Einschaltquoten verantwortet, sondern er genoß auch allgemein große Hochachtung. Der Kameramann Wally Newman - er war Anfang Fünfzig - war voller Elan und fieberte seinem neuen Aufgabengebiet mit gespannter Ungeduld entgegen.