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Dana hatte den Eindruck, daß alle Länder der Welt einen Journalisten nach Sarajevo entsandt hatten - das Vorstellen nahm kein Ende. Als letzter stellte sich ein stämmiger Russe mit blitzenden Goldzähnen vor. »Nikolai Petrowitsch, Gori-zont.«

»Wie viele Kriegsberichterstatter sind hier eigentlich tätig?« wollte Dana von Jean Paul wissen.

»Über zweihundertfünfzig. Es gibt schließlich nicht viele so farbenreiche Kriege wie in Bosnien-Herzegowina. Ist es Ihr erster Kriegseinsatz?«

Es klang fast so, als ob er von einem Tennisturnier spräche.

»Ja.«

»Lassen Sie es mich bitte wissen, falls ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann«, erklärte Jean Paul.

»Danke.« Sie zögerte, bevor sie die Frage aussprach. »Wer ist dieser Oberst Gordon Divjak?«

»Mit dem machen Sie besser gar nicht erst Bekanntschaft. Keiner weiß Genaues über ihn, wir sind jedoch einstimmig der Überzeugung, daß er dem serbischen Äquivalent der Gestapo angehört. Ich kann Ihnen nur den guten Rat geben, diesem Mann aus dem Weg zu gehen.«

»Ich werd's mir merken.«

Dana wollte sich gerade schlafen legen, als auf der gegenüberliegenden Straßenseite plötzlich eine heftige Detonation erfolgte, an die sich unmittelbar eine zweite Explosion anschloß. Das ganze Zimmer erbebte. Es war erschreckend und erhebend zugleich; es schien völlig irreal, wie eine Szene aus einem Film. Dana lag die ganze Nacht über wach und beobachtete die Zuckungen des Lichtscheins der Explosionen auf den schmutzigen Scheiben der Hotelfenster. Dana kam sich eigenartig vor, als sie am Morgen Jeans, Stiefel und eine kugelsichere Weste anzog; dann fiel ihr jedoch Matts Ratschlag wieder ein: »Gehen Sie auf Nummer Sicher ... Keine Nachricht, kein Bericht ist es wert, daß Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen.«

Beim Frühstück im vorderen Hotelrestaurant unterhielt sie sich mit Benn und Wally über Familie und Verwandtschaft.

»Ich hatte ganz vergessen, euch die schöne Neuigkeit zu erzählen«, sagte Wally. »Ich werde in einem Monat zum erstenmal Großvater.«

»Das ist ja phantastisch!« rief Dana und überlegte: Ob ich wohl selbst je einmal Kinder und Enkelkinder haben werde? Que serä serä?

»Ich hab eine Idee«, meinte Benn. »Wir sollten zuallererst einen allgemeinen Überblick zur hiesigen Lage und über die Auswirkungen auf das Leben der Menschen liefern. Ich mache mich mit Wally auf die Suche nach geeigneten Drehorten. Warum besorgen Sie uns inzwischen nicht Sendezeit beim Satelliten, Dana?«

»Okay.«

Jovan Toli wartete im Landrover auf der Zufahrt zum. hinteren Hoteleingang. »Dobro jutro. Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Jovan. Fahren Sie mich bitte zu der Behörde, wo ich Satellitenzeit buchen kann.«

Auf dieser Fahrt konnte Dana sich erstmals ein Bild vom Zustand Sarajevos machen. Sie gewann den Eindruck, als ob kein einziges Gebäude unbeschädigt geblieben wäre, und der Lärm von Geschützfeuer hielt ununterbrochen an.

»Hören sie denn nie auf?« fragte Dana.

»Sie werden aufhören, wenn ihnen die Munition ausgeht«, antwortete Jovan verbittert, »und die Munition wird denen nie ausgehen.«

Bis auf einige wenige Fußgänger waren die Straßen verlassen. Sämtliche Cafes waren geschlossen. Die Bürgersteige waren übersät mit Einschußnarben.

»Das ist unsere Zeitung«, erklärte Jovan voller Stolz, als sie am Gebäude der Oslobodjenje vorbeifuhren. »Die Serben haben immer wieder versucht, sie zu zerstören, aber sie schaffen es nicht.«

Sie hatten die Büros der Satellitenbehörde wenige Minuten später erreicht. »Ich warte hier unten auf Sie«, erklärte Jovan.

Hinter dem Schreibtisch in der Eingangshalle saß ein Herr am Empfang, der offenbar weit über achtzig Jahre alt war.

»Sprechen Sie Englisch?« fragte Dana.

Er schaute sie teilnahmslos-gelangweilt an. »Ich spreche neun Sprachen, Madame. Was wünschen Sie?«

»Ich gehöre zur wte. Ich möchte Satellitenzeit buchen und zu einer Verabredung kommen wegen ...«

»Dritter Stock.«

Jugoslawien Satellitenabteilung lautete die Aufschrift des Türschilds. Der Warteraum war voll. Auf den Bänken, die sich an den Wänden entlangzogen, saßen Männer dichtgedrängt.

Dana stellte sich der jungen Frau an der Rezeption vor. »Ich bin Dana Evans von wte. Ich würde gerne Satellitenzeit buchen.«

»Setzen Sie sich bitte. Warten Sie, bis Sie an der Reihe sind.«

Dana blickte sich im Raum um. »Sind all diese Menschen etwa hergekommen, um Satellitenzeit zu buchen?«

Die Frau schaute sie erstaunt an und sagte: »Selbstverständlich.«

Fast zwei Stunden lang mußte Dana warten, bis sie in das Büro des Leiters eingelassen wurde - ein kleiner, rundlicher Mann mit einer Zigarre zwischen den Lippen, der sie an das alte Klischee eines Filmmoguls aus Hollywood erinnerte.

»Was kann ich für Sie tun?« Er sprach Englisch mit einem starken Akzent.

»Ich bin Dana Evans von wte. Ich würde bei Ihnen gern einen Sendewagen mieten und den Satelliten für eine halbe Stunde buchen. Ideal wäre achtzehn uhr Washingtoner Zeit -ich würde die gleiche Übertragungsperiode Tag um Tag auf unbegrenzte Zeit benötigen.« Sie registrierte den Ausdruck auf seinem Gesicht. »Probleme?«

»Nur ein einziges. Es steht keine Satellitenbuchungszeit zur freien Verfügung. Der Satellit ist voll ausgebucht. Ich werde Sie verständigen, wenn jemand anders seine Reservierung storniert.«

Sie schaute ihn bestürzt an. »Keine ...? Aber ich brauche Satellitenzeit für meine Arbeit«, wandte sie ein. »Ich bin .«

»Ihre Kollegen sind ebenso auf Satellitenzeit angewiesen wie Sie, Madame. Natürlich diejenigen ausgenommen, die über

einen eigenen Sendewagen verfügen.«

Der Warteraum war voll, als Dana hinausging. Dann muß ich eine andere Lösung finden, dachte sie.

»Fahren Sie mich bitte durch die Stadt«, sagte Dana zu Jo-van.

Er drehte sich um, als ob er etwas erwidern wollte, zuckte dann aber nur die Achseln. »Wie Sie wünschen.« Er ließ den Motor an und begann, in einem irren Tempo durch die Straßen zu jagen.

»Etwas langsamer, bitte, ich muß doch ein Gefühl von der Stadt bekommen.«

Sarajevo war eine Stadt im Belagerungszustand. Es gab hier weder Strom noch fließendes Wasser; und mit jeder Stunde gerieten weitere Häuser unter Beschuß. Der Luftalarm setzte so oft ein, daß die Menschen ihn schon gar nicht mehr beachteten. Die ganze Stadt schien wie unter einer Dunstglocke des Fatalismus zu liegen: Wenn die Kugel für dich bestimmt ist, gibt es kein Verstecken.

An fast jeder Straßenecke verkauften Männer, Frauen und Kinder das wenige, was sie noch an Habseligkeiten besaßen.

»Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien«, erklärte Jovan. »Sie versuchen, genug Geld zusammenzukriegen, damit sie sich etwas zum Essen kaufen können.«

Überall wüteten Brände. und nirgends waren Feuerwehrmänner in Sicht.

»Gibt es hier denn keine Feuerwehr?« fragte Dana.

Jovan zuckte die Achseln. »Doch, aber sie trauen sich nicht herauskommen. Sie würden den serbischen Heckenschützen eine viel zu gute Zielscheibe bieten.«

In den ersten Tagen hatte Dana dem Krieg ziemlich verständnislos gegenübergestanden; sie hatte nicht begriffen, welche Ziele die Kämpfenden verfolgten, was der Krieg für einen Sinn hatte. Nach einer Woche Aufenthalt in Sarajevo war ihr klar, daß dieser Krieg völlig unsinnig war. Für diesen Krieg wußte niemand einen Grund anzugeben. Irgend jemand gab ihr dann den Namen und die Adresse eines universitätsprofessors, eines bekannten Historikers, der nach einer Verwundung ans Haus gefesselt war. Dana beschloß, ihn für ein klärendes Gespräch aufzusuchen.

Jovan führte sie in das alte Stadtviertel, wo Professor Mladic Staka wohnte - ein alter Herr mit grauen Haaren, der fast schon ätherisch wirkte. Eine Kugel hatte ihm das Rückgrat zerschmettert. Er war gelähmt.