»Ich habe gesagt: >In Ordnung .. .<«
Sie fuhren mit dem Lift nach unten ins Erdgeschoß und gingen ins Nebengebäude hinüber.
Die Druckerei hatte die Höhe von vier Stockwerken und die Größe von vier Fußballfeldern. In diesem Riesenraum war alles vollautomatisiert. Es gab in dem Gebäude dreißig Robotwagen, die enorme Papierrollen transportierten und an unterschiedlichen Stationen abluden.
»Jede Rolle«, erläuterte Baker, »hat ein Gewicht von ungefähr elfhundert Kilogramm. Würde man das Papier ausrollen, so ergäbe sich ein rund dreizehn Kilometer langes Band. Das Papier durchläuft die Druckerpressen mit einer Stundengeschwindigkeit von vierunddreißig Kilometern. Von den größeren Robotwagen können manche sechzehn Rollen auf einmal transportieren.«
Es gab sechs Druckmaschinen, an jeder Längsseite des Raumes drei. Leslie und Matt Baker waren stehengeblieben und schauten zu, wie die Zeitungen automatisch zusammengelegt, geschnitten, gefaltet, zu Ballen verpackt und auf wartende LKW geladen wurden.
»In der guten alten Zeit waren für diesen Vorgang, der heute von einem Menschen besorgt wird, ungefähr dreißig Männer notwendig«, kommentierte Matt Baker. »Die Segnungen der Technologie.«
Leslie schaute ihn einen Augenblick lang prüfend an. »Die Segnungen der Rationalisierung.«
»Ich weiß nicht - interessieren Sie sich für die wirtschaftliche Seite des Betriebs?« fragte Matt Baker kühl. »Vielleicht wäre es Ihnen ja lieber, wenn Ihr Anwalt oder Ihr Wirtschaftsprüfer ...«
»Ich interessiere mich sehr für die wirtschaftliche Seite des Betriebs, Mr. Baker«, konterte Leslie. »Ihr Redaktionsetat beträgt fünfzehn Millionen Dollar. Ihre Verkaufsauflage an Wochentagen liegt bei 816 474 Exemplaren, an Sonntagen bei 1 140 498 Exemplaren. Ihr Werbebudget beläuft sich auf 68,2 Millionen.«
Matt schaute sie erstaunt an.
»Mit den übrigen, dazugehörigen Zeitungen kommen Sie auf eine Verkaufsauflage von insgesamt rund zwei Millionen Exemplaren an Wochentagen und sonntags auf zweieinhalb Millionen. Und damit haben Sie natürlich keineswegs die auflagenstärkste Zeitung der Welt, nicht wahr, Mr. Baker? Zwei der größten Zeitungen werden in London gedruckt, die größte ist die Sun mit einer Auflage von vier Millionen Exem-plaren täglich - und der Daily Mirror verkauft täglich über drei Millionen Zeitungen.«
Matt Baker atmete tief durch. »Es tut mir leid, ich hatte gar nicht gewußt, daß Sie .«
»In Japan existieren mehr als zweihundert Tageszeitungen, darunter Asahi Shimbun, Mainchi Shimbun und Yomiri Shim-bun. Sie verstehen, was ich meine?«
»Ja. Ich bitte um Entschuldigung, falls ich Ihnen gegenüber einen herablassenden Eindruck erweckt haben sollte.«
»Ich nehme Ihre Entschuldigung an, Mr. Baker. Gehen wir zu Mrs. Portmans Büro zurück.«
Am nächsten Morgen saß Leslie im Konferenzraum der Washington Tribune Mrs. Portman und einer Handvoll Anwälten gegenüber.
»Lassen Sie uns auf den Preis zu sprechen kommen«, sagte Leslie, und nach einer vierstündigen Diskussion war Leslie Stewart Chambers Eigentümerin der Washington Tribune Enterprises.
Die Übernahme hatte mehr gekostet, als Leslie vorausgesehen hatte, aber das spielte keine Rolle.
Es gab etwas, das ihr wichtiger war als Geld.
An dem Tag, als der Kauf rechtsgültig abgeschlossen wurde, ließ Leslie Matt Baker zu sich rufen.
»Was haben Sie persönlich für Pläne?« fragte Leslie.
»Ich werde kündigen.«
Sie schaute ihn neugierig an. »Warum?«
»Sie genießen einen gewissen Ruf. Niemand arbeitet gern für Sie. Das Eigenschaftswort, mit dem Sie am häufigsten gekennzeichnet werden, lautet >rücksichtslos<. Dafür habe ich nichts übrig. Die Washington Tribune ist eine gute Zeitung, die ich ungern und mit Bedauern verlasse. Ich habe jedoch mehr Stellenangebote, als ich annehmen kann.«
»Wie lange haben Sie hier gearbeitet?« »Fünfzehn Jahre.«
»Und Sie sind bereit, die Leistung von fünfzehn Jahren wegzuwerfen?«
»Ich werfe überhaupt nichts weg. Ich bin ...«
Sie schaute ihm fest in die Augen. »Hören Sie. Ich finde auch, daß die Tribune eine gute Zeitung ist. Mein Wunsch geht dahin, daß sie eine große Zeitung wird. Ich möchte Sie bitten, daß Sie mir dabei helfen.«
»Nein. Ich .«
»Ein halbes Jahr. Probieren Sie es sechs Monate lang mit mir. Zum doppelten Gehalt, für den Anfang.«
Er musterte sie einen Augenblick: jung, schön und intelligent. Und doch ... Er hatte ein ungutes Gefühl, was sie betraf.
»Und wer wird hier das Sagen haben?«
Sie lächelte. »Sie sind der Chefredakteur der Washington Tribune Enterprises. Und genau das werden Sie auch bleiben.«
Und er glaubte ihr.
12
Es war sechs Monate her, daß Danas Landrover in die Luft gesprengt worden war. Sie selbst war glimpflich davongekommen mit einer Gehirnerschütterung, einer angebrochenen Rippe, einem zerschnittenen Handgelenk und schmerzhaften Prellungen. Abends hatte Matt Baker angerufen und sie angewiesen, nach Washington zurückzukehren; Dana war jedoch nach diesem Ereignis nur noch gefestigter in ihrem Entschluß, in Bosnien-Herzegowina zu bleiben.
»Die Menschen hier sind verzweifelt«, erklärte sie. »Da kann ich mich doch nicht einfach aus dem Staub machen. Wenn Sie mir die Rückkehr nach Washington befehlen, werde ich kündigen.«
»Wollen Sie mich vielleicht erpressen?«
»Ja.«
»Das hab ich mir doch gedacht!« schimpfte er. »Ich lasse mich aber nicht erpressen. Von niemand. Verstehen sie mich?«
Dana schwieg und wartete.
»Und was würden Sie von einer Beurlaubung halten?« wollte er wissen.
»Ich brauche keine Beurlaubung.«
Sie konnte sein Seufzen in der Leitung hören.
»Also gut. Dann bleiben Sie eben dort. Nur eines, Dana ...«
»Ja?«
»Versprechen Sie mir, vorsichtig zu sein.«
Dana hörte vor dem Hotel draußen die Salven eines Maschinengewehrs. »In Ordnung.«
Die Stadt hatte die ganze Nacht über unter starkem Beschuß gelegen, so daß Dana nicht schlafen konnte. Jede Explosion einer Granate bedeutete die Zerstörung eines Gebäudes oder einer Familie.
Dana war sofort am frühen Morgen mit ihrer Crew hinausgegangen, um zu drehen. Benn Albertson wartete, bis der Donner eines Granatwerfers verhallte, dann nickte er Dana zu. »In zehn Sekunden.«
»Ich bin bereit«, sagte Dana.
Benn gab ein Zeichen mit dem Finger. Dana wandte ihren Blick von den hinter ihr liegenden Ruinen ab und schaute in die Fernsehkamera.
»Diese Stadt verschwindet langsam vom Erdboden. Ohne Elektrizität sind ihre Augen erloschen . Und weil ihre Fernseh- und Rundfunkstationen geschlossen sind, ist sie auch ohne Ohren ... Sämtliche öffentliche Verkehrsmittel sind zum Erliegen gekommen, und das bedeutet: Sie hat ihre Beine verloren .«
Die Kamera schwenkte über einen leeren, ausgebombten Spielplatz, wo noch Rostskelette von Schaukeln und Rutschbahnen zu sehen waren.
»In einem anderen Leben haben hier Kinder gespielt, die Luft war erfüllt von ihrem Lachen.«
In der näheren Umgebung war erneut Geschützfeuer zu hören, und plötzlich ertönten Sirenen. Die Menschen, die hinter Dana über die Straße gingen, setzten ihren Weg fort, als ob sie nichts gehört hätten.
»Das Geräusch, das Sie jetzt vernehmen, ist ein neuerlicher Fliegeralarm, ein Signal, daß die Menschen laufen und Schutz suchen müssen. Die Bewohner Sarajevos wissen aber, daß es hier keinen Platz gibt, wo sie Schutz finden könnten, und so gehen sie einfach schweigend weiter. Wer die Möglichkeit hat, verläßt das Land, obwohl das bedeutet, die Wohnung und den ganzen Besitz aufzugeben. Von den Menschen, die hierbleiben, sterben leider nur zu viele. Es ist eine grausame Alternative. Es gibt Gerüchte über einen bevorstehenden Frieden - es gibt zu viele Gerüchte, zu wenig Frieden. Wird der Friede kommen? Und wann? Werden die Kinder eines Tages aus den Kellern herauskommen und diesen Spielplatz wieder benützen können? Keiner weiß es. Alle können nur hoffen. Dies ist Dana Evans mit einem Bericht aus Sarajevo für WTE.«