Am ersten Tag seiner Präsidentschaft schlenderte Oliver gemeinsam mit Jan durch das Weiße Haus, mit dessen statistischen Daten sie längst vertraut waren; es umfaßte 132 Räume, 32 Badezimmer, 29 Kamine, drei Fahrstühle, ein Schwimmbad, ein Putting Green fürs Golfspieltraining, Tennisplatz, Jogging-Laufbahn, Gymnastikraum, einen Spielplatz zum Hufeisenwerfen, Kegelbahn, Kino und eine etwa zwanzig Hektar große Fläche von hervorragend gepflegten Parkanlagen. Doch die Erfahrung, tatsächlich im Weißen Haus zu leben, Teil von ihm zu sein, war schier überwältigend.
»Es ist wie ein Traum, nicht wahr?« seufzte Jan.
Oliver nahm ihre Hand. »Ich bin glücklich, daß wir diese Erfahrung gemeinsam teilen.« Und das meinte er wirklich. Jan war ihm eine wunderbare Lebensgefährtin geworden, war immer für ihn da, stets hilfreich und treusorgend. Er stellte fest, daß ihm ihre Gesellschaft immer lieber wurde.
Oliver wurde von Peter Tager erwartet, als er zum Oval Office zurückkehrte. Die Ernennung Tagers zu seinem Stabschef war Olivers erste Amtstat gewesen.
»Ich kann es noch immer nicht glauben, Peter«, meinte Oliver.
Peter Tager quittierte es lächelnd. »Die Bevölkerung glaubt es aber. Die Bevölkerung hat Sie ins Amt gewählt, Mr. President.«
Oliver schaute vom Schreibtisch zu ihm hoch. »Für Sie bin ich nach wie vor Oliver.«
»In Ordnung, wenn wir unter uns sind. Sie müssen sich jedoch bewußt werden, daß von nun an jede Ihrer Handlungen Auswirkungen auf die gesamte Welt haben kann. Jede Aussage, die Sie machen, könnte die Wirtschaft erschüttern oder für hundert andere Länder rund um den Globus Folgen haben. So mächtig wie Sie ist kein anderer Mensch auf der Welt.«
Das Intercom rief. »Mr. President, Senator Davis ist da.«
»Er soll hereinkommen, Heather.«
Tager stöhnte. »Ich muß los. Mein Schreibtisch sieht aus wie ein Papierberg.«
Die Tür ging auf. Todd Davis trat ein. »Peter ...«
»Senator ...« Die zwei Männer gaben einander die Hand.
»Ich komme später wieder, Mr. President«, erklärte Tager.
Senator Davis kam zu Olivers Schreibtisch und nickte befriedigt. »Dieser Schreibtisch paßt zu dir, Oliver. Ich kann dir gar nicht sagen, welch ein erhebendes Erlebnis es für mich ist, dich dort sitzen zu sehen.«
»Danke, Todd. Ich habe noch etwas Mühe, mich an ihn zu gewöhnen. Ich meine . hier hat Adams gesessen . und Lincoln . und Roosevelt .«
Senator Davis lachte. »Davon solltest du dich aber nicht einschüchtern lassen. Das waren auch nur Männer wie du, bevor sie Legende wurden; sie haben auch nur dort gesessen und versucht, das Richtige zu tun. All deine Vorgänger haben am Anfang furchtbar Angst davor gehabt, ihren Arsch auf diesen Sessel zu setzen. Ich komme gerade von Jan. Sie ist im siebten Himmel, und sie wird eine großartige First Lady sein.«
»Das weiß ich.«
»Übrigens, ich habe hier eine kleine Liste, die ich gern mit dir besprechen würde, Mr. President.« Die Betonung lag auf »Mr. President«, und die Anrede klang sehr jovial.
»Selbstverständlich, Todd.«
Senator Davis schob ihm eine Namensliste über den Schreibtisch zu.
»Wozu das?«
»Nur ein paar Vorschläge, die ich dir für deine Kabinettsbildung machen möchte.«
»Ach so. Da habe ich mich allerdings bereits entschieden .«
»Ich hatte mir gedacht, daß du die Liste gerne durchsehen würdest.«
»Es hat aber gar keinen Sinn .«
»Schau dir die Namen an, Oliver.« Die Stimme des Senators klang merklich kühler.
Oliver kniff die Augen zusammen. »Todd .«
Senator Davis hob eine Hand. »Oliver, du darfst nicht eine Minute lang annehmen, daß ich dir meinen Willen oder meine Wunschvorstellungen aufzwingen möchte. Da würdest du dich irren. Ich habe diese Liste zusammengestellt, weil ich der Überzeugung bin, daß dies hier die Männer sind, die dir am besten dabei helfen könnten, deinem Lande zu dienen. Ich bin ein Patriot, Oliver, und ich schäme mich dessen nicht. Dieses Land bedeutet mir alles.« Er stockte. »Alles. Wenn du der Meinung sein solltest, daß ich dir nur deshalb zu diesem Amt verholfen habe, weil du mein Schwiegersohn bist, dann irrst du gewaltig. Ich habe alles getan, um sicherzustellen, daß du es bis hierher schaffst, weil ich der festen Überzeugung bin, daß du der beste Mann, der geeignetste für dieses Amt bist. Darauf kommt es für mich an.« Er klopfte mit einem Finger auf das Stück Papier. »Und diese Männer hier könnten dir bei der Erfüllung deiner Aufgabe behilflich sein.«
Oliver schwieg.
»Ich bin schon seit vielen, vielen Jahren in dieser Stadt tätig, Oliver. Und weißt du auch, was ich gelernt habe? Es gibt nichts Traurigeres als einen Präsidenten mit nur einer Amtszeit. Und weißt du, warum? Weil er in den ersten vier Jahren nur eine Grundidee davon zu formen vermag, was er unternehmen könnte, um dieses Land zu verbessern. Da entstehen all diese Träume, die er wahrmachen möchte. Und genau in dem Moment, da er bereit und soweit ist, ein Präsident zu werden, der tatsächlich Veränderungen bewirkt,« - er ließ seinen Blick durch das Büro wandern - »zieht ein anderer hier ein, und alle seine Träume sind dahin. Ganz schön traurig, nicht wahr? Alle diese Männer mit ihren großartigen Träumen, denen lediglich eine Amtszeit zur Verfügung stand. Hast du eigentlich gewußt, daß über die Hälfte der amerikanischen Präsidenten seit dem Amtsantritt McKinleys im Jahre 1897 lediglich für eine Amtsperiode hier gesessen haben? Doch was dich angeht, Oliver -ich werde dafür Sorge tragen, daß du ein Präsident mit zwei Amtszeiten wirst. Mir liegt daran, daß du imstande bist, all deine Träume zu verwirklichen. Ich werde dafür sorgen, daß du wiedergewählt wirst.«
Senator Davis warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stand auf. »Ich muß jetzt gehen. Wir sind aufgerufen worden, im Senat eine beschlußfähige Sitzung zu ermöglichen. Wir sehen uns heute abend bei Tisch.« Er entschwand durch die Tür.
Oliver schaute ihm lange versonnen nach, und dann griff er nach der Namensliste, die Todd Davis ihm zurückgelassen hatte.
In seinem Traum erwachte Miriam Friedland aus ihrem Koma und setzte sich in ihrem Bett auf. Neben ihrem Bett stand ein Polizist. Der Polizist schaute auf sie herunter und sagte zu ihr: »Jetzt können Sie uns mitteilen, wer Ihnen das angetan hat.«
»Ja.«
Er wachte schweißgebadet auf.
Am frühen Morgen rief Oliver in dem Krankenhaus an, wo Miriam lag.
»Bedaure, doch leider ist keine Besserung eingetreten, Mr. President«, sagte der Chefarzt. »Um die Wahrheit zu sagen: Es sieht nicht gut aus.«
Oliver zögerte, bevor er es aussprach. »Ich stelle die Frage, weil sie keine Verwandten und Angehörigen hat. Wäre es nicht humaner, sie von den lebenserhaltenden Apparaturen abzunehmen, wenn Sie nicht der Meinung sind, daß sie sich wieder erholen wird?«
»Ich denke, wir sollten noch ein wenig länger warten und sehen, was sich tut«, erwiderte der Arzt. »Manchmal geschieht doch ein Wunder.«
Jay Perkins, der Protokollchef des Weißen Hauses, unterrichtete den Präsidenten. »Es gibt in Washington hundertsiebenund-vierzig diplomatische Missionen, Mr. President. Das Blaue Buch - die Diplomatische Liste - enthält die Namen aller Botschafter bzw. Missionschefs ausländischer Regierungen nebst ihren Gemahlinnen. Das Grüne Buch - die Gesellschaftsliste - führt die Namen der Spitzendiplomaten, der Vertretungen in Washington und der Kongreßabgeordneten auf.«
Er reichte Oliver mehrere Blätter Papier. »Hier ist die Aufstellung der potentiellen ausländischen Botschafter, die Sie empfangen werden.«
Oliver las die Liste durch und fand den italienischen Botschafter und seine Frau: Atilio Picone und Sylvia. Sylvia. Oliver erkundigte sich mit Unschuldsmiene. »Werden die