»Das bin ich auch, Mr. Werner.«
Am Freitag abend saß Dana an der Seite von Jeff Connors auf der Presse-Tribüne von Camden Yards, um dem Baseballspiel zuzuschauen, und es war seit ihrer Heimkehr aus Bosnien das erste Mal, daß sie imstande war, an etwas anderes als an den Krieg zu denken. Während sie die Spieler auf dem Feld beobachtete, hörte sie dem Ansager zu, der den Spielverlauf bekanntgab.
Beim siebten Inning stand Jeff auf und schaute Dana an. »Macht es Ihnen Spaß?«
Dana schaute zu ihm hoch und nickte. »Ja.«
Als sie nach dem Match nach Washington zurückgekehrt waren, dinierten sie im Bistro Twenty Fifteen.
»Ich möchte mich noch einmal für mein Verhalten vorgestern entschuldigen«, sagte Dana. »Es ist eben so, daß ich in einer Welt gelebt habe, wo . « Sie hielt inne, weil sie nicht recht wußte, wie sie sich ausdrücken sollte. »Wo alles eine Frage von Leben oder Tod ist. Absolut alles. Es ist furchtbar. Und wenn niemand etwas tut und dem Krieg ein Ende macht, besteht für die Menschen dort keinerlei Hoffnung.«
»Dana«, sagte Jeff leise, »Sie dürfen wegen den Geschehnissen dort nicht Ihr eigenes Leben aufgeben. Sie müssen anfangen, wieder zu leben. Hier und jetzt.«
»Ich weiß. Es ist nur ... das ist gar nicht so leicht.«
»Natürlich ist es das nicht. Ich würde Ihnen gern dabei helfen. Darf ich?«
Dana schaute ihn lange an. »Ja, bitte.«
Am nächsten Tag war Dana mit Jeff zum Mittagessen verabredet.
»Könnten Sie mich abholen?« bat er und gab ihr seine Adresse.
»In Ordnung.« Dana fragte sich, wieso Jeff ausgerechnet dort, in einem äußerst unruhigen Teil der Innenstadt wohnen mußte. Als sie ankam, fand sie die Antwort auf ihre Frage.
Jeff war umringt von zwei Baseballmannschaften; die Spieler mochten zwischen neun und dreizehn Jahren alt sein und trugen eine bunte Vielfalt von Mannschaftsuniformen. Dana stellte ihren Wagen am Straßenrand ab und schaute ihnen beim Spiel zu.
»Und vergeßt eines nicht«, rief Jeff, »keine Eile. Wenn der Pitcher den Ball wirft, dann stellt euch vor, daß der Ball ganz langsam auf euch zukommt. Ihr habt also viel Zeit, um den Ball zu treffen. Stellt euch vor, fühlt es, wie euer Schlagholz auf den Ball knallt. Setzt euren Verstand ein, laßt ihn eure Hände führen .«
Jeff schaute herüber und bemerkte Dana. Er winkte. »Gut, Jungs. Das war's für heute.«
Ein Junge fragte: »Ist das deine Freundin, Jeff?«
»Wenn ich großes Glück habe.« Jeff lächelte. »Bis später.« Und er ging zu Danas Wagen.
»Das ist aber ein toller Baseballclub«, meinte sie anerkennend.
»Es sind nette Jungs. Ich trainiere sie einmal wöchentlich.«
Sie lächelte. »Das gefällt mir.« Und ihr kam die Frage in den Sinn, wie es wohl Kemal ging und womit er beschäftigt war.
Die Tage gingen dahin. Dana stellte fest, daß sie Jeff Con-nors immer lieber gewann, je länger sie ihn kannte. Er war einfühlsam, intelligent und lustig. Sie war gern mit ihm zusammen. Langsam begannen die schrecklichen Erinnerungen an Sarajevo zu verblassen. Und endlich kam der Morgen, als sie aufwachte und in der Nacht keine Alpträume gehabt hatte.
Als sie es Jeff erzählte, nahm er ihre Hand und sagte nur: »So hab ich mein Mädchen gern!«
Und Dana überlegte, ob eine tiefere Bedeutung in seinen Worten lag.
Auf Dana wartete im Büro ein in großen Druckbuchstaben geschriebener Brief. Sie las: »Miss evans, machen Sie sich keine Sorgen meinetwegen, ich bin hier glücklich, ich bin nicht einsam, ich vermisse niemand, und ich werde ihnen die kleidersachen zurückschicken, die sie mir gekauft haben, ich brauche sie nicht mehr, ich habe jetzt meine eigenen Sachen. Adieu.« Der Brief trug die Unterschrift »Kemal«.
Der Brief war in Paris abgestempelt worden; der Briefkopf lautete: »Xaviers Heim für Jungen.« Dana las den Brief noch einmal, und dann nahm sie den Hörer ab. Sie brauchte vier Stunden, um zu Kemal durchzukommen.
»Kemal, hier spricht Dana Evans. Ich bin's.« Keine Antwort. »Ich habe deinen Brief erhalten.« Schweigen. »Ich wollte dir nur mitteilen, wie sehr ich mich darüber freue, daß du glücklich bist und daß du es dort gut hast.« Sie wartete einen Augenblick, bevor sie weitersprach. »Ich würde auch gern so glücklich sein, wie du es bist. Weißt du auch, warum ich nicht so glücklich bin? Weil du mir fehlst. Ich denke oft an dich.«
»Nein, das tun Sie nicht«, widersprach Kemal. »Ich bedeute Ihnen gar nichts.«
»Da irrst du aber. Würdest du gerne nach Washington kommen und bei mir wohnen?«
Daraufhin folgte ein langes Schweigen. »Meinen Sie das ... ist das Ihr Ernst?«
»Und ob. Würdest du gerne kommen?«
»Ich .« Er fing an zu weinen.
»Würdest du gern zu mir kommen, Kemal?«
»Ja ... ja, Ma'am.«
»Ich werde die nötigen Vorkehrungen treffen.«
»Miss Evans?«
»Ja?«
»Ich liebe Sie.«
Dana und Jeff Connors gingen im West Potomac Park spazieren. »Ich denke, ich werde bald einen Wohngenossen bekommen«, sagte Dana. »Er müßte in den nächsten Wochen eintreffen.«
Jeff schaute sie überrascht an. »Er?«
Dana war zur eigenen Überraschung von seiner Reaktion erfreut. »Ja. Er heißt Kemal und ist zwölf Jahre alt.« Und sie erzählte ihm die Geschichte von Kemal.
»Das scheint ja ein großartiger Bursche zu sein.«
»Ist er auch. Er ist durch die Hölle gegangen, Jeff. Ich will ihm helfen zu vergessen.«
Er schaute Dana an und sagte. »Da würde ich gern mithelfen.«
An diesem Abend liebten sie einander zum ersten Mal.
16
Es gibt zwei Städte namens Washington, D.C. Da ist zum einen das Washington von maßloser Schönheit mit seiner stattlichen Architektur, seinen Museen von Weltklasse, Statuen, Denkmälern für die Giganten der Vergangenheit: Lincoln, Jefferson, Washington ... eine Stadt voll grüner Parkanlagen, Kirschblüten und samtweicher Luft.
Das andere Washington, D.C., ist eine Zitadelle der Obdachlosen, eine Großstadt, deren Kriminalitätsrate zu den höchsten im ganzen Land zählt, ein Labyrinth der Straßenräuber und Mörder.
Das »Monroe Arms« ist ein schickes, diskretes kleines Hotel, das in einem stillen Winkel nicht weit von der Kreuzung zwischen der 27th Street und K-Street versteckt liegt. Es macht keine Werbung, denn es lebt hauptsächlich von Stammkunden.
Das Hotel wurde vor etlichen Jahren von einer unternehmungslustigen jungen Immobilienhändlerin namens Lara Cameron erbaut.
Der Geschäftsführer des Hotels, Jeremy Robinson, war gerade zur Abendschicht eingetroffen. Beim Überprüfen der Gästeliste legte sich ein Ausdruck von Ratlosigkeit auf seine Züge. Er las die für die elitären Terrace-Suiten eingetragenen Namen noch ein weiteres Mal durch, um absolut sicherzugehen, daß da wirklich niemand einen Fehler gemacht hatte.
In Suite 325 probte eine Schauspielerin, deren Ruhm verblaßt war, für eine Premierenaufführung im National Theater. Einem Bericht der Washington Post zufolge erhoffte sie sich ein Comeback.
In der genau darüberliegenden Suite 425 logierte ein bekannter Waffenhändler, der Washington regelmäßig Besuche abstattete. Der Name im Gästebuch lautete auf J. L. Smith;
dem Aussehen nach handelte es sich jedoch eher um einen Gast aus dem Nahen Osten. Mr. Smith war mit Trinkgeldern ungemein großzügig.
Suite 525 war für William Quint gebucht, einen Kongreßab-geordneten, der dem mächtigen Ausschuß für Drogenaufsicht vorstand.
Die Suite 625 - ein Stockwerk höher - war von einem Computersoftwarehändler belegt, der einmal monatlich nach Washington kam.