Oliver Russell war Senator Davis erstmals als junger Anwalt aufgefallen, als er für ihn einen juristischen Auftrag bearbeitete. Senator Davis war von dem intelligenten, gutaussehenden, redegewandten Mann mit dem gewinnenden jungenhaften Charme beeindruckt gewesen und hatte sich damals regelmäßig mit ihm zum Mittagessen verabredet. Oliver hatte gar keine Ahnung davon, welch einer gründlichen Prüfung er dabei unterzogen wurde.
Einen Monat nach der ersten Bekanntschaft mit Oliver rief Senator Davis Peter Tager zu sich. »Ich glaube, wir haben unseren nächsten Gouverneur gefunden.«
Tager war ein ernsthafter Mensch, der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen war. Sein Vater war Geschichtslehrer gewesen; seine Mutter ganz in der Familie aufgegangen; beide waren eifrige Kirchgänger. Peter Tager war elf Jahre alt gewesen, als die Bremsen des väterlichen Wagens versagten und einen tödlichen Verkehrsunfall verursachten, bei dem beide Eltern und sein jüngerer Bruder ums Leben kamen. Peter war der einzige Überlebende, aber er verlor ein Auge.
Peter glaubte, Gott habe ihn verschont, damit er den Menschen Sein Wort verkündige.
Senator Davis kannte niemanden sonst, der sich so gut auf die Dynamik des politischen Lebens verstand wie Peter Tager. Tager wußte, wo Wählerstimmen zu holen und wie Wähler zu gewinnen waren. Er besaß ein untrügliches Gespür für die Dinge, die die Öffentlichkeit hören wollte, und für alles, dessen sie überdrüssig war. Für Senator Davis war es allerdings noch wichtiger, daß Peter Tager ein integrer Mensch war, dem er voll und ganz vertrauen konnte, und er war allgemein beliebt. Die schwarze Augenklappe verlieh ihm ein verwegenes Aussehen. Für Tager selbst war die eigene Familie das wichtigste in der Welt. Der Senator kannte keinen zweiten Mann, der von solch tiefem Stolz auf seine Frau und seine Kinder erfüllt war.
Zur Zeit ihrer ersten Begegnung hatte Peter Tager sich mit dem Gedanken getragen, Geistlicher zu werden.
»Es gibt so viele Menschen, die der Hilfe bedürfen, Senator. Ich möchte ihnen dienen, so gut ich kann.«
Den Gedanken hatte ihm Senator Davis ausgeredet. »Überlegen Sie doch einmal, wieviel mehr Menschen Sie helfen können, wenn Sie für mich im Senat der Vereinigten Staaten tätig sind.« Es hatte sich als eine glückliche Wahl erwiesen, denn Tager verstand es, Dinge in Gang zu bringen.
»Der Mann, den ich als unseren Kandidaten für das Amt des Gouverneurs in Betracht ziehe, heißt Oliver Russell.«
»Der Anwalt?«
»Genau. Er ist ein politisches Naturtalent. Ich habe das Gefühl, daß er - wenn wir hinter ihm stehen - das Rennen macht.«
»Klingt interessant, Senator.«
Die zwei Männer begannen, ernsthaft darüber zu diskutieren.
Senator Davis erwähnte Oliver Russell im Gespräch mit Jan. »Der Junge hat eine große Zukunft vor sich, Honey.«
»Und eine heiße Vergangenheit hinter sich, Vater. Er ist der größte Wolf in der ganzen Stadt.«
»Na, Liebling, du solltest nichts auf Klatsch geben. Ich habe Oliver übrigens für Freitag bei uns zum Abendessen eingeladen.«
Der Abend war ein voller Erfolg. Oliver war bezaubernd, und Jan war unwillkürlich von ihm fasziniert. Der Senator beobachtete die beiden und richtete Fragen an Oliver, die ihm Gelegenheit boten, sich von seiner besten Seite zu zeigen.
Beim Abschied lud Jan Oliver für den folgenden Samstag zu einer größeren Dinnerparty ein.
»Die Einladung nehme ich gern an.«
Und nach diesem zweiten Abend gingen sie miteinander aus.
»Die zwei werden bestimmt bald heiraten«, prophezeite der Senator gegenüber Peter Tager. »Aber es wird Zeit, daß wir Olivers Wahlkampagne ins Rollen bringen.«
Oliver wurde zu einer Sitzung ins Büro von Senator Davis bestellt.
»Ich möchte Ihnen eine Frage stellen«, sagte der Senator. »Was würden Sie davon halten, Gouverneur von Kentucky zu werden?«
Oliver schaute ihn erstaunt an. »Ich ... darüber habe ich noch nie nachgedacht.«
»Sei's drum. Aber Peter Tager und ich, wir haben uns darüber Gedanken gemacht. Im nächsten Jahr steht die Wahl an. Da bleibt uns genug Zeit, um Sie aufzubauen, um die Leute aufzuklären, wer Sie sind. Mit uns im Hintergrund können Sie die Wahl gar nicht verlieren.«
Und Oliver wußte, daß er recht hatte. Senator Davis war ein mächtiger Mann, der über einen gutgeschmierten politischen Apparat verfügte, über eine Maschinerie, die Mythen erzeugen, aber auch alle vernichten konnte, die sich ihr in den Weg stellten.
»Es würde allerdings ein totales Engagement Ihrerseits erfordern«, warnte der Senator.
»Ich werde es einbringen.«
»Ich habe sogar noch bessere Neuigkeiten für Sie, mein Junge. Aus meiner Sicht handelt es sich hier lediglich um den ersten Schritt. Sie dienen eine Amtszeit als Gouverneur - oder auch zwei - und danach, ich verspreche es Ihnen, bringen wir Sie ins Weiße Haus.«
Oliver schluckte. »Ist . ist das Ihr Ernst?«
»In solchen Dingen pflege ich keine Scherze zu machen. Ich muß Ihnen ja wohl nicht erklären, daß wir im Zeitalter des Fernsehens leben - und Sie besitzen etwas, das mit Geld überhaupt nicht zu erwerben ist: Charisma. Sie üben auf andere Menschen eine Anziehungskraft aus, und Sie mögen die Menschen, und das spürt man. Sie haben die gleiche Eigenschaft, die auch Jack Kennedy besaß.«
»Ich ... ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, Todd.«
»Sie müssen gar nichts sagen. Ich muß morgen zurück nach Washington. Nach meiner Heimkehr machen wir uns an die Arbeit.«
Ein paar Wochen später begann der Wahlkampf um das Amt des Gouverneurs. Der ganze Bundesstaat war mit Plakattafeln mit dem Bild von Oliver Russell überschwemmt. Er trat im Fernsehen auf, bei Versammlungen und politischen Tagungen. Wie private Umfragen Peter Tagers ergaben, nahm Olivers Popularität von Woche zu Woche zu.
»Er hat weitere fünf Punkte dazugewonnen«, verkündete
Peter dem Senator. »Jetzt liegt er bloß noch zehn Punkte hinter dem amtierenden Gouverneur, und uns bleibt noch viel Zeit. Es dürfte nur eine Frage von wenigen Wochen sein, bis die beiden in diesem Rennen Kopf an Kopf liegen.«
Senator Davis nickte. »Gar keine Frage, Oliver wird gewinnen.«
»Hat unser Junge dir eigentlich schon einen Heiratsantrag gemacht?« fragte Todd Davis seine Tochter beim Frühstück.
Jan lächelte versonnen. »Nicht mit offenen, klaren Worten -aber er läßt jede Menge Versuchsballons steigen.«
»Dann sorg dafür, daß es nicht allzulang bei Versuchsballons bleibt. Ich wünsche, daß ihr heiratet, bevor er Gouverneur wird. Ein Gouverneur mit einer Frau an seiner Seite tut sich leichter.«
Jan legte ihrem Vater die Arme um den Hals. »Ich bin ja so froh, daß du ihn in mein Leben gebracht hast. Ich bin richtig verrückt nach ihm.«
Der Senator strahlte. »Solange er dich glücklich macht, bin ich auch glücklich.«
Die Sache lief perfekt.
Bei seiner Heimkehr am nächsten Abend traf der Senator seine Tochter tränenüberströmt beim Kofferpacken auf ihrem Zimmer an.
Er musterte sie besorgt. »Was ist los, Baby?«
»Ich verschwinde von hier. Ich will Oliver nicht mehr wiedersehen! Mein Lebtag nicht!«
»Moment mal. Worum geht's eigentlich?«
Sie drehte sich zu ihm um. »Es geht um Oliver.« Sie klang verbittert. »Er hat die vergangene Nacht mit meiner besten Freundin in einem Motel verbracht. Sie hat es kaum abwarten können, mich anzurufen und mir mitzuteilen, was für ein wundervoller Liebhaber er ist.«