Tex und Dallas hatten sich eben Kissen aus dem Jeep geholt und wollten sich ins Gras setzen, als er herankam. »Fang«, sagte der zu Dallas und warf ihm einen Dollar zu. Dallas holte ihn geschickt aus der Luft. »Ihr könnt selbst losen. Einer von euch begleitet mich zu Jens Lyn, während der andere seinen Schönheitsschlaf nachholen darf.«
»Du gehst mit«, sagte Dallas zu Tex, doch dann fluchte er, als er George Washingtons Porträt sah. Tex lachte einmal kurz auf und legte sich dann hin.
»Ich weiß noch nicht einmal, wo wir sind«, beschwerte sich Dallas.
»Auf den Orkney-Inseln«, erwiderte Barney und beobachtete die Möwen, die vor ihnen in die Luft schnellten.
»In Geographie war ich schon immer schwach.«
»Die Orkneys sind eine kleine Inselgruppe nördlich von Schottland — etwa auf dem gleichen Breitengrad wie Stockholm.«
»Nördlich von Schottland — das glauben Sie selbst nicht! Ich war im Krieg in Schottland stationiert, und da sah ich die Sonne ein einziges Mal durch ein Wolkenloch. Außerdem war es eiskalt.«
»Gewiß, gewiß, aber das war im zwanzigsten Jahrhundert. Wir befinden uns jetzt im elften Jahrhundert und mitten in einer optimalen Klimalage. Zumindest behauptet das der Professor, und du kannst ihn ja fragen, wenn du mehr darüber wissen willst. Das Wetter war — oder ist — wärmer, darauf läuft es hinaus.«
»Kaum zu glauben«, meinte Dallas und sah mißtrauisch die Sonne an, als erwartete er, sie würde jeden Moment erlöschen.
Das Haus hatte sich seit ihrem letzten Besuch nicht verändert, und einer der Diener saß an der Tür und wetzte ein Messer, als sie näherkamen. Er sah verwundert auf, ließ den Wetzstein fallen und rannte ins Haus. Einen Augenblick später erschien Ottar und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Willkommen«, rief er, als der Jeep bremste. »Freut mich, daß ihr hier seid. Wo ist Jack Daniels?«
»Der Sprachunterricht scheint geklappt zu haben«, meinte Dallas. »Aber den Durst hat er behalten.«
»Es ist genug zu trinken da«, versicherte ihm Barney. »Aber ich möchte zuerst mit Dr. Lyn sprechen.«
»Er ist hinten«, sagte Ottar. Dann hob er die Stimme zu einem Brüllen. »Jens — kom hingat!«[11]
Jens Lyn schlurfte müde um die Ecke des Hauses. Er schleppte einen primitiven Holzeimer. Seine Füße waren nackt, und er war bis zu den Hüften lehmverschmiert. Bekleidet war er mit einem zerlumpten Sack, der um die Hüften von einem Streifen Rohleder festgehalten wurde. Sein Haar war schulterlang und sein Bart ebenso eindrucksvoll wie der von Ottar. Als er den Jeep sah, blieb er stocksteif stehen. Seine Augen weiteten sich, er stieß einen rauhen Schrei aus, wirbelte den Eimer über dem Kopf und rannte auf sie zu. Dallas sprang aus dem Jeep.
»Langsam, Doc«, sagte er. »Legen Sie den Eimer weg, bevor Sie jemand damit verletzen.«
Die Worte oder vielleicht auch die Haltung des Revolvermannes drangen langsam durch die Wut des Philologen. Er blieb stehen und senkte den Eimer. »Was ist los?« schrie er. »Wo wart ihr so lange?«
»Wir haben natürlich alles für den Film vorbereitet«, sagte Barney. »Wir schafften es in ein paar Tagen, aber natürlich, für Sie waren es zwei Monate …«
»Zwei Monate!« brüllte Lyn. »Mehr als ein Jahr! Wie konnte das geschehen?«
Barney zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, der Professor hat einen Fehler gemacht. Die vielen Instrumente …«
Jens Lyn knirschte mit den Zähnen, daß man es bis in den Jeep hörte. »Ein Fehler — damit ist die Sache für Sie abgetan! Während ich bei diesen verlausten Barbaren gefangen war und ihre dreckigen Tiere versorgen mußte! Fünf Minuten, nachdem Sie fort waren, versetzte mir Ottar einen Schlag auf den Schädel und nahm mir alle Kleider, Vorräte und natürlich auch den Whisky weg.«
»Weshalb für Whisky arbeiten, wenn Whisky auch so da?« fragte Ottar in schönster Wikingerlogik.
»Es ist nun mal geschehen«, sagte Barney. »Sie haben ein hartes Jahr hinter sich, aber ich werde dafür sorgen, daß man Sie entschädigt. Ihr Vertrag wird selbstverständlich auf ein Jahr verlängert. Das ist eine hübsche Summe, und außerdem haben Sie dann noch Ihr Universitätsjahr frei, weil im zwanzigsten Jahrhundert inzwischen nur ein paar Tage vergangen sind. Sie haben Ihre Aufgabe erfüllt und Ottar Englisch beigebracht …«
»Das haben Sie nur seinem Durst zu verdanken. Er war fast einen Monat lang abscheulich betrunken, und als er wieder zu sich kam, erinnerte er sich an die Englischlektionen. Ich mußte ihm täglich etwas beibringen, damit er von Ihnen Whisky verlangen könne, sobald Sie ankämen.«
»Ottar spricht gut, wirklich. Wo ist Whisky?«
»Wir haben genug, beruhige dich nur«, sagte Barney und wandte sich wieder an Jens. Der Gedanke an Paragraphen und Gerichtsverhandlungen machte ihm zu schaffen. »Was halten Sie davon, wenn wir die Sache auf sich beruhen lassen, Doc? Ein Jahresgehalt dafür, daß Sie Ottar Englisch beigebracht haben und weitere Prämien für Ihre Mitarbeit während des Films. Ich bin sicher, daß es ein interessantes Erlebnis war …«
»Aaaarh!«
»Sie werden es bestimmt nicht so schnell vergessen. Außerdem haben Sie garantiert eine Menge Altnordisch gelernt …«
»Weit mehr, als mir lieb war.«
»Wir sind also quitt, nicht wahr?«
Jens Lyn stand lange Zeit mit geballten Fäusten da, dann warf er den Eimer zu Boden und zertrampelte ihn wild.
»Gut«, sagte er schließlich. »Ich habe ja keine andere Wahl. Aber ich rühre keinen Finger, bevor ich ein anständiges Bad, eine Entlausung und neue Kleider bekomme.«
»Sicher, Doc. Wir fahren Sie gleich zu unserer Gesellschaft. Wir sind hinter der Landzunge …«
»Danke, ich finde selbst hin«, sagte er und stapfte zum Strand hinunter.
»Whisky«, sagte Ottar.
»Arbeite«, erklärte ihm Barney. »Wenn du Whisky haben willst, mußt du ihn dir verdienen. Wir fangen morgen mit den Dreharbeiten an, und ich brauche ein paar Informationen.«
»Gut. Komm ins Haus.«
»Um Himmels willen.« Barney trat einen Schritt zurück. »Ich weiß noch, was mit dem letzten Knaben geschah, der deine Einladung annahm.«
8
»Stillhalten!« rief Gino. »Du brauchst doch nur stillzuhalten, und nicht einmal das kannst du!«
»Brauche einen Drink!« knurrte Ottar und schüttelte den Knecht, der für Slithey Probe stand. Der Mann brach beinahe zusammen.
Gino setzte fluchend die Kamera ab. »Barney, sprechen Sie mit diesen beiden Steinzeitklötzen! Das hier soll eine Liebesszene werden und kein Ringkampf. Das sind die gräßlichsten Doubles, mit denen ich je gearbeitet habe.«
»Richten Sie nur alles für die Aufnahme her, ich bin gleich bei Ihnen, Gino«, sagte Barney und wandte sich wieder seinen Stars zu. Ruf hatte die Arme überkreuzt und starrte leer in den Raum. Er sah mit seiner Wikingerausrüstung und dem blonden Bart sehr eindrucksvoll aus. Slithey lehnte sich in ihrem Safaristuhl zurück, während ihre Perücke gekämmt wurde, und sie sah mit ihrem großzügigen Dekolleté noch eindrucksvoller aus.
»Also noch einmal«, sagte Barney. »Du bist verliebt, und Ruf muß in den Krieg ziehen, und du siehst ihn vielleicht nie wieder. Also verabschiedest du dich leidenschaftlich von ihm — dort drüben auf dem Hügel.«
»Ich dachte, ich würde ihn hassen?« sagte Slithey.
»Das war gestern«, erklärte Barney. »Wir machen die Aufnahmen nicht der Reihe nach, das habe ich dir heute schon zweimal gesagt. Also, ich wiederhole noch einmal kurz, und es kann nicht schaden, wenn du auch aufpaßt, Ruf. Der Film beginnt damit, daß Thor, der von Ruf dargestellt wird, mit seinen Wikingerpiraten die Farm überfällt, auf der du wohnst, Slithey. Du bist Gudrid, die Tochter des Hauses. Bei dem Kampf werden alle außer dir von den Wikingern getötet, und Thor nimmt dich als Beute mit. Er will dich besitzen, aber du bekämpfst ihn, weil du ihn haßt. Doch langsam gewinnt er dein Herz, und du verliebst dich in ihn. Als das geschieht, muß er aber schon wieder auf einen Raubzug fort, und er läßt dich zurück. Das ist die Szene, die wir jetzt drehen. Er ist weggegangen, du läufst ihm nach und rufst ihn, er dreht sich um, und du kommst zu ihm auf den Hügel. Ist das klar?«