Выбрать главу

»Natürlich weißt du es nicht.« Der Wikinger saß am Boden, und Barney setzte sich zu ihm, damit er die Flasche besser erreichen konnte. Die Sonne war untergegangen, und das Tiefrot des Horizonts ging langsam in ein Grau über.

»Wir machen einen Film, Ottar. Zugleich Unterhaltung und großes Geschäft. Geld und Kunst, das paßt nicht zusammen, aber wir vermischen sie seit Jahren. Ich bin im Geschäft, seit ich kurze Hosen trug, und heute, im jugendlich-reifen Alter von fünfundvierzig, setzt man mich auf die Straße. Denn ohne dieses Meisterwerk sind die Climactic-Studios pleite, und wenn sie absaufen, saufe ich mit ab. Und weißt du weshalb?«

»Da — trink!«

»Sicher. Ich werde dir sagen, weshalb. Weil ich in meiner langen, wechselvollen Karriere dreiundsiebzig Filme gemacht habe, von denen jeder einzelne sofort wieder vergessen wurde. Wenn ich Climactic verlasse, sitze ich fest, weil es eine Menge besserer Produzenten und Regisseure gibt, die mir die Jobs vor der Nase wegschnappen werden.«

Ottar sah edel und heldenhaft drein, wie er mit seinem Adlerprofil zum Meer hinausblickte. Er lächelte und rülpste. Barney nickte zustimmend und nahm sich noch einen Schluck.

»Du bist ein kluger Mann, Ottar. Ich sage dir etwas, was ich noch keinem gesagt habe, weil ich deinen Tageslohn versaufe und du wahrscheinlich doch nur eines von zehn Worten verstehst. Weißt du, was ich bin? Ich bin mittelmäßig. Hast du eine Ahnung, was für ein schreckliches Zugeständnis das ist? Wenn man schlecht ist, merken es die anderen bald und feuern einen. Wenn man ein Genie ist, merkt man es selbst und verkauft sich teuer. Aber wenn man mittelmäßig ist, weiß man es nie genau, und man schiebt es auf die anderen, bis man dreiundsiebzig Filme gemacht hat und erkennt, daß es mit Nummer Vierundsiebzig nichts mehr wird. Das Verrückte dabei ist, daß der Film ein guter Film hätte werden können. Bestimmt wäre er zumindest etwas Neues geworden. Im Eimer. Toter Film, kein Film …«

»Was ist dieser Film?«

»Ich sagte es schon, ein Kunstwerk. Unterhaltung. Wie eine eurer — wie heißen sie gleich? — Sagas …«

»Ich singe dir etwas aus einer Saga vor. Ich singe gut.«

Ottar stand auf, nahm einen Schluck und sang mit dröhnender Stimme, die zu den donnernden Wogen paßte:

»Sprich, sprich, Schwert! Töte das Herz, das der Wurm zerfrißt! Meine Söhne werden mich rächen. Tod kennt nicht Furcht. Der Walküren Stimme bringt neue Gäste zu Odins Festmahl. Der Tod ist da. Feiert! Aus ist das Leben. Lachend sterb’ ich.«

Ottar stand einen Moment lang da — dann schrie er zornig: »Das war Ragnars Lied, als König Aella ihn tötete. Ich wollte, ich hätte ihn umbringen können.« Er schüttelte die Faust zum Himmel hinauf.

Barney hatte Sehstörungen, aber wenn er ein Auge schloß, ging es einigermaßen. Ottar stand hoch aufgereckt da, eine Gestalt aus der Götterdämmerung mit seinen Ledergewändern und seinem fliegenden Haar. Das letzte Licht des Sonnenuntergangs zauberte rötlich Reflexe auf seine Haut. Für ihn war die Saga echt, für ihn waren Leben und Kunst eins. Das Lied war der Kampf, und der Kampf wurde zum Lied.

Der Gedanke überfiel Barney ganz überraschend, und er atmete scharf ein.

Aber weshalb nicht? Wenn er nicht halb betrunken dagelegen hätte, wäre ihm der Gedanke sicherlich nicht gekommen. Aber weshalb nicht? Dieser Film war Wahnsinn, weshalb sollte man ihm nicht die Krone des Wahnsinns aufsetzen? Er konnte tun, was er wollte — und er flog auf alle Fälle. Weshalb nicht?

»Komm mit!« sagte er und versuchte den reglosen Wikinger hinter sich herzuziehen.

»Weshalb?« fragte Ottar.

»Um Filme anzusehen.« Ottar blieb unbeeindruckt. »Um mehr Whisky zu holen.«

Das war ein besserer Grund, und sie gingen gemeinsam zum Lager. Barney stützte sich auf den Wikinger, doch der schien es kaum zu merken.

»Sind die Aufnahmen entwickelt?« fragte Barney, als er den Kopf in den Studiowagen steckte.

»Sie kommen eben aus dem Trockner«, erwiderte der Techniker.

»Schön. Stellen Sie die Leinwand auf. Wir wollen sie sehen.«

»Whisky?« fragte Ottar, und Barney sagte: »Sicher, setz dich hier hin, ich hole ihn.«

Es dauerte eine Zeitlang, bis er im Dunkeln den richtigen Wohnwagen gefunden hatte, weil so viele ungewohnte Dinge im Weg lagen. Auch das Schlüsselloch bereitete ihm Schwierigkeiten. Als er mit der Flasche zurückkam, war die Leinwand schon aufgebaut. Man hatte auch ein paar Faltstühle bereitgestellt. Sie machten es sich bequem, stellten die Flasche zwischen sich und beobachteten den Film unter freiem Himmel.

Anfangs hatte Ottar Schwierigkeiten, die Bilder als Einheit zu sehen, doch als sein Auge sich daran gewöhnt hatte, stieß er verwunderte Rufe aus, weil er sein Haus und den Strand erkannte.

Das Abendessen war fast vorbei, und die meisten Leute kamen vorbei und sahen sich die Aufnahmen an. Sie keuchten, als sie das Piratenschiff herankommen sahen, und Ottar knurrte tief in der Kehle. Als das Schiff landete, und der Kampf hin und her wogte, herrschte nur verwundertes Schweigen. Der Blickwinkel war gut, die Bilder kamen scharf und klar, und die Einzelheiten waren beinahe unerträglich. Selbst Barney, der dabeigewesen war, spürte, wie ihm die Haare zu Berge standen, als der angreifende Wikinger immer näher kam.

Mit einem Kriegsruf warf sich Ottar in die Leinwand und rüttelte am Metallrahmen. Es dauerte eine Zeitlang, bis Lyn ihn beruhigt hatte und helfende Hände die zerfetzte Leinwand entfernten. Während das geschah, kamen Scheinwerfer auf das Lager zu, und eine Minute später hielt ein weißer Krankenwagen mit der Aufschrift LOS ANGELES COUNTY HOSPITAL neben dem Freilichtkino.

»Bis man hier jemand findet!« knurrte der Fahrer. »Ihr Filmfritzen seid nicht schlecht ausgerüstet. Hätte nie geglaubt, daß man so eine Landschaft aufbauen könnte!«

»Was wollen Sie?« fragte Barney.

»Anruf. Beinbruch. Der Mann soll Hawk heißen.«

Barney sah die schweigenden Umstehenden an, bis er seine Sekretärin in der Menge entdeckte. »Betty, bringen Sie die Leute zu Ruf, ja? Und baldige Genesung.«

Betty wollte etwas sagen, aber sie fand nicht die richtigen Worte. So wandte sie sich schnell ab und drückte das Taschentuch vor das Gesicht. Sie kletterte in den Ambulanzwagen. Die Stille dehnte sich hin, und die meisten Anwesenden vermieden es, Barney anzusehen. Er lächelte breit vor sich hin und winkte fröhlich.

»Weiter geht es«, befahl er. »Holt eine andere Leinwand.«

Als das letzte Stück Film durchgelaufen war, stellte sich Barney vor die Leinwand und hielt die Hand vor die Augen, weil das Licht des Projektors ihn blendete.

»Gino — sind Sie da? Und Sie auch, Amory?« Die beiden antworteten mit Ja. »Gut, richten wir alles für eine Probe her. Bringt ein paar Stative und Scheinwerfer …«

»Mitten in der Nacht?« fragte jemand aus dem Dunkel.

»Ich weiß selbst, wie spät es ist. Also gut, Überstundenzahlung, aber ich möchte den Test jetzt machen. Wie sich vermutlich inzwischen herumgesprochen hat, fällt Ruf Hawk wegen seines gebrochenen Beins aus. Das heißt, daß wir keinen Hauptdarsteller haben. Allerdings ist das nicht so tragisch, wie es aussieht, da wir bis jetzt noch kaum eine Szene mit ihm gedreht haben und ich einen neuen Hauptdarsteller bekomme. Deshalb unsere Aufnahmeprobe mit Ottar …«

Einige schwiegen schockiert, andere flüsterten, und der Rest lachte.

Gerade das Lachen erwischte Barney am härtesten. Die ganze Last lag auf seinen Schultern, und der Film hing von seinen Entscheidungen ab. Nicht nur der Film — auch seine Zukunft.

Normalerweise bekam er bei solchen Situationen Magenschmerzen und ein nervöses Augenflattern, aber jetzt hatte ihn offenbar ein Hauch des Wikingergeistes gestreift.

»Ottar paßt für die Rolle, das kann keiner abstreiten. Und wenn er einen kleinen Akzent hat — nun, Boyer und Von Stroheim hatten auch einen, und ihr wißt, was sie geleistet haben. Mal sehen, ob er schauspielerisch an Ruf Hawk herankommt.«