»Also, besorg mir die Unterschrift.« Barneys Blick fiel zufällig auf Slithey, die sich in den Lehnstuhl drapiert hatte und ihre Beine überkreuzte. Ihre Strumpfbänder hatten kleine rosa Schleifen …
»Was sagst du, Charley?« fragte Barney und drehte sich in seinem Bürostuhl im Kreis. »Schon ein paar brauchbare Ideen?«
Charley Chang hob einen dicken Schmöker hoch. »Ich bin auf Seite 13, und da liegen noch ein paar Bände herum.«
»Füllmaterial«, versicherte ihm Barney. »Wir können jetzt die groben Linien festlegen und die Einzelheiten später einsetzen. L. M. schlug eine Saga vor, und das kann nicht schlecht sein. Wir beginnen bei den Orkney-Inseln um das Jahr 1000, als es dort ziemlich stürmisch zuging. Wir haben nordische Siedler und Wikinger-Piraten, und die Dinge spitzen sich zu. Vielleicht könntest du mit einem Wikingerüberfall anfangen. Das Drachenschiff gleitet durch die dunklen Wogen, du weißt schon.«
»Wie bei einem Western, wenn die Bankräuber leise in die Stadt schleichen?«
»Genau. Der Held ist der Wikingerhäuptling oder vielleicht der Siedlerboß, das überlasse ich dir. Es gibt also einen Kampf, und dann noch einen, und der Held entschließt sich, sein Bündel zu packen und nach der neuen Welt Vinland abzureisen, von der er eben gehört hat.«
»Wie die Eroberung des Westens?«
»Richtig. Dann die Reise, der Sturm, der Schiffbruch, die Landung, die erste Siedlung, der Kampf mit den Indianern. Denke großzügig, denn wir haben viel Material. Das Ende heroisch mit Blick in den Sonnenuntergang.«
Charley Chang kritzelte Notizen auf das erste Blatt des Buches und nickte. »Noch eines«, sagte er und hielt das Buch hoch. »Die Namen von einigen dieser Kerle sind wirklich Mist. Hör dir das an! Da heißt einer Eyjolf der Stinkende, und der hat einen Freund namens Hergil Hnappraz. Dazu Polarbär-Schwein, Ragnar Haarigbein und viele andere. Für einen Witzfilm ginge es …«
»Es wird ein sehr ernsthafter Film, Charley, ernsthafter als jeder andere.«
»Du bist der Boß, Barney. Es war nur ein Vorschlag. Und was ist mit der Liebe?«
»Bring sie früh ins Spiel, du weißt ja, wie man das macht.«
»Die Rolle ist wie geschaffen für mich, Barney, Liebling«, flüsterte die Stimme in sein Ohr, während sich warme Arme um ihn schlangen und er in einem Meer nachgiebigen Fleisches zu versinken drohte.
»Laß dich von ihm nicht übers Ohr hauen, Slithey«, hörte er eine gedämpfte Stimme. »Barney Hendrickson ist mein Freund, mein lieber, alter Freund, aber er ist auch ein ganz schlitzohriger Geschäftsmann. Tut mir leid, aber ich werde den Vertrag genau untersuchen müssen, bevor du ihn unterschreibst. Und versprich ihm nicht zuviel.«
»Iwan«, sagte Barney und kämpfte sich aus der parfümierten Umarmung frei, »kümmere dich einen Moment um deinen Schützling, bis ich Zeit für euch habe. Ich weiß nicht, ob wir ein Geschäft machen können, aber zumindest läßt sich darüber reden.«
Iwan Grissini, der mit seinem glatten Haar, der Hakennase und dem verknautschten, von Schuppen übersäten Anzug wie ein unehrlicher Agent aussah, war zur Überraschung aller tatsächlich ein unehrlicher Agent. Er roch ein Geschäft zehn Meilen gegen einen Gewittersturm und trug immer sechzehn Füllfederhalter bei sich, die er jeden Morgen in einem feierlichen Ritual mit Tinte versah.
»Setz dich da drüben hin, Baby«, sagte er und schob Slithey mit geübter Hand auf die Ecke zu. Da sie nicht auf Dollars schlief, war er ihren Reizen gegenüber unempfindlich. »Barney Hendrickson ist ein Mann, der Wort hält.«
Das Telefon klingelte eben, als Jens Lyn hereinkam und den Vertrag schwenkte. »Ottar kann das nicht unterschreiben. Es ist in Englisch abgefaßt.«
»Dann übersetzen Sie es, Sie sind ja dafür da. Moment.« Er nahm den Hörer auf.
»Ich könnte es übersetzen, auch wenn es ungeheuer schwierig wäre, aber was soll es? Er kann nicht lesen.«
»Einen Moment, Lyn. Nein, nicht du, Sam. Ich weiß, Sam … Natürlich habe ich den Kostenvoranschlag gesehen, ich habe ihn ja selbst gemacht. Nein, du brauchst mich nicht zu fragen, wo ich die Spritze herbekomme. Sei doch realistisch, Mann … gut, ich gebe zu, daß du nicht von gestern bist … aber was du nicht weißt, ist die Tatsache, daß der Film innerhalb der Summe produziert werden kann, die ich angegeben habe, plus oder minus fünfzigtausend … Gebrauche niemals das Wort ›unmöglich‹, Sam. Das Unmögliche dauert zwar eine Zeitlang, aber wir schaffen es, das solltest du aus Erfahrung wissen … Was? … Am Telefon? Sam, sei vernünftig. Ich habe im Moment einen richtigen Affenzirkus in meinem Büro, ich kann dir wirklich keine Einzelheiten erzählen … Ich will dich abwimmeln? Ich? Niemals! … Ja, frage ihn unbedingt. L. M. weiß über diesen Film genau Bescheid, von Anfang an. Du wirst sehen, daß er mich rückhaltlos unterstützt. Schön … Ja, das wünsche ich dir auch, Sam.«
Er ließ den Hörer auf die Gabel fallen, und Charley Chang sagte: »Sie wird bei einem Überfall gefangengenommen und kämpft mit echtem Haß gegen den Entführer an, aber der Haß verwandelt sich in Liebe, ohne daß sie etwas dagegen tun kann.«
»Ich bin noch nie bei einem Überfall gefangengenommen worden«, kam Slitheys rauchige Stimme aus der Ecke.
»Gute Idee«, sagte Barney zu Charley.
»Und selbst wenn er lesen könnte — er kann nicht schreiben«, sagte Lyn.
»Dieses Problem haben wir bei ausländischen Schauspielern des öfteren«, erklärte ihm Barney. »Heften Sie die Übersetzung an den Vertrag, lassen Sie sie durch einen zweisprachigen Notar beglaubigen und durch Daumenabdruck oder sonst ein Zeichen von dem Verhandlungspartner unterzeichnen. Dann brauchen wir noch die Unterschrift von zwei unparteiischen Zeugen, und kein Gericht der Welt kann uns etwas anhaben.«
»Es könnte schwierig sein, einen Notar mit englischen und altnordischen Sprachkenntnissen aufzutreiben.«
»Rufen Sie bei unserem Schauspielerarchiv an, die wissen alles.«
»Da sind sie, Mister Hendrickson«, sagte seine Sekretärin und stellte ihm das Röhrchen mit den Tabletten auf den Tisch.
»Zu spät«, flüsterte Barney und starrte die Pillen reglos an. »Zu spät.«
Das Telefon und die Sprechanlage meldeten sich gleichzeitig, und er nahm zwei Tabletten und spülte sie mit dem kalten schwarzen Kaffee herunter, der nach Pappbecher schmeckte.
»Hier Hendrickson«, sagte er in die Sprechanlage.
»Barney, Sie müssen sofort in mein Büro kommen«, erklärte L. M.
Betty hatte das Telefon abgenommen. »Das war L. M. Greenspans Sekretärin«, sagte sie. »L. M. möchte, daß Sie sofort in sein Büro kommen.«
»Das habe ich eben gehört.«
Seine Oberschenkel schmerzten, als er sich erhob, und er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Tabletten wirkten. »Bleib in der Nähe, Charley, ich brauche bald eine Zusammenfassung, nur ein paar Blätter.«
Als er auf die Tür zuging, kam Iwan Grissinis Hand blitzschnell auf seinen Jackenaufschlag zu, aber er wich ihr mit einer Reflexbewegung aus. »Du bleibst auch in der Nähe, Iwan, ich muß mit dir sprechen, sobald ich L. M. gesprochen habe.« Das Stimmengewirr verstummte, als er die Tür hinter sich schloß. »Könnten Sie mir Ihr Handtuch leihen, Betty?«
Sie holte das Handtuch aus der untersten Schublade ihres Schreibtisches, und er stopfte es sorgfältig in seinen Hemdkragen. Dann bückte er sich und hielt den Kopf unter den Wasserhahn. Er schnappte nach Luft, als Betty ihn anstellte. Einen Moment lang ließ er den eisigen Strom über Kopf und Hals rieseln, dann streckte er sich und trocknete sich ab. Betty lieh ihm ihren Kamm. Er fühlte sich schwach, aber besser, und als er in den Spiegel sah, fand er sich beinahe menschlich. Beinahe.
»Schließen Sie die Tür hinter sich ab«, sagte L. M., als Barney ins Büro kam. Dann schnitt er knurrend die Telefondrähte mit einer Drahtschere durch. »Sind noch welche da, Sam?«