Ich überprüfte den von den Morlocks gelieferten Proviant. Es war eine beklemmende Aussicht: das Essen sah keinen Deut appetitlicher aus als zuvor, aber jetzt hatte ich wirklich Hunger. Ich hob die Schüssel mit Wasser an — sie hatte die Größe einer Suppenschüssel — und führte sie an die Lippen. Es war schal und ohne Geschmack, als ob alle Mineralien herausdestilliert worden wären, aber es war klar und erfrischte den Mund. Für ein paar Sekunden hielt ich die Flüssigkeit auf der Zunge, verharrte vor dieser letzten Hürde; und dann schluckte ich sie energisch hinunter. Ebenso tunkte ich einen Zipfel meines Taschentuchs in die Schüssel und befeuchtete damit Gesicht und Hände.
Dann wandte ich mich dem Essen selbst zu. Ich nahm mir einen grünlichen Brocken davon. Ich schnickte eine Ecke weg: es brach leicht, war durchgehend grün und krümelte fast wie Cheddar. Ich schlug die Zähne in das Zeug. Was den Geschmack betraf — wenn man jemals Gemüse gegessen hat, z. B. Broccoli oder Rosenkohl, der bis an die Grenze der Auflösung zerkocht wurde, kann man sich eine ungefähre Vorstellung davon machen; Mitgliedern der weniger distinguierten Londoner Clubs werden die Symptome bekannt vorkommen! Doch ich verzehrte soviel von dem Brocken, bis die Hälfte weg war. Dann nahm ich die anderen Stücke und probierte auch diese; obwohl ihre Farben variierten, unterschieden sich Konsistenz und Geschmack nicht im geringsten.
Es genügten ein paar Bissen von dem Zeug, um mich zu sättigen, und ich legte die Reste auf das Tablett und schob es von mir weg.
Ich setzte mich auf den Boden und ließ den Blick durch die Dunkelheit schweifen. Ich verspürte eine enorme Dankbarkeit, daß die Morlocks mir wenigstens diese Beleuchtung bereitgestellt hatten, denn ich konnte mir vorstellen, daß ich schon verrückt geworden wäre, wenn ich auf dieser leeren, konturenlosen Fläche ausgesetzt worden wäre, in einer Dunkelheit, die nur von den Sternenabbildungen unter mir durchbrochen wurde. Und gleichzeitig war mir bewußt, daß die Morlocks diesen Lichtkreis auch aus Eigeninteresse geschaltet hatten, als effektive Maßnahme, um mich an diesem Ort zu halten. Ich war völlig hilflos, Gefangener eines bloßen Lichtstrahls!
Große Erschöpfung und Schlafbedürfnis kamen über mich. Ich wollte nicht schon wieder das Bewußtsein verlieren — und mich dadurch der Schutzlosigkeit aussetzen — aber ich sah auch wenig Sinn darin, ständig wach zu bleiben. Ich trat aus dem Lichtkreis hinaus und ging ein Stück in die Dunkelheit hinein, so daß ich durch die Illusion der Nacht zumindest etwas Sicherheit verspürte. Ich zog die Jacke aus und legte sie zu einem Kopfkissen zusammen. Die Luft war ziemlich warm, und der weiche Boden schien auch erwärmt, so daß ich also nicht frieren würde.
Solcherart, meinen korpulenten Körper über den Sternen ausgestreckt, schlief ich ein.
Ein Besucher
Ich kann nicht sagen, wieviel Zeit verstrichen war, als ich wieder aufwachte. Ich hob den Kopf und sah mich um. Ich befand mich allein in der Dunkelheit, und alles schien unverändert. Ich schlug auf die Westentasche; die Hebel der Zeitmaschine waren noch sicher aufbewahrt.
Als ich versuchte, mich zu bewegen, jagten die steifen Glieder eine Schmerzwelle durch die Beine und den Rücken. Ich setzte mich ungelenk auf und kam auf die Füße, wobei ich jedes einzelne Jahr spürte; ich war höchst dankbar, daß ich nicht aufspringen mußte, um einen Haufen marodierender Morlocks abzuwehren! Ich vollführte ein paar unbeholfene gymnastische Übungen, um die Muskeln zu lockern; dann hob ich die Jacke auf, strich die Falten glatt und zog sie an.
Dann trat ich wieder nach vorne in den Lichtkreis.
Wie ich feststellte, waren die Tabletts mit den Essenskartons und der Toiletteneimer ausgetauscht worden. Also beobachteten sie mich doch! — Gut, ich hatte auch nichts anderes erwartet. Ich nahm die Deckel von den Kartons ab, nur um erneut die gleichen deprimierenden Stücke des anonymen Futters zu finden. Ich stellte mir aus Wasser und etwas von dem grünlichen Zeug ein Frühstück zusammen. Meine Angst hatte sich gelegt und war von einem trüben Gefühl der Betäubung abgelöst worden — es ist erstaunlich, wie schnell der menschliche Geist sich selbst an die außergewöhnlichsten Situationen anpassen kann. Sollte das von nun an mein Schicksal sein? — ein hartes Bett, lauwarmes Wasser und eine Diät aus gekochten Gemüsebrocken? Es war wie damals in der Schule, dachte ich düster.
»Pau.«
Diese einzelne Silbe, leise gesprochen, dröhnte in dieser absoluten Stille wie ein Schuß in meinen Ohren.
Ich schrie auf, kam hastig auf die Füße und hielt die Gemüseriegel vor mich — es war absurd, aber ich hatte eben keine andere Waffe. Der Laut war hinter mir ausgestoßen worden, und ich wirbelte herum, wobei die Stiefel auf dem Boden quietschten.
Da stand ein Morlock, gerade im Zwielicht an der Grenze des Lichtkreises. Er stand aufrecht — nicht in dieser gebeugten, affenartigen Haltung wie jene Kreaturen, die ich vorher gesehen hatte — und er trug eine Brille, wie ein Schild aus blauem Glas, die seine Augen bedeckte und sie schwarz aussehen ließ. »Tik. Pau«, verbalisierte diese Erscheinung mit merkwürdig gurgelnder Stimme.
Ich stolperte zurück und trat auf das klappernde Tablett. Ich nahm die Fäuste hoch. »Komm mir nicht zu nahe!«
Der Morlock machte einen Schritt nach vorne und näherte sich der Lichtsäule; trotz der Brille wurde er etwas von der Helligkeit geblendet. Er mußte zu einer neuen Brut Morlocks gehören, die den Eindruck einer höheren Entwicklungsstufe vermittelte; ich erkannte, daß er einer von denen war, die mich betäubt hatten. Er schien nackt zu sein, aber das blonde Haar, das seinen Kopf und Rücken bedeckte, war geschnitten und — bewußt — in einem ziemlich strengen Stil frisiert; als Brust und Schultern bedeckendes Rechteck wirkte es wie eine Uniform. Er hatte ein kleines Gesicht ohne Kinn, wie ein häßliches Kindergesicht.
Die Erinnerung an dieses ergötzliche Gefühl, als ich dem Morlock mit dem Knüppel den Schädel eingeschlagen hatte, schlich sich wieder in meine Gedanken. Ich erwog, diesen Kameraden zu überrennen und auf die Bretter zu schicken. Aber welchen Nutzen hätte ich davon? Die Zahl der anderen, dort in der Dunkelheit, war ohne Zweifel Legion. Ich hatte keine Waffe, nicht einmal meinen Schürhaken, und ich dachte daran, wie der Verwandte dieses Wesens diese seltsame Waffe auf mich gerichtet und mich ohne jede Mühe außer Gefecht gesetzt hatte.
Ich beschloß, erst einmal abzuwarten.
Und außerdem — obwohl es sich komisch anhören mag! — spürte ich, daß mein Zorn nachließ und in einen unmotivierten Zustand der Belustigung überging. Trotz der obligaten Leichenblässe seiner Haut schaute der Morlock wirklich lustig aus — man stelle sich einen Orang Utan mit gestutztem und gelbweiß gefärbtem Haar vor, der Männchen macht und zudem noch eine schrille Brille aufhat — und man kann sich denken, wie er wirken mußte.
»Tik. Pau«, wiederholte er.
Ich ging einen Schritt auf ihn zu. »Was willst du mir sagen, du Primitivling?«
Er zuckte zusammen — was wohl auf meinen Tonfall zurückzuführen war — und deutete dann abwechselnd auf die Gemüseriegel in meinen Händen.
»Tik«, sagte er. »Pau.«
Ich verstand. »Gütiger Gott«, meinte ich, »du willst mit mir reden, richtig?« Abwechselnd hielt ich die Nahrungsmittelbrocken hoch. »Tik. Pau. Eins. Zwei. Sprichst du Englisch? Eins. Zwei…«
Der Morlock legte den Kopf schief — wie Hunde das manchmal machen — und dann sagte er — und er sprach es fast genauso aus wie ich —: »Eins. Zwei.«
»So wird's gemacht! Und wo das herkommt, gibt's auch noch mehr — eins, zwei, drei, vier…«