Der Morlock trat in meinen Lichtkreis, wobei mir indessen auffiel, daß er sich außerhalb meiner Reichweite hielt. Er deutete auf meine Wasserschüssel. »Agua.«
»Agua?« Das hatte wie Latein geklungen — andererseits war humanistische Bildung noch nie meine Sache gewesen. »Wasser«, erwiderte ich.
Wieder hörte der Morlock schweigend zu, den Kopf in Schräglage.
So machten wir weiter. Der Morlock deutete auf Alltagsgegenstände — Kleidungsstücke, oder Körperteile wie Kopf oder Gliedmaßen — und lieferte dann dazu einen Kommentar ab. Manche seiner Versuche waren schlichtweg unverständlich für mich, und einige klangen deutsch oder vielleicht auch altenglisch. Und ich nannte ihm dann meine gängige Terminologie. Ein paarmal versuchte ich, ihn in ein längeres Gespräch zu verwickeln — denn ich glaubte nicht, daß diese simple Aufzählung von Substantiven uns sehr weit bringen würde — aber er stand nur da, bis ich schließlich auch nichts mehr sagte, und dann machten wir mit dem alten Geduldsspiel weiter. Ich konfrontierte ihn mit einigen Brocken, die ich von Weenas Sprache behalten hatte, dieser vereinfachten, melodischen Mundart aus Zwei-Wörter-Sätzen; aber wieder stand der Morlock nur geduldig da, bis ich auch das aufgab.
So ging das für einige Stunden. Schließlich nahm der Morlock ganz formlos seinen Abschied — er verschwand in der Dunkelheit —; ich folgte ihm nicht (noch nicht! sagte ich erneut zu mir). Ich aß und schlief, und als ich aufwachte, kehrte er zurück, und wir setzten den Unterricht fort.
Als er um meinen Lichtkäfig herumging und auf Dinge zeigte und sie benannte, waren die Bewegungen des Morlocks flüssig und recht elegant, und seine Körpersprache wirkte intensiv; aber mir wurde bald bewußt, wie sehr man sich in der Alltagskommunikation von der Interpretation der Bewegungen seiner Mitmenschen leiten läßt. Was den Morlock betraf, war ich in dieser Hinsicht Analphabet. Es war unmöglich zu sagen, was er dachte oder fühlte — hatte er vielleicht Angst vor mir? War er etwa gelangweilt? — und infolgedessen fühlte ich mich in einer benachteiligten Position. Am Ende unserer zweiten Lehrstunde zog sich der Morlock von mir zurück.
»Das sollte genügen«, meinte er. »Verstehst du mich?«
Ich starrte ihn an, überwältigt von seiner plötzlichen fremdsprachlichen Kompetenz. Seine Aussprache war undeutlich — diese flüssige Sprache der Morlocks war anscheinend nicht für die härteren Konsonanten und Satzabbrüche des Englischen ausgelegt —, aber die Worte waren gut verständlich.
»Verstehst du mich?« wiederholte er, als ich nicht antwortete.
»Ich — ja. Ich meine: Ja, ich verstehe dich! Aber wie hast du das gemacht — wie konntest du meine Sprache lernen — mit so wenigen Wörtern?« Meiner Einschätzung nach hatten wir nämlich höchstens fünfhundert Wörter erarbeitet, überwiegend diese Substantive und einfache Verben.
»Ich habe Zugriff auf die Archive aller alten Sprachen der Menschheit, soweit sie rekonstruiert werden konnten — von Nostratisch bis zur Indo-Europäischen Gruppe mit ihren Vorläufern. Eine kleine Anzahl von Schlüsselwörtern genügt, um die entsprechende Variante aufzurufen. Du mußt mich darauf hinweisen, wenn ich etwas sage, das keinen Sinn ergibt.«
Ich machte einen vorsichtigen Schritt vorwärts. »Alt? Und woher willst du wissen, daß ich alt bin?«
Große Lider senkten sich wie raschelnde Papierblätter über seine Augen. »Deine körperliche Erscheinungsform ist archaisch. Und bei der Analyse deines Mageninhaltes…« Tatsächlich schauderte ihn, offenbar beim Gedanken an die Überreste von Mrs. Watchets' Frühstück. Ich war erstaunt: Ich hatte es mit einem empfindsamen Morlock zu tun! »Du bist nicht aus dieser Zeit«, erkannte er. »Wir wissen noch nicht, wie du auf die Erde gekommen bist. Aber wir werden sicher noch dahinterkommen.«
»Und in der Zwischenzeit«, sagte ich halbwegs energisch, »wollt ihr mich hier festhalten — in diesem Lichtkäfig. Als ob ich ein wildes Tier wäre und kein Mensch! Ihr laßt mich auf dem Boden schlafen und gebt mir einen Toiletteneimer…«
Der Morlock sagte nichts, sondern beobachtete mich nur teilnahmslos.
Die Gefühle der Frustration und des Zorns, die mich seit der Ankunft an diesem Ort befallen hatten, kamen wieder an die Oberfläche, jetzt, wo ich in der Lage war, sie zu artikulieren, und ich war der Ansicht, daß der Höflichkeiten genug gewechselt worden waren. »Wo wir jetzt miteinander sprechen können«, sagte ich, »wirst du mir sagen, wo auf der Erde ich mich befinde. Und wo ihr meine Maschine versteckt habt. Verstehst du das, Bursche, oder soll ich es dir vielleicht übersetzen?« Und ich streckte eine Hand nach ihm aus, um ihn an seinem Brusthaar zu packen.
Als ich mich ihm bis auf zwei Schritte genähert hatte, hob er die Hand. Das war alles. Ich kann mich nur noch an einen merkwürdigen grünen Blitz erinnern — die ganze Zeit, in der er in meiner Nähe war, hatte ich das Gerät, das er gehalten haben mußte, nicht gesehen — und dann verlor ich das Bewußtsein und stürzte zu Boden.
Offenbarungen und Einsprüche
Als ich wieder zu Bewußtsein kam, lag ich erneut breitbeinig auf dem Boden und starrte nach oben in dieses verdammte Licht.
Ich stützte mich auf die Ellbogen auf und rieb mir die geblendeten Augen. Mein Morlock-Freund war noch immer da und stand direkt an der Grenze des Lichtkreises. Zerknirscht stand ich auf. Ich erkannte, daß ich mit diesen neuen Morlocks meine liebe Mühe haben würde.
Der Morlock trat ins Licht, wobei seine blaue Brille glitzerte. Als ob unser Dialog überhaupt nicht unterbrochen worden wäre, sagte er: »Mein Name ist…« — seine Aussprache reduzierte sich wieder auf das übliche konturenlose Morlock-Muster — »Nebogipfel.«
»Nebogipfel.« Ich mußte das mehrmals aufsagen, bis ich den Dreh heraus hatte. »Sehr schön.« Im Gegenzug nannte ich ihm meinen Namen; nach ein paar Minuten konnte er ihn klar und präzise wiederholen.
Das, so realisierte ich, war der erste Morlock, dessen Namen ich kannte — der erste, der aus der Masse herausragte, der ich bisher begegnet war, und der erste, der kämpfte; der erste, der Merkmale einer eigenständigen Persönlichkeit aufwies.
»Also, Nebogipfel«, sagte ich. Ich saß mit untergeschlagenen Beinen neben meinen Tabletts und rieb die Abschürfungen, die ich mir beim letzten Sturz am Oberarm zugezogen hatte. »Du bist mir als Wärter zugeteilt worden, hier in diesem Zoo.«
»Zoo.« Sein Gesicht verzog sich unter der Haarmähne. »Nein. Ich wurde dir nicht zugeteilt. Ich habe mich freiwillig gemeldet, um mit dir zu arbeiten.«
»Mit mir zu arbeiten?«
»Ich — wir — wollen wissen, wie du hierher gekommen bist.«
»Wollt ihr also, beim Jupiter?« Ich stand auf und stiefelte in meinem Lichtkäfig umher. »Was, wenn ich euch sagen würde, daß ich in einer Maschine hergekommen bin, die einen Menschen durch die Zeit transportieren kann?« Ich hielt die Hände hoch. »Daß ich eine solche Maschine gebaut habe, mit diesen Händen? Was dann, hä?«
Er schien darüber nachzudenken. »Deine Ära, wie aus deiner Sprache und deinem Äußeren geschlossen werden kann, ist sehr weit von der unseren entfernt. Ihr seid in der Lage, High-Tech-Erzeugnisse zu produzieren — das sieht man an deiner Maschine, ob sie dich nun durch die Zeit trägt oder nicht, wie du behauptest. Und die Kleidung, die du trägst, der gepflegte Zustand deiner Hände und deiner Zähne — all das sind Indikatoren für einen hohen Stand der Zivilisation.«
»Ich fühle mich geschmeichelt«, kommentierte ich nicht ohne Stolz, »aber wenn ihr glaubt, daß ich zu solchen Dingen fähig bin — daß ich ein Mensch bin, kein Affe —, warum werde ich dann auf diese Art eingesperrt?«