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Meine Entwicklung war viel durchschlagender als eine bloße Zeitmaschine: sie war eine Geschichts-Maschine, ein Weltenvernichter!

Ich war der Totengräber der Zukunft: ich realisierte, daß ich mir mehr Macht angeeignet hatte als Gott höchstselbst (wenn man Thomas von Aquin Glauben schenken will). Durch meine Destabilisierung der Geschichte hatte ich Milliarden ungeborener Leben ausgelöscht — Leben, die jetzt nie das Licht der Welt erblicken würden.

Ich konnte kaum leben mit dem Wissen dieser Anmaßung. Ich habe persönlicher Macht immer mißtraut — denn ich bin noch nie einem Menschen begegnet, der weise genug gewesen wäre, daß man sie ihm hätte anvertrauen können — aber jetzt hatte ich mir selbst mehr Macht genommen als irgendein Mensch, der jemals gelebt hatte!

Wenn ich jemals wieder in den Besitz meiner Zeitmaschine gelangen sollte — das schwor ich mir damals — würde ich in die Vergangenheit zurückreisen, eine finale, abschließende Einstellung der Geschichte vornehmen und dann das von mir ersonnene infernalische Gerät vernichten.

… Und ich erkannte jetzt, daß ich Weena nie wiedersehen würde. Ich hatte nämlich nicht nur ihren Tod verursacht — jetzt stellte sich auch noch heraus, daß ich ihre ganze Existenz aufgehoben hatte!

In diesem Sturm der Emotionen klang der kleine Verlust lieblich und klar, wie der Ton einer Oboe inmitten des Getöses eines großen Orchesters.

Leben und Sterben der Morlocks

Eines Tages führte mich Nebogipfel zu einem Ort, der vielleicht das Unangenehmste darstellte, was ich bisher in dieser ›Ein-Zimmer-Stadt‹ gesehen hatte.

Wir näherten uns einem quadratischen Sektor mit einer Seitenlänge von ca. achthundert Yards, wo die Trennwände niedriger als sonst zu sein schienen. Beim Näherkommen registrierte ich einen anschwellenden Geräuschpegel — einen steten Strom fließenden Gemurmels — und einen stechenden Geruch nach Morlocks, der intensiver war als üblich, mit seiner charakteristischen muffigen, morbiden Süßlichkeit. Nebogipfel gab mir die Order, an der Grenze dieses Areals stehenzubleiben.

Durch meine Brille konnte ich erkennen, daß die Oberfläche dieses freien Abschnittes belebt war — sie pulsierte regelrecht — und zwar mit schreienden, sich krümmenden und krabbelnden Babies. Es waren Tausende von ihnen, dieser unbeholfene Morlock-Nachwuchs, wobei ihre kleinen Hände und Füße an den struppigen Haarbüscheln ihrer Kameraden herumzerrten. Sie rollten herum wie junge Affen und bearbeiteten ›Junior-Versionen‹ der Informationswände, die ich schon erwähnt hatte, oder stopften Essen in ihre großen Rachen; hier und da bewegten sich Erwachsene durch die Menge, hoben hier jemanden auf, der hingefallen war, schlichteten dort einen kleinen Streit und beruhigten irgendwo im Hintergrund ein weinendes Kind.

Belustigt ließ ich den Blick über dieses Meer aus Kindern schweifen. Vielleicht mochten manche ihre Freude an einer solchen Kollektion Menschenkinder haben — nicht jedoch ich als eingefleischter Junggeselle — aber das hier waren Morlocks… Man muß sich daran erinnern, daß die Morlocks für menschliche Begriffe ohnehin nicht sehr attraktive Wesen sind, nicht einmal als Kind, mit ihrem leichenblassen Fleisch, der kalten Haut und diesem Gestrüpp auf dem Kopf. Wenn Sie sich einen gigantischen Tisch vorstellen, der von sich krümmenden Maden übersät ist, dann vermittelt Ihnen das eine ungefähre Ahnung von den Eindrücken, die mir hier vermittelt wurden!

Ich wandte mich Nebogipfel zu. »Aber wo sind ihre Eltern?«

Er zögerte, als ob er nach den richtigen Worten suchen würde. »Sie haben keine Eltern. Dies hier ist eine Gebärfarm. Wenn sie alt genug sind, werden die Kinder von hier zu einer Tagesstätte gebracht, entweder in der Sphäre oder…«

Doch ich hörte schon nicht mehr zu. Ich musterte Nebogipfel von oben bis unten, aber sein Haar verdeckte die Konturen des Körpers.

Mit einem intensiven Gefühl des Wunders erkannte ich nun eine weitere dieser so offensichtlichen Tatsachen, die mir seit meiner Ankunft hier ins Auge gestochen hatten, ohne daß ich sie indessen interpretiert hätte: es gab keine Anzeichen sexueller Diskriminierung, weder bei Nebogipfel noch bei irgendeinem der anderen Morlocks, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte — nicht einmal bei solchen Vertretern wie meinen Niedergravitations-Besuchern, deren Körper nur spärlichen Haarwuchs aufwiesen und die deshalb um so leichter ausgemacht werden konnten. Der Durch-schnitts-Morlock hatte die Statur eines Kindes, er hatte weder erkennbare sekundäre Geschlechtsmerkmale noch eine besondere Ausprägung von Hüfte oder Brust… Mit einem Schock realisierte ich, daß ich von den Liebes- und Geburtsriten der Morlocks weder etwas wußte noch mir bisher Gedanken darüber gemacht hatte!

Nebogipfel gab mir einen kurzen Überblick über die Aufzucht und Erziehung der jungen Morlocks.

Das Leben der Morlocks nahm in diesen Gebärfarmen und Kindertagesstätten seinen Anfang — zu meiner schmerzlichen Erinnerung war die ganze Erde in eine solche verwandelt worden — und dort wurde den Kindern zusätzlich zu den Grundformen zivilisierten Verhaltens eine essentielle Fertigkeit vermittelt: Lernfähigkeit. Wie wenn ein Schuljunge des neunzehnten Jahrhunderts — anstatt sich eine Menge Unfug über Griechisch und Latein und obskure geometrische Theoreme in seinen armen Schädel zu prügeln — gelernt hätte, sich zu konzentrieren, Bibliotheken zu benutzen, sich Wissen anzueignen — und vor allem, zu denken. Gemäß dieser Philosophie erfolgte die Aneignung von spezifischem Wissen in Abhängigkeit von den anstehenden Aufgaben und den Neigungen des Individuums.

Als Nebogipfel mir das referierte, verspürte ich fast eine körperliche Reaktion, als ich die Simplizität dieser Logik erfaßte. Natürlich! — sagte ich mir — soviel zu Schulen! Welch ein Kontrast zu dem Schlachtfeld der Ignoranz und Inkompetenz, das meine eigene reizlose Schulzeit dargestellt hatte!

Ich verspürte den Drang, Nebogipfel nach seinem Beruf zu fragen.

»Unsere Tätigkeiten nehmen uns nicht so in Anspruch, wie das bei euch der Fall ist«, entgegnete er. »Ich habe zwei Vorlieben — Berufungen.« Seine Augen waren nicht zu sehen und machten es daher um so schwieriger, seine Emotionen zu interpretieren. Er sagte: »Physik und die Ausbildung der Kinder.«

Ausbildung und Training aller Art zogen sich durch das ganze Leben der Morlocks, und es war nicht ungewöhnlich, daß ein Individuum drei oder vier ›Laufbahnen‹ einschlug, um es in meiner Sprache auszudrücken — nacheinander oder sogar parallel. Das generelle Intelligenzniveau der Morlocks lag nach meiner Einschätzung etwas höher als bei den Menschen meines Jahrhunderts.

Dennoch war ich von Nebogipfel Berufswahl überrascht; ich hatte angenommen, daß Nebogipfel sich ausschließlich auf die Naturwissenschaften spezialisiert haben mußte, so profund war seine Kompetenz, meinen zuweilen etwas verworrenen Ausführungen zur Theorie der Zeitmaschine und der Evolution der Geschichte zu folgen.

»Sag mir«, verlangte ich leichthin, »aufgrund welcher Fähigkeit haben sie dich zu meinem Aufseher gemacht? Wegen deiner Expertise in Physik — oder deiner Begabung als Kindermädchen?«

Ich hatte den Eindruck, daß sich sein schwarzer, mit kleinen Zähnen besetzter Mund zu einem Grinsen verzog.

Dann traf mich der Schlag der Erkenntnis — und ich verspürte eine gewisse Demütigung bei dem Gedanken. Ich bin in meiner Zeit ein bedeutender Mann, und trotzdem war ich der Aufsicht einer Person unterstellt worden, deren Fachgebiet eher der Kindergarten war!