Ich habe so intensiv über diese Szenerie nachgedacht«, sagte ich zu Nebogipfel, »daß sich jetzt eine dumpfe Angst in meinem Geist eingenistet hat. Ich habe nämlich den Eindruck, daß dieses Arrangement von kräftigem Räuber und zerbrechlicher Beute eine Konsequenz des Verhältnisses zwischen Eloi und Morlocks sein könnte, das ich schon früher beobachtet hatte.«
»Aber ihre Gestalten waren doch so unterschiedlich: die Centipeden, und dann diese Krabben…«
»Über solch riesige Zeitspannen«, insistierte ich, »ist der Evolutionsdruck so massiv, daß die Erscheinungsformen der Spezies nachgerade plastisch sind — das behauptet jedenfalls Darwin — und die zoologische Retrogression ist eine dynamische Kraft. Bedenke, daß du und ich — und die Eloi und Morlocks —, wenn man es in einem ausreichend großen Maßstab betrachtet, alle Verwandte innerhalb der gleichen urzeitlichen Schlammfisch-Familie sind!«
Vielleicht, so spekulierte ich, hatten sich die Eloi in ihrem verzweifelten Versuch, den Morlocks zu entkommen, in die Lüfte geschwungen; und diese Räuber waren aus ihren Höhlen hervorgekrochen, hatten schließlich ihr ganzes technologisches Know-how verloren und krabbelten jetzt an diesen kalten Stränden entlang und warteten darauf, daß ein Schmetterlings-Eloi schlappmachte und vom Himmel fiel. So war der antike Konflikt schließlich auf die Ebene des reinen Instinkts reduziert worden.
»Ich setzte die Reise fort«, erzählte ich Nebogipfel, »in Tausendjahresschritten in die Zukunft. Noch immer kroch dieser Pulk von Schalentieren zwischen den Flechten und Felsen umher. Das Volumen der Sonne vergrößerte sich bei abnehmender Lichtstärke, und das Leben auf der Erde verlagerte sich in die Luft.
Mein letzter Halt war dreißig Millionen Jahre in der Zukunft, wo die Sonne zu einer Kuppel geworden war, die den Himmel in einem weiten Bogen ausblendete. Es fiel Schnee — ein harter, gnadenloser Regen. Ich fröstelte und mußte die Hände in die Jackenärmel schieben. Ich konnte Schnee auf den bleich im Sternenlicht liegenden Hügelkämmen erkennen, und große Eisberge drifteten im Meer. Es war die finale Eiszeit, das Eis, das am Ende die Erde bedecken wird.
Die Krabben waren verschwunden, aber das kräftige Grün der Flechten hielt sich noch. Ich glaubte, auf einem Riff im Meer ein schwarzes Objekt gesehen zu haben, in dem auch noch Leben zu stecken schien.
Eine Sonnenfinsternis — die dadurch verursacht wurde, daß sich einer der inneren Planeten auf seinem Umlauf vor die Sonne schob — warf seinen Schatten auf die Erde. Nebogipfel, das wäre etwas für dich gewesen! — aber ich wurde von einem großen Schrecken gepackt und bestieg wieder die Maschine, um mich davonzumachen. Dann, als die Sichel der roten Sonne wieder am Himmel erschien, sah ich, daß sich das Ding auf dem Riff tatsächlich bewegte. Es war eine Fleischkugel — wie ein körperloser Kopf, mit einem Durchmesser von drei Fuß oder mehr und mit zwei Tentakelbüscheln, die wie Finger über das Riff baumelten. Der Mund des Wesens war schnabelförmig, und es hatte keine Nase. Seine Augen — deren zwei, groß und dunkel — wirkten humanoid…«
Und selbst als ich dem geduldigen Nebogipfel das Ding beschrieb, realisierte ich die Ähnlichkeit mit dieser Vision der Zukunft und meinem merkwürdigen Begleiter auf meiner letzten Reise durch die Zeit — dem schwebenden, grün fluoreszierenden Ding, das ich Beobachter genannt hatte. Konnte es sein, fragte ich mich, daß mein Beobachter nicht mehr als eine Heimsuchung war, vom Ende der Zeit?
»Und so«, sagte ich schließlich, »kletterte ich wieder auf meine Maschine — ich verspürte großes Unbehagen dabei, dort zu liegen, hilflos in dieser grimmigen Kälte — und kehrte in mein eigenes Jahrhundert zurück.«
Im Flüsterton sprach ich weiter, wobei die großen Augen von Nebogipfel auf mich fixiert waren, und ich erkannte in ihnen ein rudimentäres Flackern dieser Neugier und des Wunders, das die Menschheit charakterisiert.
Diese paar Tage im Weltraum schienen kaum eine Bedeutung für mein restliches Leben gehabt zu haben; manchmal kam mir die Periode, die ich in dieser Kabine schwebend verbrachte, kürzer als ein Herzschlag im großen Fluß meines Lebens vor, und dann wiederum hatte es den Anschein, als ob ich eine Ewigkeit in der Kapsel verbracht hätte, während ich zwischen den Welten driftete. Es war, als ob ich mich von meinem Leben gelöst hätte und in der Lage wäre, es gleichsam als Außenstehender zu betrachten, als ob es ein noch nicht vollendeter Roman wäre. Hier war ich als junger Mann, der mit seinen Versuchsanordnungen und Vorrichtungen und Plattneritstapeln hantierte, die Gelegenheit verschmähte, unter Leute zu kommen, das Leben, die Liebe, die Politik und Künste kennenzulernen — ich weigerte mich sogar zu schlafen! — auf der Suche nach der absoluten Erkenntnis. Ich hatte sogar den Eindruck, daß ich mich nach der Beendigung dieser interplanetarischen Reise sah, mit meinem Plan, die Morlocks zu überlisten und in meine eigene Zeit zu entfliehen. Sie müssen verstehen, daß ich nach wie vor fest entschlossen war, diesen Plan durchzuführen — aber es schien mir, als ob ich die Aktionen einer anderen Figur beobachtete, die unbedeutender war als ich.
Schließlich bekam ich den Eindruck, daß ich mich nicht nur meiner Ursprungswelt entfremdete — sondern allen Welten und sogar dem Raum und der Zeit.
Was sollte in meiner eigenen Zukunft aus mir werden, wenn nicht wieder der vom Wind der Zeit getriebene Hauch eines Bewußtseins?
Erst als die Erde merklich näherrückte — ein dunklerer Schatten im All, wobei das Licht der Sterne von den Weltmeeren reflektiert wurde — wandte ich mich wieder den trivialen Belangen der Menschheit zu. Erneut liefen die Details meiner Pläne — und meine Hoffnungen und Ängste in bezug auf die Zukunft — wie ein Uhrwerk in meinem Gehirn ab, und ich tauchte wieder in das pralle Leben ein.
Ich habe dieses kurze interplanetarische Zwischenspiel nie vergessen, und manchmal — im Zustand zwischen Wachen und Schlafen — stelle ich mir vor, daß ich wieder zwischen der Sphäre und der Erde treibe, nur in der Gesellschaft eines geduldigen Morlocks.
Nebogipfel ließ meine Vision der Ersten Zukunft auf sich wirken. »Du sagst, du wärst dreißig Millionen Jahre weit gereist.«
»Soviel oder noch mehr«, bestätigte ich. »Vielleicht könnte ich die Chronologie noch präziser bestimmen, wenn…«
Er wischte das beiseite. »Etwas stimmt hier nicht. Deine Beschreibung der Evolution der Sonne ist zwar plausibel, aber sie ist eine schleichende Zerstörung, die — nach Angaben unserer Wissenschaftler — in einem Zeitraum von Tausenden von Millionen Jahren abläuft und nicht in nur ein paar Millionen.«
Ich fühlte mich in die Verteidigung gedrängt. »Ich gebe nur das wieder, was ich gesehen habe, authentisch und akkurat.«
»Daran zweifle ich auch nicht«, konzedierte Nebogipfel. »Aber die einzige Schlußfolgerung ist, daß in dieser anderen Historie — wie auch in meiner eigenen — die Evolution der Sonne nicht ohne fremde Intervention vonstatten ging.«
»Du meinst…«
»Ich meine, daß ein stümperhafter Versuch unternommen worden sein muß, die Intensität der Sonne bzw. ihre Lebensdauer zu manipulieren, um den Stern auszuschlachten.«
Nebogipfels Hypothese war die, daß meine Eloi und Morlocks vielleicht nicht die ganze Geschichte der Menschheit geprägt hatten, in dieser traurigen, verlorenen Historie. Vielleicht — so spekulierte Nebogipfel — hatte eine Rasse von Ingenieuren die Erde verlassen und sich an der Modifikation der Sonne versucht, wie es auch Nebogipfels Vorfahren getan hatten.
»Aber der Versuch mißlang«, stellte ich konsterniert fest.
»Ja. Die Ingenieure kehrten nie mehr zur Erde zurück — die dann der langsamen Tragödie der Eloi und Morlocks anheimfiel. Und die Sonne verblieb in einem Zustand der Instabilität, der ihre eigentlich lange und stabile Brenndauer drastisch verkürzte.«