Mit einiger Erleichterung schloß ich die Tür. Es war ein Genuß, für eine Weile allein zu sein. Ich schämte mich, daß ich so systematisch plante, ihn und sein Volk zu hintergehen! Aber mein Plan hatte mich bereits über eine Distanz von mehreren hundert Millionen Meilen geführt — bis auf einige hundert Yards an die Zeitmaschine heran — und ich konnte die Vorstellung des Scheiterns jetzt nicht mehr ertragen.
Wenn ich Nebogipfel verletzen mußte, um zu fliehen, dann würde ich es sicher tun!
Ich öffnete den Rucksack, fand eine Kerze und zündete sie an. Ein gemütliches gelbes Licht und ein Rauchwölkchen verwandelten diese inhumane kleine Kiste in ein Heim. Die Morlocks hatten meinen Schürhaken nicht wieder herausgegeben — was ich mir auch hätte denken können —, aber der Großteil der übrigen Ausrüstung war vorhanden. Sogar mein Klappmesser war noch da. Mit dieser Klinge und dem Morlock-Tablett als improvisiertem Spiegel schabte ich mir den lästigen Bartwuchs ab und rasierte mich so gründlich, wie es eben ging. Ich konnte sogar die Unterwäsche wechseln — ich hätte nie gedacht, daß mir das Gefühl wirklich sauberer Socken eine solche Wahrnehmung sinnlichen Genusses bescheren könnte! — und ich dachte zärtlich an Mrs. Watchets, die mir diese wertvollen Sachen eingepackt hatte.
Schließlich — und dies war das größte Vergnügen — holte ich meine Pfeife aus dem Rucksack, stopfte sie mit Tabak und zündete sie an der Kerzenflamme an.
In diesem Zustand, mit meinen wenigen Habseligkeiten umgeben und noch das Aroma meines besten Tabaks in der Nase, legte ich mich auf das kleine Bett, zog mir die Decke über und schlief ein.
Ich erwachte im Dunklen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, ohne Tageslicht aufzuwachen — als ob man mitten in der Nacht aufgeweckt worden wäre — und solange ich mich in der Ewigen Nacht der Morlocks befunden hatte, war ich noch nie richtig ausgeschlafen gewesen. Es hatte den Anschein, als ob mein Körper nicht imstande sei, die Tageszeit zu bestimmen.
Ich hatte Nebogipfel gesagt, daß ich die Zeitmaschine in Augenschein nehmen wollte, und ich verspürte eine große Nervosität, als ich meine Morgentoilette erledigte und ein kleines Frühstück einnahm. Mein Plan wies eigentlich keine strategische Komponente auf: es ging mir lediglich darum, bei der erstbesten Gelegenheit von der Maschine Besitz zu ergreifen! Mein Spiel basierte auf der Unterstellung, daß die Morlocks nach Jahrtausenden mit hochentwickelten Maschinen nichts mehr mit einem so primitiv konstruierten Gerät anzufangen wußten, wie diese Zeitmaschine eines war. Ich hielt es für unwahrscheinlich, daß sie erwarteten, mit einem so simplen Handgriff wie dem Einstecken zweier Hebel die Funktionsfähigkeit der Maschine wieder herzustellen — oder zumindest betete ich, daß dem so war!
Ich verließ die Hütte. Nach all meinen Abenteuern steckten die Hebel der Zeitmaschine noch sicher in der Innentasche meiner Jacke.
Nebogipfel kam auf mich zu; seine schmalen Füße hinterließen verwaschene Abdrücke im Sand, und seine beiden Hände waren leer. Ich fragte mich, wie lange er wohl schon in der Nähe gewesen war und auf mein Erscheinen gewartet hatte.
Wir marschierten zusammen an der Flanke des Hügels entlang und hielten uns südlich in Richtung Richmond Park. Wir hatten uns ohne größere Vorreden auf den Weg gemacht, denn die Morlocks halten nicht viel von unnötiger Konversation.
Ich hatte bereits erwähnt, daß mein Haus in der Petersham Road gestanden hatte, auf dem Abschnitt unterhalb von Hill Rise. Somit hatte es sich auf halber Höhe von Richmond Hill befunden, mit einer schönen Aussicht nach Westen — oder vielmehr hätte es die gehabt, wenn da nicht einige Bäume im Weg gewesen wären — und ich hatte einen Ausschnitt der Wiesen von Petersham jenseits des Flusses sehen können. Nun, im Jahr 657208 n. Chr. war das ganze störende Zeugs weggefegt worden, und ich konnte an der Flanke eines tiefen Tales hinabschauen, wo die Themse in ihrem neuen Bett floß, glitzernd im Sternenlicht. Hier und da konnte ich die glühenden Schlünde der Wärmequellen der Morlocks ausmachen, die sich punktuell über das abgedunkelte Land verteilten. Die Hügelkette bestand jetzt zum überwiegenden Teil aus Sand oder war mit Moos überzogen. Außerdem konnte ich noch Flecken sehen, die wie das weiche Glas aussahen, mit dem die Sphäre ausgekleidet war, und die im verstärkten Licht der Sterne funkelten.
Der Fluß selbst hatte sich etwas eine Meile von seinem Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts entfernt ein neues Bett gegraben; es hatte den Anschein, als ob der Bogen zwischen Hampton und Kew begradigt worden wäre, so daß Twickenham und Teddington jetzt an seinem östlichen Ufer lagen, und es schien mir, daß das Tal deutlich tiefer war als zu meiner Zeit — oder vielleicht war Richmond Hill auch aufgrund irgendeines geologischen Prozesses gehoben worden. Ich erinnerte mich an eine ähnliche Wanderung der Themse während meiner ersten Zeitreise. Also gewann ich den Eindruck, daß die historischen Diskrepanzen bloß vergängliches Menschenwerk waren; unter ihrer Oberfläche liefen unerbittlich und geduldig die langsamen Prozesse der Tektonik und Erosion ab.
Ich gönnte mir einen Moment, am Hügel zum Park hochzuschauen, denn ich fragte mich, wie lange dieses alte Waldland und die Rudel von Rot- und Damwild dem Wind der Veränderung widerstanden hatten. Jetzt konnte der Park nicht mehr als eine dunkle Wüste sein, in der höchstens noch Kakteen und ein paar Olivenbäume gediehen. Ich spürte, wie mir das Herz schwer wurde. Vielleicht waren diese Morlocks weise und geduldig — vielleicht verdiente ihr stetes Streben nach Wissen in der Sphäre Anerkennung — aber ihre Behandlung der alten Erde war eine Schande!
Wir kamen in die Nähe des Richmond Gate des Parks, das sich dicht am Standort des Star and Garter befand, vielleicht eine halbe Meile von der Position meines Hauses entfernt. Ein ebenes Stück Land war mit einer rechteckigen Plattform aus weichem Glas überzogen worden; die Plattform schimmerte im fleckigen Sternenlicht. Sie schien aus diesem wundersamen, glasigen Material gefertigt zu sein, aus dem auch der Boden der Sphäre bestand; und aus ihrer Oberfläche waren eine Vielzahl der Sockel und Trennwände gezogen worden, die ich mittlerweile als charakteristische Werkzeuge der Morlocks identifizierte. Der Platz war jetzt unbelebt; außer Nebogipfel und mir war niemand hier. Und dort — im Zentrum der Plattform — erblickte ich ein niedriges und häßliches Gewirr aus Messing und Nickel, mit Elfenbein, das im Licht der Sterne wie ausgebleichte Knochen schimmerte, sowie einem Sattel in der Mitte des Gebildes: es war meine Zeitmaschine, offensichtlich intakt und bereit, mich nach Hause zu bringen!
Rotationen und Täuschungen
Ich spürte, wie mein Herz pulsierte und hatte Schwierigkeiten, mit Nebogipfel Schritt zu halten — aber ich blieb ihm auf den Fersen. Ich steckte die Hände in die Jackentaschen und ergriff die zwei dort verstauten Steuerungshebel. Ich hatte mich der Maschine bereits so weit genähert, daß ich die Stümpfe sah, in welche die Hebel gesteckt werden mußten, um das Ding zum Leben zu erwecken — und ich wollte die Maschine so schnell wie möglich starten und von diesem Ort verschwinden!
»Wie du siehst«, meinte Nebogipfel, »ist die Maschine unbeschädigt — wir haben sie zwar bewegt, aber nicht versucht, ihr Innenleben auszuforschen…«
Ich versuchte, seine Aufmerksamkeit irgendwie abzulenken. »Sag mir eines: Jetzt, da ihr meine Maschine studiert und meinen Theorien zu diesem Thema gelauscht habt, welchen Eindruck habt ihr bekommen?«
»Deine Maschine ist eine außergewöhnliche Leistung — ihrer Zeit weit voraus…«
Ich habe noch nie viel Sinn für Komplimente gehabt. »Aber es ist das Plattnerit, das mich zu ihrer Konstruktion befähigt hatte«, sagte ich.