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»Ja. Ich würde dieses ›Plattnerit‹ auch gerne näher untersuchen.« Er setzte seine Brille auf und musterte die schimmernden Quarzstangen der Maschine. »Wir haben uns — ein wenig — über multiple Historien unterhalten: über die mögliche Existenz mehrerer Versionen der Welt. Du selbst hast bereits zwei gesehen…«

»Weenas Welt und die Variante mit der Sphäre.«

»Du mußt dir diese Versionen der Geschichte als parallele Korridore vorstellen, die sich vor dir erstrecken. Deine Maschine ermöglicht es dir, dich auf einem solchen Korridor vor- und zurückzubewegen. Die Korridore existieren unabhängig voneinander: ein Mensch, der von einem beliebigen Standort aus einen Korridor entlangblickt, wird eine vollständige und kausal abgeschlossene Historie sehen — er kann weder von einem anderen Korridor etwas wissen noch können die Korridore sich gegenseitig beeinflussen.

Doch in manchen Korridoren können unterschiedliche Bedingungen herrschen. In einigen können sogar die Gesetze der Physik voneinander abweichen…«

»Weiter!«

»Du hast gesagt, daß das Funktionieren deiner Maschine auf einer Verzerrung von Raum und Zeit beruht«, resümierte er. »Eine Reise durch die Zeit wird in eine Reise durch den Raum umgewandelt. Gut, ich stimme dem zu: genau das ist der Effekt des Plattnerits. Aber wie kommt er zustande?«

»Stellen wir uns nun«, fuhr er fort, »ein Universum vor — eine andere Historie — in der diese Raum-Zeit-Verzerrung massiv ausgeprägt ist.«

Im folgenden beschrieb er eine Version des Universums, die fast jenseits meiner Vorstellungskraft lag: in dem Rotation in die Struktur des Universums verwoben war.

»Rotation durchdringt jeden Punkt von Raum und Zeit. Ein von jedem beliebigen Punkt nach außen geworfener Stein würde eine spiralförmige Flugbahn beschreiben: seine Massenträgheit würde wie ein Kompaß wirken, der um den Startpunkt schwingt. Manche Wissenschaftler vertreten sogar die Annahme, daß auch unser eigenes Universum einer solchen Rotation unterworfen wäre, aber nur mit einer vernachlässigbar geringen Geschwindigkeit: hundert Milliarden Jahre für eine einzige Drehung…

Dieses Theorem eines rotierenden Universums wurde einige Jahrzehnte nach deinem Abflug zum erstenmal vorgestellt — von eben jenem Kurt Gödel.«

»Gödel?« Es dauerte einen Augenblick, bis ich den Namen zuordnen konnte. »Der Mann, der die permanente Unvollkommenheit der Mathematik beweisen wird?«

»Genau dieser…«

Wir gingen um die Maschine herum, und ich hielt die Hebel in den klammen Händen. Ich hatte vor, mich an exakt dem günstigsten Punkt zum Erreichen der Maschine zu begeben. »Sag mir, wie das die Funktionsweise meiner Maschine erklärt.«

»Es hat mit Achsentorsion zu tun. In einem rotierenden Universum ist eine Reise durch die Zeit möglich, ohne jedoch den Beginn der Vergangenheit oder das Ende der Zukunft zu erreichen. In unserem Universum würde diese Reise so langsam verlaufen, daß ein solcher Pfad eine Länge von hundert Milliarden Lichtjahren hätte und man annähernd eine Billion Jahre zu seiner Überwindung brauchte!«

»Also von geringem praktischen Nutzen.«

»Aber jetzt stell dir ein Universum mit einer größeren Dichte als das unsrige vor: ein Universum, das überall die Dichte eines Atomkerns hätte. Dort würde eine Rotation in Sekundenbruchteilen erfolgen.«

»Aber wir befinden uns nicht in einem derartigen Universum.« Ich fuchtelte mit der Hand in der Luft herum. »Das steht mal fest.«

»Vielleicht doch! — jedenfalls für den Bruchteil einer Sekunde, dank deiner Maschine — oder zumindest aufgrund ihrer Plattnerit-Komponente.

Meine Hypothese sieht so aus, daß deine Maschine wegen gewisser Eigenschaften des Plattnerits zwischen dem Standarduniversum und jenem ultradichten Universum hin- und herpendelt und bei jedem Transfer die Achsenverzerrung dieser Realität ausnutzt, um sich entlang einer Abfolge von Schleifen in die Vergangenheit oder Zukunft zu bewegen! Du reist also spiralförmig durch die Zeit…«

Ich ließ mir diese Ausführungen durch den Kopf gehen. Sie waren außergewöhnlich — klarer Fall! — aber dennoch schienen sie mir bloß eine phantasievolle Weiterführung meiner eigenen Überlegungen hinsichtlich der Verquickung von Raum und Zeit und der Verschiebung ihrer Dimensionsachsen zu sein. Und außerdem waren auch meine subjektiven Empfindungen bei der Zeitreise mit einem Gefühl der Verzerrung verknüpft — von Rotation.

»Diese Ideen sind überzeugend — aber ich glaube, daß sie noch weiterer Untersuchungen bedürfen«, sagte ich zu Nebogipfel.

Er schaute zu mir hoch. »Deine geistige Flexibilität ist für einen Menschen deines Jahrhunderts wirklich beeindruckend.«

Ich hörte ihn kaum. Jetzt war ich nahe genug. Nebogipfel berührte mit einem vorsichtigen Finger das Geländer der Maschine. Das schimmernde Gerät wirkte kleiner als es war, und ich spürte eine Brise, welche die feinen Härchen auf Nebogipfels Arm aufrichtete. Er riß die Hand zurück. Ich starrte auf die Stümpfe und spielte in Gedanken den einfachen Vorgang durch, die Hebel aus der Tasche zu holen und sie in ihre Aufnahmen zu stecken. Es würde nicht mal eine Sekunde dauern! Konnte ich die Aktion beenden, bevor Nebogipfel mich mit seinen grünen Strahlen wieder ins Reich der Träume schickte?

Dunkelheit hüllte mich ein, und der stechende Gestank der Morlocks lag in der Luft. In einem Augenblick, überlegte ich mit plötzlich aufwallender Energie, würde ich das alles hinter mir haben…

»Stimmt etwas nicht?« Nebogipfel musterte mein Gesicht mit diesen großen, dunklen Augen, und seine Haltung war aufrecht und angespannt. Er hatte schon Verdacht geschöpft! — hatte ich mich selbst verraten? Und außerdem wußte ich, daß in der uns umfassenden Dunkelheit bereits die Mündungen zahlloser Waffen auf mich gerichtet sein mußten — es blieben mir nur noch Sekunden, bevor ich verloren war!

Das Blut rauschte mir in den Ohren — ich riß die Hebel aus der Tasche — und mit einem Aufschrei stürzte ich mich auf die Maschine. Ich rammte die kleinen Griffe in ihre Halterungen und riß die Hebel mit einer fließenden Bewegung zurück. Die Maschine erzitterte — im letzten Moment glaubte ich noch, einen grünen Blitz gesehen und damit ausgespielt zu haben! — und dann verschwanden die Sterne, und Stille umgab mich. Ich spürte ein starkes zerrendes Gefühl und dann diese unangenehme Wahrnehmung des freien Falls — aber ich begrüßte diese Unbilden sogar, denn sie waren die bekannten Indizien der Zeitreise!

Ich schrie laut auf. Es war mir gelungen — ich war frei!

… Und dann registrierte ich die Kühle um meinen Hals — etwas Weiches, als ob sich ein Insekt darauf niedergelassen hätte, ein Rascheln.

Ich führte eine Hand zum Hals — und berührte Morlock-Haar!

Zweites Buch

Paradoxien

Der zeitreisende Argonaut

Ich umklammerte diesen dünnen Unterarm mit einer Hand und riß ihn vom Hals los. Ohne den Arm loszulassen, drehte ich mich um. Neben mir hingestreckt, über dem Nickel und Messing, lag ein haariger Körper — ein schmales Gesicht mit Brille dicht an meinem — und der unverkennbare süßliche, verweste Morlock-Gestank!

»Nebogipfel.«

Seine Stimme klang leise und dünn, und seine Brust hob und senkte sich. Hatte er Angst? »Bist du also abgehauen. Und so leicht…«

Er sah wie eine Puppe aus Lumpen und Roßhaar aus, wie er sich so an meine Maschine klammerte. Er war eine Erinnerung an diese alptraumhafte Welt, der ich entkommen war — ohne Frage hätte ich ihn kurzerhand über Bord werfen können — und doch hielt ich mich zurück.

»Vielleicht habt ihr Morlocks meinen Handlungsspielraum unterschätzt«, keuchte ich. »Aber du — du hast es geahnt, richtig?«