Moses — mein verhaßter Vorname, der mir in der Schule endlose Qualen beschert hatte — und den ich seit dem Verlassen meines Elternhauses unter Verschluß gehalten hatte!
»Nur kommod«, meinte ich. »Ihr Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben.«
»Wissen Sie, ich habe langsam genug von diesen Spielchen. Sie platzen hier mit Ihrem — Begleiter — herein und äußern sich in mannigfaltiger Weise abfällig über meine Kleidung. Und nach wie vor weiß ich nicht einmal Ihren Namen!«
»Aber«, wandte ich ein, »vielleicht wissen Sie ihn doch.«
Er umschloß das Glas mit seinen langen Fingern. Er begriff, daß etwas Seltsames und Faszinierendes ablief — aber was? Ich konnte in seinem Gesicht mit Leichtigkeit diese Mischung aus Erregung, Ungeduld und ein wenig Angst erkennen, die ich bei der Konfrontation mit dem Unbekannten selbst so oft verspürt hatte.
»Schauen Sie«, meinte ich, »ich bin bereit, Ihnen alles zu sagen, was Sie wissen möchten, wie ich es versprochen habe. Aber zuerst…«
»Ja?«
»Es wäre mir eine Ehre, Ihr Laboratorium besichtigen zu dürfen. Und ich bin sicher, daß Nebogipfel sich auch dafür interessieren würde. Erzählen Sie uns etwas von sich«, ersuchte ich ihn. »Und auf diesem Wege werden Sie auch etwas von mir erfahren.«
Er saß für eine Weile da und hielt sein Glas umklammert. Dann füllte er mit einer schnellen Bewegung unsere Gläser nach, erhob sich und holte die Kerze vom Kaminsims.
»Folgen Sie mir.«
Das Experiment
Mit in die Höhe gehaltener Kerze führte er uns den kalten Korridor zum Laboratorium hinunter. Diese paar Sekunden werde ich nie vergessen: Das Licht der Kerze projizierte große Schatten von Moses' breitem Schädel, und sein Jackett und die Stiefel glitzerten im düsteren Licht; hinter mir das leise Patschen der Füße des Morlocks und der im engen Raum voll zur Entfaltung kommende süßlich-faulige Gestank.
Im Laboratorium ging Moses an den Wänden und Werkbänken entlang und entzündete Kerzen und Laternen. Bald war der Raum hell erleuchtet. Die Wände waren weiß getüncht und völlig schmucklos — abgesehen von Moses' Aufzeichnungen, die er überall an die Wand geheftet hatte — und der einzige Bücherschrank war mit Journalen, Lehrbüchern, mathematischen Tabellen und physikalischen Meßergebnissen vollgepackt. Der Raum war kalt; ich fror in meinem Hemd und schlug die Arme um den Körper.
Nebogipfel watschelte über den Boden des Laboratoriums zum Bücherschrank. Er ging in die Hocke und studierte die ramponierten Buchrücken. Ich fragte mich, ob er Englisch lesen konnte; ich hatte nämlich nie irgendwelche Bücher oder Papiere in der Sphäre gesehen, und mit der Schrift auf diesen allgegenwärtigen Scheiben aus blauem Glas hatte ich nichts anfangen können.
»Ich habe nur wenig Interesse, Ihnen eine Zusammenfassung meiner Biographie zu geben«, verkündete Moses. »Genausowenig…« — diesmal schärfer — »…verstehe ich, weshalb Sie so an mir interessiert sind. Doch ich werde Ihr Spiel mitspielen. Schauen Sie: angenommen, ich würde Ihnen meine aktuellsten Forschungsergebnisse vorstellen. Was halten Sie davon?«
Ich lächelte. Wie konsistent mit meinem — seinem — Charakter, obwohl er außer dem gegenwärtigen Rätsel nichts Konkretes in der Hand hatte!
Er ging zu einer Drehbank, auf der sich ein planloses Sortiment von Reagenzgläsern, Lampen, Gittern und Linsen befand. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie hier nichts anfassen würden. Es sieht wohl ein wenig konfus aus, aber ich versichere Ihnen, daß das Chaos System hat! Ich komme fast zu nichts anderem, als Mrs. Penforth mit ihren Staubtüchern und Besen von hier fernzuhalten, kann ich Ihnen sagen.«
Mrs. Penforth? Ich war zuerst versucht, mich nach Mrs. Watchets zu erkundigen — aber dann erinnerte ich mich, daß Mrs. Penforth die Vorgängerin von Mrs. Watchets gewesen war. Ich hatte sie etwa fünfzehn Jahre vor meiner Zeitreise entlassen, weil ich sie dabei erwischt hatte, wie sie sich aus meinem kleinen Bestand an Industriediamanten bediente. Ich wollte Moses zunächst auf diesen kleinen Zwischenfall hinweisen, aber es war ja kaum etwas passiert; und außerdem — überlegte ich in einer seltsamen väterlichen Attitüde gegenüber meinem jüngeren Ich — würde es Moses vielleicht guttun, sich wenigstens einmal um seinen Haushalt zu kümmern und nicht alles schleifen zu lassen!
»Mein eigentliches Fachgebiet ist die Optik«, fuhr Moses fort, »…das heißt die physikalischen Eigenschaften des Lichts, welche…«
»Wissen wir«, meinte ich huldvoll.
Er runzelte die Stirn. »Na gut. Nun, kürzlich habe ich mich mit einem merkwürdigen Problem befaßt — mit der Untersuchung eines neuen Minerals, von dem ich vor zwei Jahren zufällig eine Probe erhalten habe.« Er zeigte mir eine ganz normale Acht-Unzen-Medizinflasche mit einem Gummistopfen; die Flasche war zur Hälfte mit einem feinen, grünlichen Pulver gefüllt, das merkwürdig strahlte. »Schauen Sie: können Sie das schwache Leuchten hier erkennen, das von innen heraus zu kommen scheint?« Und tatsächlich schimmerte das Material, als ob es sich um kleine Glasperlen handelte. »Aber wo«, fragte sich Moses, »befindet sich die Energiequelle für dieses Leuchten?
Ich begann also mit den Untersuchungen — anfangs nur sporadisch, denn ich habe ja noch meine andere Arbeit! — ich bin nämlich auf Fördermittel angewiesen, die nur dann fließen, wenn ich eine respektable Quantität an Forschungsergebnissen vorweisen kann. Ich habe also keine Zeit, Phantomen nachzujagen… aber später«, gestand er ein, »nahm das Plattnerit dann doch einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch — denn ich hatte beschlossen, das Zeug nach dem mysteriösen Burschen — er hatte sich mir als Gottfried Plattner vorgestellt — zu benennen, der es mir gegeben hatte.
Ich bin kein Chemiker — ich komme nicht einmal mit den drei Aggregatzuständen so richtig klar — aber trotzdem habe ich die Sache in Angriff genommen. Ich besorgte Reagenzgläser, einen Gasvorrat mit Brenner, Lackmuspapier und den ganzen Rest dieser übelriechenden Utensilien. Ich schüttete diesen grünen Staub in Reagenzgläser und ließ ihn mit Wasser und Säure reagieren — Schwefel-, Salpeter- und Salzsäure — ohne jedes Ergebnis. Dann schüttete ich einen Haufen davon auf eine Platte und hielt ihn über den Gasbrenner.« Er rieb sich die Nase. »Der resultierende Knall zerstörte ein Oberlicht und beschädigte eine Wand«, rekapitulierte er.
Es war die nach Südwesten gehende Wand gewesen, die in Mitleidenschaft gezogen worden war, und nun — ich konnte nicht anders — schaute ich dorthin, aber es war nichts mehr zu sehen, denn die Renovierungsarbeiten waren gründlich gewesen. Verwundert registrierte Moses meinen Blick.
»Nach diesem Mißerfolg«, setzte er seinen Vortrag fort, »war ich dem Geheimnis des Plattnerits keinen Deut nähergekommen. Dann jedoch…«, sein Tonfall wurde leidenschaftlicher, »begann ich die Sache mit etwas mehr Systematik anzugehen. Die Fluoreszenz ist schließlich ein optisches Phänomen. Mithin — so folgerte ich — lag der Schlüssel zu den Geheimnissen des Plattnerits vielleicht gar nicht in den chemischen, sondern in den optischen Eigenschaften.«
Ich verspürte eine merkwürdige Befriedigung — eine Art detachierter Selbstzufriedenheit —, als ich diese Zusammenfassung meiner eigenen stringenten Denkvorgänge vernahm! Und ich hätte schwören können, daß auch Moses die Wirkung seines Berichtes genoß: Ich habe schon immer Gefallen daran gefunden, eine gute Geschichte zum besten zu geben, egal vor welchem Auditorium — in dieser Hinsicht muß ich wohl etwas von einem Entertainer haben.
»Also ließ ich meine stümperhaften Chemiekenntnisse aus der Schule mal beiseite«, fuhr Moses fort, »und eröffnete eine Versuchsreihe. Und dabei stieß ich sehr schnell auf höchst interessante Anomalien: bizarre Resultate im Hinblick auf den Brechungsindex des Plattnerits — der, wie Sie vielleicht wissen, von der Geschwindigkeit des Lichts in der jeweiligen Materie abhängt. Und es stellte sich heraus, daß die durch das Plattnerit gehenden Lichtstrahlen sich sehr merkwürdig verhielten.« Er wandte sich der Versuchsanordnung auf der Werkbank zu. »Jetzt schauen Sie maclass="underline" Dies ist die eindeutigste Demonstration der optischen Anomalien des Plattnerits, die ich bisher vorführen konnte.«