Moses ließ sein Experiment in einer Sequenz von drei Phasen ablaufen. Er zündete eine kleine elektrische Lampe an, hinter der sich ein gekrümmter Spiegel befand, und, vielleicht eineinhalb Fuß entfernt, eine weiße Leinwand, die an einem Retortenständer hing. Zwischen diesen beiden Konfigurationen hing eine große perforierte Pappe, die in die Halterung eines weiteren Retortenständers eingeklemmt war. Neben der Lampe verliefen Drähte zu einer galvanischen Zelle unter der Bank.
Die Versuchsanordnung war genial einfach: Ich versuche immer, ein neues Phänomen so prägnant wie möglich zu demonstrieren, um die Aufmerksamkeit auf das Phänomen selbst zu richten und nicht auf Schwachstellen in der Versuchsanordnung oder — es ist ja schließlich nichts unmöglich — irgendwelche Taschenspielertricks von seiten des Versuchsleiters.
Jetzt legte Moses einen Schalter um, und die Lampe erhellte sich; sie stand als kleiner gelber Stern in dem von Kerzen und Laternen erleuchteten Raum. Der Pappkarton schirmte die Leinwand vom Licht ab und ließ nur im Mittelpunkt ein trübes Glühen durch, das von den durch die Bohrungen des Kartons dringenden Lichtstrahlen erzeugt wurde. »Natriumlicht«, erläuterte Moses. »Es hat eine fast reine Farbe — im Gegensatz zu, sagen wir, weißem Sonnenlicht, das ein Gemisch aus allen Farben darstellt. Dieser Spiegel hinter der Wand ist parabolisch und wirft deshalb das ganze Licht der Lampe auf die dazwischenstehende Pappe.«
Er folgte mit den Fingern dem Verlauf der Lichtstrahlen zum Karton. »Hier habe ich zwei Schlitze eingeschnitten. Sie sind nur wenige Millimeter voneinander entfernt — aber die Struktur des Lichts ist so fein, daß die Schlitze sich trotzdem noch in einem Abstand von etwa dreihundert Wellenlängen befinden. Die Strahlen passieren die beiden Schlitze…« — sein Finger bewegte sich weiter — »und treffen hier auf den Schirm. Jetzt interferieren die von den beiden Schlitzen kommenden Strahlen — ihre Wellenberge und — täler verstärken sich und heben sich periodisch auf.« Er schaute mich unsicher an. »Haben Sie diese Gedanken nachvollziehen können? Sie würden im Prinzip den gleichen Effekt erreichen, wenn Sie zwei Steine in einen stillen Teich werfen und beobachten, wie die sich ausbreitenden Wellen ineinanderfließen…«
»Ich verstehe.«
»Nun, auf genau die gleiche Art interferieren diese Lichtwellen — Wellen im Äther — und bilden ein Muster, das man hier auf diesem Schirm beobachten kann.« Er deutete auf einen gelben Lichtfleck, der die Leinwand hinter den Schlitzen erreicht hatte. »Können Sie es sehen? — man bräuchte eigentlich eine Brille — direkt im Mittelpunkt, dort, sehen Sie, wie sich in Abständen von einigen Millimetern Bänder aus Licht und Dunkelheit abwechseln. Das sind die Stellen, an denen die Strahlen aus den beiden Schlitzen aufeinandertreffen.«
Nebogipfel lehnte sich dicht herüber, wobei sich das Natriumlicht in seiner Brille spiegelte.
Moses straffte sich. »Diese Interferenz ist ein bekannter Effekt. Mit einem solchen Versuch wird normalerweise die Wellenlänge von Natriumlicht bestimmt — sie beträgt den fünfzigtausendsten Teil eines Zolls, wenn es Sie interessiert.«
»Und das Plattnerit?« fragte Nebogipfel.
Als Moses den fließenden Tonfall des Morlocks vernahm, zuckte er zusammen, machte dann aber weiter, als ob nichts geschehen wäre. Von einem anderen Abschnitt der Bank brachte er eine Glasscheibe mit einer Kantenlänge von vielleicht sechs Zoll zum Vorschein, die senkrecht in einer Halterung steckte. Das Glas wies grüne Flecken auf. »Hier habe ich etwas Plattnerit — diese Scheibe ist eigentlich eine Doppelscheibe, zwischen der das Plattnerit eingestreut ist —, sehen Sie? Nun passen Sie auf, was geschieht, wenn ich das Plattnerit zwischen Pappe und Leinwand bringe…«
Er mußte noch einiges nachjustieren, aber dann hatte er es so hinbekommen, daß einer der Schlitze im Karton frei blieb und der andere von dem Dia mit dem Plattnerit bedeckt wurde. Daher mußte also einer der beiden interferierenden Strahlengänge durch das Plattnerit hindurchgehen, bevor er auf dem Schirm auftraf.
Die Abbildung der Interferenzbänder auf dem Schirm schwächte sich ab — sie hatte jetzt einen Grünstich — und das Muster verschob und verzerrte sich.
»Die Strahlen werden jetzt natürlich nicht mehr so klar abgebildet«, erklärte Moses, »ein Teil des Natriumlichts wird vom Plattnerit gestreut, und deshalb verschieben sich die Wellenlängen etwas zum grüneren Teil des Spektrums — aber trotzdem dringt noch immer so viel ungefiltertes Natriumlicht durch das Plattnerit, um das Interferenzphänomen aufrechtzuerhalten. Aber können Sie auch die Veränderungen erkennen, die dadurch hervorgerufen werden?«
Nebogipfel kam noch näher heran; seine Brille reflektierte das Natriumlicht noch intensiver.
»Die Verschiebung einiger Lichtflecke auf einem Karton mag dem Laien vielleicht nicht so wichtig erscheinen«, sprach Moses weiter, »aber der Effekt ist von großer Bedeutung, wenn er erst gründlich analysiert wird. Denn — und ich kann Ihnen auch den mathematischen Beweis dafür erbringen«, versprach er und wedelte wenig überzeugend in Richtung eines Stapels Aufzeichnungen auf dem Boden, »daß die durch das Plattnerit hindurchgehenden Lichtstrahlen eine temporale Verzerrung erfahren. Es ist zwar nur ein winziger Effekt, aber dennoch meßbar — er manifestiert sich in einer Verzerrung des Interferenzmusters, wissen Sie.«
»Eine ›temporale Verzerrung‹?« warf Nebogipfel ein und schaute hoch. »Du meinst…«
»Ja.« Moses' Haut wurde vom kalten Natriumlicht erhellt. »Ich glaube, daß die Lichtstrahlen — bei ihrem Durchgang durch das Plattnerit — durch die Zeit transferiert werden.«
Mit einer gewissen Verzückung blickte ich auf diese rustikale Versuchsanordnung aus Lampe und Pappe und Ständern. Denn dies war der Anfang — es war dieser naive Anfang, von dem aus der lange, schwierige experimentelle und theoretische Weg schließlich zur Konstruktion der Zeitmaschine selbst führen würde!
Ehrlichkeit und Zweifel
Ich konnte natürlich nicht preisgeben, wieviel ich wirklich wußte, und bemühte mich nach Kräften, auf seine Verkündung hin Überraschung und Schock zu simulieren. »Nun«, sagte ich vage, »nun — gütiger Gott…«
Er schaute mich unzufrieden an. Er gelangte offensichtlich zu der Ansicht, daß ich ein dummer Tölpel war. Er wandte sich ab und fummelte an seinen Apparaten herum.
Ich nutzte die Gelegenheit, um Nebogipfel zur Seite zu nehmen. »Nun, Nebogipfel. Was hältst du denn davon? Eine beeindruckende Vorstellung.«
»Ja«, pflichtete er mir bei, »aber ich wundere mich nur, daß ihm die Radioaktivität deiner mysteriösen Substanz, dieses Plattnerits, noch nicht aufgefallen ist. Die Brille zeigt ganz klar…«
»Radioaktivität?«
Er sah mich an. »Ist das dir etwa ein unbekannter Begriff?« Er gab mir einen kurzen Abriß dieses Phänomens, bei dem Elemente zu zerbrechen und in Stücke zu fallen schienen. Das gilt — laut Nebogipfel — mehr oder weniger für alle Elemente; manche, wie Radium, tun es auf eine derart spektakuläre Art, daß man den Vorgang messen kann — wenn man weiß, wonach man suchen muß!
All das weckte Erinnerungen. »Ich erinnere mich an ein Spielzeug namens Spinthariskop«, erzählte ich Nebogipfel, »in dem sich Radium dicht vor einem mit Zinksulfid beschichteten Schirm befand…«