»Schau — ich sage meinem Burschen, daß er diese Sachen für dich ausbürsten und die schlimmsten Stellen flicken soll. Komm runter, wenn du fertig bist.«
Im Eßzimmer war das Frühstück als Buffet angerichtet worden. Moses und Nebogipfel waren schon vor Ort. Moses trug dasselbe Kostüm wie tags zuvor — oder zumindest eine identische Kopie davon. Die helle Morgensonne ließ die Clownsfarben seines Mantels noch schräger wirken als in der Nacht. Und was Nebogipfel betraf, so hatte der Morlock — lächerlich! — eine kurze Hose und einen abgetragenen Blazer an. Er hatte sich eine Kappe ins haarige Gesicht gezogen, stand am Buffet und starrte durch seine dunkle Brille unschlüssig darauf.
»Ich habe Mrs. Penforth angewiesen, uns nicht zu stören«, sagte Moses. »Was Nebogipfel angeht, schien ihm deine alte Jacke — sie hängt übrigens dort an der Stuhllehne — zu groß zu sein. Also habe ich eine alte Schuluniform ausgegraben — das einzige in seiner Größe, was ich auftreiben konnte: er riecht zwar nach Mottenkugeln, wirkt aber wenigstens etwas glücklicher.
Auf jetzt.« Er ging zu Nebogipfel hinüber. »Lassen Sie mich Ihnen helfen, Sir. Was hätten Sie denn gerne? Wie Sie sehen, haben wir Schinken, Eier, Toast, Würstchen…«
In seinem ruhigen, fließenden Tonfall bat Nebogipfel Moses, ihm die Herkunft dieser diversen Speisen zu erläutern. Moses machte das bildlich — er spießte mit der Gabel eine Scheibe Schinken auf und beschrieb die Natur des Schweins.
Als Moses geendet hatte, nahm sich Nebogipfel eine einzige Frucht — einen Apfel — und verzog sich damit und einem Glas Wasser in die dunkelste Ecke des Raums.
Was mich betraf — nachdem mich die Morlocks so lange mit ihrem faden Zeug auf Diät gesetzt hatten —, ich hätte mein Frühstück nicht mehr genießen können, auch wenn ich gewußt hätte — aber ich wußte es nicht —, daß dies meine letzte Mahlzeit im neunzehnten Jahrhundert war, an der ich mich jemals delektieren sollte!
Nachdem das Frühstück beendet war, eskortierte uns Moses in sein Raucherzimmer. Nebogipfel pflanzte sich wieder in die düsterste Ecke, während Moses und ich uns in gegenüberstehenden Armstühlen niederließen. Moses holte seine Pfeife hervor, stopfte sie aus einem kleinen Tabaksbeutel in seiner Tasche und zündete sie an.
Ich beobachtete ihn mit siedender Ungeduld. Er war so nervtötend ruhig! »Hast du denn nichts zu sagen? Ich habe dir eine schlimme Warnung aus der Zukunft zukommen lassen — aus einigen Zukünften — die…«
»Ja«, meinte er, »es hörte sich fürwahr dramatisch an. Aber«, fuhr er fort und stopfte seine Pfeife nach, »ich bin noch immer nicht sicher, ob…«
»Nicht sicher?« rief ich und sprang auf. »Welchen weiteren Beweis — welche Überzeugung — willst du denn noch?«
»Ich habe den Eindruck, daß deine Logik einige Schwachstellen aufweist. O nein, setz dich wieder hin.«
Ich folgte seiner Anweisung und fühlte mich schwach dabei. »Schwachstellen?«
»Betrachte es mal von dieser Seite. Du behauptest, daß ich du sei — und du seist ich. Richtig?«
»Exakt. Wir sind zwei Versionen einer einzigen vierdimensionalen Entität, mit unterschiedlichen Bezugspunkten und durch die Zeitmaschine einander gegenübergestellt.«
»Sehr schön. Aber bedenken wir dieses: wenn du einmal ich gewesen bist, müßtest du auch über mein Erinnerungsvermögen verfügen.«
»Ich…« Es gebrach mir an Worten.
»Denn«, setzte Moses mit einem triumphierenden Unterton nach, »welche Erinnerungen hast du an einen ziemlich kräftigen Fremden und einen merkwürdigen Kompagnon wie diesen da, die eines Nachts auf deiner Türschwelle stehen? Hm?«
Die Antwort lautete natürlich — schrecklich! Unmöglich! —, daß ich keine derartigen Erinnerungen hatte. Betroffen drehte ich mich zu Nebogipfel um. »Wie ist es nur möglich, daß ich mich an dieses Vorkommnis nicht erinnern kann? Natürlich ist meine Mission unmöglich. War sie schon die ganze Zeit. Ich würde den jungen Moses niemals überzeugen können, weil ich mich nicht daran erinnern kann, wie ich, als ich selbst Moses war, meinerseits überzeugt worden war!«
»Ursache und Wirkung verlieren eben ihre absolute Kausalität, wenn Zeitmaschinen im Spiel sind.«
Mit einer weiteren dieser unerträglichen Spitzen meinte Moses: »Hier ist noch ein weiteres Rätsel für dich. Angenommen, ich würde dir glauben. Angenommen, ich würde deine Geschichte über die Ausflüge in die Zeit und deine Visionen verschiedener Historien akzeptieren. Angenommen, ich wäre mit der Vernichtung der Zeitmaschine einverstanden.«
Ich konnte mir schon denken, womit er gleich kommen würde. »Denn wenn die Zeitmaschine niemals gebaut worden wäre…«
»Wärst du nicht in der Lage, in der Zeit zurückzureisen und ihre Konstruktion zu verhindern…«
»…und so würde die Maschine schließlich doch gebaut werden…«
»… und du würdest aus der Zeit zurückkehren, um ihre Konstruktion zu unterbinden — und so würde das weitergehen, wie ein endloser Ringelpiez!« krähte er aus vollem Hals.
»Ja. Es wäre eine pathologische Kausalschleife«, kommentierte Nebogipfel. »Die Zeitmaschine muß gebaut werden, um ihre eigene Erschaffung zu verhindern…«
Ich vergrub das Gesicht in den Händen. Abgesehen von der Verzweiflung wegen der Demontage meiner Sache hatte ich zudem noch das unbehagliche Gefühl, daß der junge Moses intelligenter war als ich. Ich hätte diese logischen Schwachpunkte selbst bemerken müssen! — vielleicht stimmte es zu meinem Erschrecken doch, daß die Intelligenz, genauso wie die rein physikalischen Fertigkeiten, mit zunehmendem Alter abnimmt.
»Dennoch — trotz all dieser logischen Haarspaltereien — ist es nichtsdestoweniger die Wahrheit«, flüsterte ich. »Und die Maschine darf niemals gebaut werden.«
»Dann erkläre es mir«, verlangte Moses ohne große Sympathie. »›Sein oder Nichtsein‹ — das scheint hier nicht die Frage zu sein«, konstatierte er. »Wenn du tatsächlich ich bist, dann wirst du dich auch daran erinnern, wie du in jener stümperhaften Schulaufführung den Part von Hamlets Vater übernehmen mußtest.«
»Ich erinnere mich gut.«
»Die Frage müßte meiner Ansicht nach eher so lauten: Wie können Dinge Sein und — simultan — Nicht Sein?«
»Aber es ist wahr«, ließ sich Nebogipfel vernehmen. Der Morlock trat ein paar Schritte ins Licht und schaute uns abwechselnd an. »Ich bin jedoch der Meinung, daß wir eine höhere Logik konzipieren müssen — eine Logik, welche die Interaktion einer Zeitmaschine mit der Geschichte erklärt — eine Logik, welche die Existenz multipler Historien begründen kann…«
Und dann — just in diesem Moment, als meine eigene Unsicherheit am größten war — vernahm ich vor dem Haus ein Brüllen wie von einem riesigen Motor, dessen Echo sich am Hügel brach. Der Boden schien zu erbeben — als ob irgendein Monster angestapft käme — und ich hörte Rufe, und — obwohl es eigentlich völlig unmöglich war, daß sich so etwas am frühen Morgen im verschlafenen Richmond zutrug — das Knattern von Gewehrschüssen.
Moses und ich blickten uns alarmiert an. »Gütiger Gott«, sagte Moses. »Was ist denn das?«
Ich glaubte, das Gewehrfeuer wieder zu hören, und jetzt verwandelte sich das Rufen in einen Schrei, der plötzlich abbrach.
Zusammen rannten wir aus dem Raucherzimmer in den Flur. Moses riß die Tür auf — daß sie fast aus den Angeln flog —, und wir stürzten auf die Straße. Da war Mrs. Penforth, schmal und streng, und Poole, Moses' Bursche. Mrs. Penforth hatte ein quittengelbes Staubtuch in der Hand und umklammerte Pooles Arm. Sie schauten flüchtig zu uns her und wandten die Blicke dann wieder ab — sie ignorierten den Morlock, als ob er genauso alltäglich wäre wie ein Franzose oder Schotte!