Das Zeug lag trocken und bröselig auf der Zunge, und sein Geschmack erinnerte an feuchte Kartonage.
Filby registrierte betrübt meine Reaktion. »Es ist gar nicht so schlecht«, versuchte er mir zuzureden. »Du wirst dich noch daran gewöhnen.«
Darauf fiel mir nichts ein. Ich spülte das Zeug mit Wein runter — er schmeckte wie ein guter Bordeaux, obwohl ich es mir verkniff, mich nach seiner Herkunft zu erkundigen — und der Rest des Mahls verlief in Schweigen.
Als wir fertig waren, hatten wir Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen — ich glaube, daß wir alle an diesem Tag zuviel von dieser Welt gesehen hatten — und wir saßen da, unterhielten uns ein bißchen oder blätterten die Zeitungen durch, wobei wir es nach Möglichkeit vermieden, uns in die Augen zu sehen.
Ich nahm ein kurzes Bad — es kam warmes Wasser aus dem Hahn, und zwar ganz ordentlich —, und dann, nach einem schnellen Brandy und einer Zigarre, zogen wir uns zurück.
Nur Nebogipfel blieb auf, denn die Morlocks haben andere Schlafgewohnheiten als wir, und er bat um einen Block Papier und ein paar Stifte (er mußte im Gebrauch des Spitzers und Radiergummis unterwiesen werden).
Ich lag da, in diesem warmen und engen Bett, wobei die Fenster meines Zimmers versiegelt waren und die Luft zunehmend stickiger wurde. Hinter den Wänden brach sich der Lärm dieses in ein Heerlager verwandelten Londons an der Wölbung der Kuppel, und durch Ritzen in den Vorhängen sah ich bis tief in die Nacht das Flimmern der Nachrichtenlampen des Ministeriums.
Ich hörte Nebogipfel im Raucherzimmer herumtapsen; so merkwürdig es auch klingen mag, das Geräusch der auf dem Boden patschenden kleinen Morlockfüße und das unbeholfene Kratzen seiner Bleistifte auf dem Papier hatten etwas Tröstliches für mich.
Schließlich schlief ich ein.
Auf dem Nachttisch stand eine kleine Uhr, die mir sagte, daß es sieben Uhr morgens war, als ich aufwachte; natürlich war es draußen trotzdem dunkel wie die finsterste Nacht.
Ich stieg aus dem Bett, kramte frische Unterwäsche, ein Hemd und eine Krawatte hervor und zog diesen verschlissenen leichten Anzug an, der schon so manches Abenteuer überstanden hatte. Trotz der frühen Stunde war die Luft stickig; ich fühlte mich wie zerschlagen.
Ich zog die Vorhänge zurück. Ich sah, daß die Projektion von Filbys Schwatz-Maschine noch immer flackernd unter dem Dach stand; außerdem glaubte ich Bruchstücke irgendeiner lebhaften Musik gehört zu haben, die wie ein Marsch klang und ohne Zweifel den müden Arbeitern auf ihrem Weg zu einem neuen Arbeitstag im Dienste der Kriegsanstrengungen Beine machen sollte.
Ich ging die Treppe zum Eßzimmer hinunter. Ich war allein mit Puttick, dem soldatischen Hausdiener, der mir ein Frühstück aus Toast, Würstchen (deren Fleischfüllung durch irgendeine unidentifizierbare Substanz ersetzt worden war) und — was laut Puttick selten genug aufgetischt wurde — ein kurz gebratenes Rührei.
Als ich fertig war, nahm ich mir noch einen Toast und verzog mich ins Raucherzimmer. Dort fand ich Moses und Nebogipfel, die an dem großen Schreibtisch über Büchern und Papierstapeln brüteten; der Tisch war mit Tassen kalten Tees vollgestellt.
»Wo steckt Filby?« fragte ich. »Weiß nicht«, sagte Moses. Mein jüngeres Ich trug einen Bademantel; er war unrasiert und ungekämmt.
Ich setzte mich an den Schreibtisch. »Verdammt, Moses, du siehst aus, als ob du nicht geschlafen hättest.«
Er grinste und fuhr mit einer Hand durch die Haartolle über seiner Stirn. »Stimmt, habe ich auch nicht. Ich konnte einfach nicht einschlafen — ich habe in letzter Zeit einfach zuviel erlebt, weißt du, und in meinem Kopf dreht sich alles… Ich wußte, daß Nebogipfel noch auf war, deshalb bin ich runtergekommen.« Er schaute mich aus roten und dunkel geränderten Augen an. »Wir hatten eine faszinierende Nacht — faszinierend! Nebogipfel hat mich in die Mysterien der Quantenmechanik eingeweiht.«
»In was?«
»Ja«, bestätigte Nebogipfel. »Und Moses hat mir seinerseits beigebracht, englische Texte zu lesen.«
»Er lernt verdammt schnell«, sagte Moses. »Er brauchte kaum mehr als das Alphabet und eine kurze Einführung in die Phonetik, und dann legte er los.«
Ich blätterte durch das Chaos auf dem Tisch. Da lagen etliche Zettel, die mit merkwürdigen, kryptischen Symbolen beschriftet waren: Nebogipfels Handschrift, wie ich vermutete. Als ich einen dieser Zettel hochhielt, sah ich, wie verkrampft er den Bleistift geführt hatte; an einigen Stellen war das Papier eingeritzt. Nun, der arme Kerl hatte vorher noch nie mit derart primitiven Utensilien wie Füllfederhaltern oder Bleistiften zu tun gehabt; ich fragte mich, wie ich denn wohl mit einer Steinschloßflinte meiner Vorfahren zurechtgekommen wäre, die nicht so weit entfernt waren wie Nebogipfel von 1938!
»Es überrascht mich, daß du den Phonographen nicht eingeschaltet hast«, sagte ich zu Moses. »Interessierst du dich denn nicht für die Details der Welt, in der wir uns befinden?«
»Aber das meiste davon ist entweder Musik oder Literatur« erwiderte Moses, »noch dazu von der moralisierenden, inspirierenden Sorte, die ich nie sonderlich gemocht habe — wie du weißt! — und ich habe jetzt genug von der Flut von Trivialitäten, die in der Verkleidung von Nachrichten daherkommt. Mich interessieren die Großen Fragen des Tages — Wo stehen wir? Wie sind wir hierhergelangt? Wohin gehen wir? — und statt dessen wird man mit einer Menge Unsinn überschüttet über Zugverspätungen, Rationierungsengpässe und mit unverständlichen Details entfernter militärischer Operationen, wobei das allgemeine Hintergrundwissen schon vorausgesetzt wird.«
Ich tätschelte seinen Arm. »Was erwartest du denn? Schau maclass="underline" wir tauchen in die Geschichte ein, wie Zeittouristen. Die Leute sehen in der Regel nun mal zuerst auf die Oberfläche der Dinge — und das zu Recht! Wie oft bist du denn in deiner eigenen Zeit in den Tageszeitungen auf tiefschürfende Analysen zum Lauf der Geschichte gestoßen? Inwieweit hatte denn deine Konversation Erklärungen zur Lebensphilosophie des Jahres 1873 zum Inhalt?«
»Ich verstehe«, sagte er. Er zeigte wenig Interesse an der Unterhaltung und schien kaum bereit, der Welt um sich herum viel Beachtung zu schenken. »Hör mal«, sagte er statt dessen, »ich muß dir erzählen, was dein Morlockfreund zu dieser neuen Theorie gesagt hat.« Seine Augen waren nun klarer, die Stimme volltönend, und ich erkannte, daß ihm dieses Thema weitaus mehr zusagte — es war eine Flucht, so vermutete ich, aus unserer komplexen Situation in die klaren Mysterien der Wissenschaft.
Ich beschloß, ihm entgegenzukommen; in den nächsten Tagen würde er noch genügend Zeit haben, sich mit seiner Lage auseinanderzusetzen. »Ich bin der Ansicht, daß sich dies in einem gewissen Maße auf unsere gegenwärtige Problematik auswirkt.«
»Ja, das ist der Fall«, bestätigte Nebogipfel. Er fuhr mit seinen knubbeligen Fingern über die Schläfen, in einer Geste offensichtlicher, und sehr menschlicher, Müdigkeit. »Die Quantenmechanik ist der Rahmen, in dem ich das Verständnis der Multiplizität der Historien suchen muß, die wir gerade erleben.«
»Das ist eine bemerkenswerte theoretische Entwicklung«, sagte Moses enthusiastisch. »Das war zu meiner Zeit völlig unvorhersehbar — ja unvorstellbar! Es ist wirklich erstaunlich, daß sich die Dinge mit einer solchen Geschwindigkeit ändern können.«
Ich legte Nebogipfels Zettel hin. »Erzähl's mir«, verlangte ich.