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»Aber ich hätte gerne deine Gesellschaft… Dies ist deine Welt, oder zumindest annähernd; du könntest sogar lange genug leben, um sie zu sehen. Meinst du nicht auch, daß du dich besser fühlen würdest, wenn du dir einen Ruck gäbst?«

Moses' Augen lagen tief in ihren Höhlen, und ich glaubte in ihnen eine Sehnsucht nach seiner eigenen Zeit zu erkennen, die auch in mir brannte. »Heute nicht. Ein andermal… vielleicht morgen.« Er nickte mir zu. »Paß auf dich auf.«

Ich wußte nicht, was ich darauf hätte sagen können.

Ich ließ mich von Filby in die Halle führen. Der an der offenen Haustür auf uns wartende Mann war groß und schlaksig, mit wirrem, ergrauenden Haar. Ein Soldat stand hinter ihm auf der Straße.

Als der große Mann mich erblickte, trat er mit einer jungenhaften Tolpatschigkeit vor, die gar nicht zu einer solchen Statur paßte. Er begrüßte mich mit meinem Namen und schüttelte mir heftig die Hand; er hatte kräftige, ziemlich verwitterte Hände, und ich erkannte, daß er ein Praktiker war — vielleicht ein Mann nach meinem Herzen! »Ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen — hocherfreut«, versicherte er mir. »Ich bin ein Mitarbeiter des DZvK — Direktorat für Zeitverschiebungs-Kriegsführung — des Luftfahrtministeriums.« Er hatte eine gerade Nase, ein schmales Gesicht und einen offenen Blick hinter einer Brille mit Drahtgestell. Er war offensichtlich ein Zivilist, denn unter den unvermeidlichen Epauletten und dem Behälter mit der Gasmaske trug er einen schlichten, ziemlich abgetragenen Anzug, mit einer gestreiften Krawatte über einem gelblichen Hemd. Am Revers hatte er eine Marke mit einer Nummer. Er war etwa fünfzig Jahre alt.

»Sehr erfreut«, meinte ich. »Obwohl Ihr Gesicht mir leider nicht bekannt vorkommt…«

»Wie könnte es auch? Ich war gerade acht Jahre alt, als Ihr ZVF-Prototyp in die Zukunft aufbrach… verzeihen Sie! — ich wollte sagen, das ›Zeitverschiebungs-Fahrzeug‹. Vielleicht gelingt es Ihnen irgendwann, sich alle diese Akronyme zu merken — oder auch nicht! Ich habe es jedenfalls nicht geschafft; und es heißt, daß selbst Lord Beaverbrook nur mit Mühe alle Direktorate zusammenbekommt, die seinem Ministerium unterstehen.

Ich bin kein Prominenter — nicht halb so bekannt wie Sie! Bis vor kurzem habe ich in der glorreichen Position eines Stellvertretenden Chefkonstrukteurs bei der Vickers-Armstrong Company gearbeitet, im Weybridge-Bunker. Als man meine Überlegungen zur Temporalen Kriegsführung höherenorts zur Kenntnis nahm, wurde ich zum Hauptquartier des DZvK hier im Imperial abgestellt. Sehen Sie«, meinte er aufrichtig, »ich freue mich wirklich, daß Sie hier sind — es ist ein echter Glücksfall, der Sie hierher geführt hat. Ich glaube nämlich, daß wir — Sie und ich — eine Partnerschaft schließen könnten, welche die Geschichte verändert — die diesen verdammten Krieg ein für allemal beendet!«

Ich konnte mich eines Schauders nicht erwehren, denn ich war der Ansicht, die Geschichte bereits genug manipuliert zu haben. Und dieses ganze Gerede von Temporaler Kriegsführung — der Gedanke, daß meine Zeitmaschine, die schon soviel Unheil angerichtet hatte, wissentlich für destruktive Aufgaben eingesetzt wurde! — diese Vorstellung verursachte mir größtes Unbehagen, und ich wußte nicht, was ich tun sollte.

»Nun — wo wollen wir uns unterhalten?« fragte er. »Möchten Sie mich zu meinem Zimmer im Imperial begleiten? Ich habe einige Unterlagen, die…«

»Später«, meinte ich. »Sehen Sie — es mag Ihnen vielleicht seltsam erscheinen — aber ich bin gerade erst hier angekommen, und ich würde es begrüßen, etwas mehr von Ihrer Welt zu sehen. Wäre das möglich?«

»Natürlich!« bejahte er mit strahlendem Gesichtsausdruck. »Wir können uns unterwegs unterhalten.« Er blickte über die Schulter zu dem Soldaten, der mit einem Kopfnicken sein Einverständnis bekundete.

»Danke«, sagte ich, »Mr…«

»Eigentlich heiße ich Dr. Wallis«, korrigierte er mich. »Barnes Wallis.«

Hyde Park

Es stellte sich heraus, daß sich das Imperial College in South Kensington befand — ein paar Gehminuten von Queen's Gate Terrace. Die Gründung dieses Colleges war etwas nach meiner Zeit, im Jahre 1907, durch die Zusammenlegung von drei zuvor eigenständigen, führenden Colleges erfolgt, die ich kannte: dem Royal College of Chemistry, der Royal School of Mines und dem City and Guilds College. Wie es sich begab, hatte ich als jüngerer Mann gelegentlich Vorlesungen an der Normal School of Science gehalten, die ebenfalls in das Imperial integriert worden war. Und nun, wo wir nach South Kensington kamen, wurde mir bewußt, daß ich den größten Teil meiner Zeit in London verbracht und mich den Genüssen solcher Etablissements wie dem Empire am Leicester Square hingegeben hatte. Auf jeden Fall hatte ich die Gegend gründlich kennengelernt — aber wie hatte sie sich verändert!

Wir gingen durch Queen's Gate Terrace in Richtung des College und bogen dann in die Kensington Gore Road ab, die den Hyde Park im Süden begrenzt. Wir wurden von einem halben Dutzend Soldaten eskortiert — ziemlich diskret, denn sie folgten uns in einer kreisähnlichen Formation — aber ich wunderte mich doch wegen der Streitmacht, die auf uns losgelassen würde, wenn etwas schiefgehen sollte. Es dauerte nicht lange, und die drückende Hitze begann an meinen Kräften zu zehren — es war wie in einem großen, überhitzten Gebäude —, und ich nahm das Jackett ab und lockerte die Krawatte. Auf Wallis' Rat hin klemmte ich die Epauletten auf das Hemd und befestigte den Gasmaskenbehälter wieder am Hosengürtel.

Das Straßenbild hatte sich deutlich gewandelt, und es fiel mir auf, daß sich nicht alle Veränderungen, die seit meiner Zeit erfolgt waren, zum Schlechteren ausgewirkt hatten. Die Verbannung der unhygienischen Pferde, des Rauchs der Kaminfeuer und der Abgase der Motorwagen — alles aus Gründen der Luftreinhaltung unter der Kuppel — hatte dem Ort eine gewisse Frische beschert. Die Hauptverkehrsstraßen wiesen einen Belag aus einem neuen, robusteren glasigen Material auf, das von einer Reihe Arbeitern saubergehalten wurde, die Karren mit Besen und Gießkannen vor sich herschoben. In den Straßen drängten sich Fahrräder, Rikschas und elektrische Straßenbahnen, die zischend an Drähten liefen und blaue Funken in der Dunkelheit versprühten. Außerdem gab es neue Wege für Fußgänger, die Rows genannt wurden und die in Höhe des Erdgeschosses an den Häuserfronten verliefen — und manchmal auch entlang des ersten und sogar zweiten Stockwerks. Brücken, leicht und filigran, überspannten die Straßen und dienten in regelmäßigen Abschnitten als Anschlußstellen für diese Gehwege, wodurch sie London — selbst in dieser stygischen Dunkelheit — irgendwie ein italienisches Ambiente verliehen.

Moses bekam später etwas mehr vom Leben der Stadt mit als ich, und er berichtete über gut besuchte Geschäfte im West End — trotz der Widrigkeiten des Krieges — und über neue Theater am Leicester Square, mit Fassaden aus raffiniert verstärktem Porzellan, wobei diese Gebäude noch im Schein indirekter Beleuchtung und illuminierter Reklame erstrahlten. Aber Moses beschwerte sich, daß die aufgeführten Stücke nur langweilig oder belehrend waren, wobei sich gleich zwei Theater auf die endlose Wiederholung von Shakespeares Werken verlegt hatten.

William und ich kamen an der Royal Albert Hall vorbei, die mir immer monströs erschienen war — wie eine rosa Hutschachtel! Im Zwielicht der Kuppel wurde dieses Bauwerk von einer Reihe heller Lichtstrahlen beleuchtet (die von Aldis-Lampen projiziert wurden, wie Wallis mir erklärte) und die dieses denkwürdige Gebilde noch grotesker wirken ließen, wie es so dahockte und selbstgefällig strahlte. Dann streiften wir den Park am Alexandra Gate, gingen zurück zum Albert Memorial und bogen Richtung Norden in den Lancaster Walk ab. Vor uns sah ich die flackernd unter der Kuppel hängenden Strahlen der Schwätzmaschine und vernahm das entfernte Wummern verstärkter Stimmen.