Doch nicht lange, und die große Themsebrücke setzte braune und grüne Flecken an, die Farben des vergänglichen, zerstörerischen Lebens, und — mit einem Blinzeln, so schien es mir — brach sie im Mittelpunkt ein und kollabierte zu zwei nackten Stümpfen an den Ufern. Wie alles Menschenwerk, so sah ich, waren auch diese großen Strukturen vergängliche Schimären, der Vergänglichkeit anheimgegeben, verglichen mit der äonenlangen Geduld des Landes.
Ich fühlte mich der Welt außerordentlich entrückt, ein erhabenes Gefühl, das durch die Zeitreise verursacht wurde. Ich erinnerte mich an die Neugier und den Überschwang, den ich verspürt hatte, als ich zum erstenmal durch diese Träume der Zukunftsarchitektur gerast war; ich dachte zurück an die kurze, fieberhafte Spekulation über die Errungenschaften dieser zukünftigen Menschheit. Jetzt wußte ich es besser; jetzt wußte ich, daß ungeachtet dieser großen Leistungen die Menschheit unweigerlich zurückfallen würde, unter dem unerbittlichen Druck der Devolution, in die Dekadenz und den Niedergang der Eloi und Morlocks.
Ich war betroffen davon, wie unwissend wir Menschen sind — oder uns selbst machen —, was den Lauf der Zeit betrifft. Wie kurz unser Leben ist! — und wie bedeutungslos die Ereignisse, die unser kleines Selbst beschäftigen, wenn man sie aus der großen plastischen Perspektive der Geschichte betrachtet. Wir sind weniger als Eintagsfliegen, hilflos angesichts der permanenten Kräfte der Geologie und Evolution — Kräfte, die unerbittlich walten, und doch so langsam, daß wir uns im Alltagsleben ihrer Existenz nicht einmal bewußt sind.
Eine neue Vision
Bald hatte ich das Zeitalter der Großen Architektur hinter mir gelassen. Neue Häuser und Hallen, groß und scheinbar für die Ewigkeit errichtet, tauchten leuchtend um mich herum auf, alle im Tal der Themse gelegen, und nahmen in meinen Augen eine gewisse Opazität an, die durch den Dopplereffekt bewirkt wurde. Es schien mir, als ob der Bogen der Sonne, die den tiefblauen Himmel zwischen ihren beiden Wendepunkten durchlief, heller würde, und eine grüne Decke legte sich über Richmond Hill und ergriff Besitz von dem Land, verbannte die winterlichen Braun- und Weißtöne. Wieder einmal war ich in jene Ära vorgedrungen, in der die Menschheit eine Klimakontrolle eingerichtet hatte.
Ich überblickte eine Landschaft, die durch meine Geschwindigkeit wie eingefroren wirkte; alle Bewegungsabläufe, wie z. B. die Aktivitäten von Mensch und Tier und sogar die Bewegungen der Wolken am Himmel waren derart verlangsamt, daß mein schweifendes Auge sie nicht wahrnahm. Ich war in einer unheimlichen Stille gefangen. Wenn da nicht das oszillierende Band der Sonne und das intensive, unnatürlich blaue Zwielicht gewesen wären, hätte ich auch allein im Spätsommer in einem Park sitzen können.
Meine Uhren sagten mir, daß ich noch nicht einmal ein Drittel der Distanz meiner großen Fahrt bewältigt hatte — obwohl ich bereits eine Viertelmillion Jahre von meiner eigenen Zeit entfernt war — und doch schien es, als ob die Phase, in der die Menschen die Erde gestaltet hatten, schon vergangen sei. Der Planet hatte sich in einen Garten verwandelt, in dem der Stamm der Eloi unbekümmert in den Tag hinein lebte; und ich wußte, daß Proto-Morlocks sich schon unter die Erdoberfläche verzogen haben mußten und jetzt ihre riesigen, mit Maschinen vollgestellten Kavernen ausschachteten. Es würde sich nur noch wenig tun in dem Abschnitt von einer halben Million Jahren, den ich noch zu bewältigen hatte, abgesehen vom weiteren Niedergang der Menschheit und der Identität der Opfer in den Millionen winziger und schrecklicher Tragödien, aus denen von nun an die Geschichte der Menschen bestehen würde…
Als ich mich jedoch aus diesen morbiden Betrachtungen löste, bemerkte ich, daß es doch eine Veränderung gab, die langsam mit der Landschaft vor sich ging. Ich verspürte ein Unbehagen, das diesmal nicht nur vom üblichen Schaukeln der Zeitmaschine herrührte. Etwas war anders — aber was? War vielleicht etwas mit dem Licht?
Vom Sattel aus überflog ich die geisterhaften Bäume, die ebenen Wiesen um Petersham und die Biegung der geduldigen Themse.
Dann sah ich hoch zu dem durch die Zeit geglätteten Himmel, und plötzlich registrierte ich, daß das Sonnenband stationär am Firmament stand. Die Erde rotierte noch immer so schnell um ihre Achse, daß die Bewegung unseres Sterns im All verschwamm und die Wandelsterne überhaupt nicht zu sehen waren, aber dieses Band aus Sonnenlicht oszillierte nicht mehr zwischen seinen Wendepunkten: es war statisch und unbewegt wie eine Konstruktion.
Mit einemmal meldeten sich die Übelkeit und das Schwindelgefühl zurück. Ich mußte mich an den Streben der Maschine festhalten und schluckte, als ich mich bemühte, den Körper unter Kontrolle zu bekommen.
Es fällt mir schwer, den Eindruck zu vermitteln, den diese triviale Veränderung meiner Umgebung auf mich machte. Zunächst war ich von dem schieren technologischen Niveau geschockt, das die Suspendierung des Jahreszeitenzyklus ermöglicht hatte. Die Erdjahreszeiten wurden eigentlich durch die zur Bahnebene um die Sonne geneigte Planetenachse verursacht. Und jetzt schien es auf der Erde keine Jahreszeiten mehr zu geben. Das konnte nur bedeuten — schlagartig wurde mir das klar —, daß die Deklination des Planeten aufgehoben worden war.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie das geschafft hatten. Welch riesige Maschinen mußten an den Polen installiert worden sein? Welche Maßnahmen waren getroffen worden, um sicherzustellen, daß die Erdoberfläche während dieses Vorgangs nicht von tektonischen Verwerfungen in Mitleidenschaft gezogen wurde? — Vielleicht, so spekulierte ich, hatten sie irgendeinen riesigen Magneten verwendet, der den flüssigen und magnetischen Kern des Planeten manipuliert hatte.
Aber es war nicht nur der Umfang dieses ›Terraformens‹, der mich beunruhigte: noch erschreckender war die Tatsache, daß ich diese Regulierung der Jahreszeiten nicht auch bei meinem ersten Abstecher in die Zukunft bemerkt hatte. Wie war es möglich, daß mir eine solch enorme und profunde Veränderung entgangen war? Schließlich bin ich zum Wissenschaftler ausgebildet worden; meine Profession ist es, zu beobachten.
Ich rieb mir die Augen, starrte hoch zu dem am Himmel hängenden Sonnenband und weigerte mich einfach, seine Bewegungslosigkeit hinzunehmen. Aufgrund meiner Reise durch die Zeit wurde ich durch den Dilatationseffekt von der Realität der alternden Welt um mich herum abgeschirmt, so daß ich die Wärme der Sonnenstrahlen nicht spüren konnte. Aber ihre Helligkeit stach mir in die Augen, und es hatte den Anschein, als ob das Band noch heller würde. Zunächst fragte ich mich, ob mir die Phantasie einen Streich spielte oder ob ich etwas an den Augen hätte. Benebelt senkte ich den Kopf, wischte ein paar Tränen am Jackenärmel ab und blinzelte, um die Augen von Streifen verschwommener Lichtpunkte zu befreien.
Ich bin weder ein Primitiver noch ein Feigling — schließlich hatte ich eine Zeitmaschine konstruiert und war in eine unbekannte Zukunft aufgebrochen — und doch, als ich auf dem Sitz hockte und an die immensen Leistungen dieser zukünftigen Menschen dachte, kam ich mir wie ein nackter und bemalter Wilder vor, der vor diesem komischen Götterhimmel kniete. Aus den Tiefen des Bewußtseins fühlte ich eine tiefe Besorgnis um meine geistige Gesundheit emporsteigen; und dennoch klammerte ich mich an den Glauben, daß ich es — irgendwie — doch versäumt hatte, dieses verblüffende astronomische Phänomen auf meiner ersten Reise zu registrieren. Denn die einzige Alternativhypothese jagte mir eine unsägliche Angst ein: daß ich mich auf meiner ersten Reise eben nicht vertan hatte; daß die Erdachse damals eben nicht verschoben war — sondern daß sich der Ablauf der Geschichte selbst geändert hatte.