Die fast unvergänglichen Konturen der Hügelkette waren unverändert — die Morphologie des uralten Landes wurde von diesem aufkommenden Licht am Himmel nicht beeinträchtigt — aber ich konnte erkennen, daß sich das weite Grün, von dem das Land bedeckt gewesen war, nun unter der stetigen Glut der intensivierten Sonne zurückgezogen hatte. Jetzt bemerkte ich ein entferntes Flackern über dem Kopf und schaute mit vorgehaltener Hand nach oben. Das Flackern ging von dem Sonnenband am Himmel aus — oder von dem, was einmal das Sonnenband gewesen war, denn ich registrierte, daß ich jetzt irgendwie wieder in der Lage war, den kanonenkugelartigen Flug der Sonne zu beobachten, wie sie auf ihrer täglichen Bahn über den Himmel schoß; ihre Bewegung war jetzt nicht mehr so rapide, daß ich sie nicht mehr hätte verfolgen können, und es war der Tag-Nacht-Rhythmus, der das von mir wahrgenommene Flackern hervorrief.
Zuerst dachte ich, daß meine Maschine langsamer werden würde. Als ich dann aber auf die Instrumente niederblickte, sah ich, daß die Zeiger mit der gleichen Geschwindigkeit wie bisher über die Skalen huschten.
Die perlgraue Uniformität des Lichts löste sich auf, und die Übergange zwischen Tag und Nacht wurden prononcierter. Die Sonne glitt über den Himmel und wurde mit jedem Durchlauf langsamer, heiß und hell und gelb; und bald erkannte ich, daß der flammende Stern viele Jahrhunderte benötigte, um einen Umlauf um die Himmelssphäre zu vollenden.
Schließlich kam die Sonne ganz zum Stillstand; sie verhielt am westlichen Horizont, heiß und gnadenlos und stetig. Die Eigenrotation der Erde hatte aufgehört; nun wandte sie ständig dieselbe Seite der Sonne zu!
Die Wissenschaftler des neunzehnten Jahrhunderts hatten vorhergesagt, die Gezeiteneffekte der Sonne und des Mondes würden irgendwann dazu führen, daß die Eigendrehung der Erde zum Erliegen käme und sie der Sonne dann immer dieselbe Seite zuwenden würde, genauso wie der Mond der Erde nur eine Seite zukehrte. Ich hatte das auf meiner ersten Reise in die Zukunft selbst beobachtet: aber dies war ein Ereignis, das eigentlich erst in vielen Millionen Jahren eintreten sollte. Und doch fand ich schon jetzt, kaum mehr als eine halbe Million Jahre in der Zukunft, eine zum Stillstand gebrachte Erde vor!
Ich realisierte, daß ich erneut die Hand der Menschheit am Werk gesehen hatte — vom Affen abstammende Finger, die mit der Attitüde von Göttern über die Jahrhunderte griffen. Nicht damit zufrieden, die Position seiner Welt verändert zu haben, hatte der Mensch die Rotation der Erde selbst aufgehoben und damit den uralten Zyklus von Tag und Nacht verbannt.
Ich ließ den Blick über Englands neue Wüste schweifen. Hier und da ortete ich die Konturen zäher Büsche — deren Form ein wenig an Oliven erinnerte —, die in dieser öden Landschaft um das Überleben kämpften. In diesem Land waren alles Gras und alle Pflanzen abgestorben und hatten nur einen ausgetrockneten Lehmboden zurückgelassen. Von der majestätischen Themse, die sich auf einer Breite von vielleicht einer Meile durch diese Ebene gezogen hatte, war am Schluß nur noch ein trockenes Flußbett zu sehen. Ich war kaum der Ansicht, daß diese jüngsten Veränderungen dem Ort zum Besseren gereicht hätten: wenigstens hatte die Welt der Morlocks und Eloi den Niedergang des urtümlichen Charakters der englischen Landschaft miterlebt, mit ihrem Reichtum an Vegetation und Wasser; wenn man die Britischen Inseln irgendwohin in die Tropen geschleppt hätte, wäre sicherlich der gleiche Effekt eingetreten.
Jetzt war die in den letzten paar Jahrtausenden eingetretene Wüstenbildung durch das Anhalten der Erdrotation indessen noch verstärkt worden. Ich stellte mir den armen Planeten vor, die eine Seite für immer auf die Sonne geheftet, die andere von ihr abgewandt. Ich überlegte mir, daß es am Äquator im Zentrum der Tagseite wohl so heiß sein mußte, daß man bei lebendigem Leibe geröstet wurde. Und die Luft mußte in Gestalt von Hurrikanen von der überhitzten Sonnenseite zu der kühleren Hemisphäre rasen, um sich dort als ein Schauer aus Sauerstoff und Stickstoff über den zugefrorenen Ozeanen niederzuschlagen. Wenn ich die Maschine jetzt anhielte, würde ich vielleicht von einem dieser Orkane mitgerissen werden, den letzten Atemstößen der Lunge eines Planeten! Der Prozeß würde erst dann abgeschlossen sein, wenn die Tagseite absolut verdorrt, ohne Atmosphäre und bar jeglichen Lebens und die Nachtseite unter einer dünnen Schicht gefrorener Atmosphäre begraben wäre.
Ich erkannte mit zunehmendem Schrecken, daß mir der Weg nach Hause abgeschnitten war! — denn um den Rückflug anzutreten, mußte ich die Maschine anhalten, und wenn ich das täte, würde ich wahlweise in ein Land des Vakuums oder der sengenden Hitze stürzen, so tot wie die Oberfläche des Mondes. Aber sollte ich weiterfliegen, in eine Ungewisse Zukunft, und hoffen, daß ich in den Tiefen der Zeit eine Welt finden würde, auf der ich überleben konnte?
Jetzt war ich mir sicher, daß die Wahrnehmungen während der Zeitreise bzw. die Erinnerungen daran ziemlich verzerrt sein mußten. Es war nämlich kaum vorstellbar, daß ich auf meinem ersten Flug in die Zukunft die Aufhebung der Neigung der Erdachse und die Eliminierung der Jahreszeiten übersehen haben konnte — obwohl ich es kaum glauben konnte —, indes hielt ich es für völlig unwahrscheinlich, die Verlangsamung der Erdrotation nicht bemerkt zu haben.
Es konnte kein Zweifel bestehen: Ich bewegte mich durch Ereignisse, die massiv von jenen abwichen, die ich auf meiner ersten Reise erlebt hatte.
Ich neige von Natur aus zu Spekulationen und bin im Grunde auch nie um eine oder zwei originelle Hypothesen verlegen; aber in jenem Moment saß der Schock so tief, daß ich nicht mehr klar denken konnte. Es war, als ob mein Körper noch immer durch die Zeit stürzte, das Gehirn jedoch zurückgelassen hätte, irgendwo in der klebrigen Vergangenheit. Ich glaube, daß ich vorher lediglich einen Pseudomut kultiviert hatte, eine Fassade, die von der selbstgefälligen Erwägung gestützt wurde, daß ich mich zwar in Gefahr begab, aber zumindest in eine solche, mit der ich schon einmal konfrontiert gewesen war. Jetzt hatte ich allerdings nicht die geringste Ahnung, was mich in den Korridoren der Zeit erwartete!
Während ich diesen morbiden Gedanken nachhing, registrierte ich fortdauernde Veränderungen am Himmel — als ob die Demontage der natürlichen Ordnung der Dinge noch nicht weit genug gediehen gewesen wäre! Die Lichtstärke der Sonne erhöhte sich weiter. Und — man konnte sich kaum sicher sein, bei der enormen Helligkeit — ich meinte wahrzunehmen, daß sich jetzt auch die Form des Sterns veränderte. Seine Konturen verschwammen am Himmel und verzerrten sich zu einem elliptischen Lichtfleck. Ich fragte mich, ob die Sonne sich jetzt schon so schnell drehte, daß sie durch die Rotationsgeschwindigkeit abgeplattet wurde.
Und dann — aus heiterem Himmel — explodierte die Sonne.
Im Schattenreich
Ich schrie auf und vergrub das Gesicht in den Händen; aber ich konnte dennoch das Licht der stärker gewordenen Sonne sehen, das sogar durch die Finger drang und grell vom Nickel und Messing der Zeitmaschine reflektiert wurde.
Lichtblitze eruptierten mit einem immensen Flackern an den Polen des Sterns. Innerhalb weniger Herzschläge hatte sich die Sonne in einen glühenden Mantel aus Licht gehüllt. Hitze und Licht stachen erneut auf die geschundene Erde herab.
Dann ließ der Lichtsturm wieder so schnell nach, wie er begonnen hatte, und eine Art Schale legte sich um die Sonne, als ob ein riesiges Maul das Gestirn verschlucken würde — und dann stürzte ich in die Dunkelheit!