Der Butler kam aus der Villa gerollt und pflanzte sich auf vier Teleskop-Stummelbeinen vor Pomraths Liegestuhl auf. Pomrath betrachtete den grauen Metallkasten voll Zuneigung. Was gab es Besseres als einen homöostatischen Butler, auf den Zyklus des Alkoholverbrauchs seines Herrn programmiert?
»Rum, gefiltert«, sagte Pomrath.
Er ließ sich das Glas geben, das ihm von einem Spinnenarm aus geflochtenen Titanfasern dargereicht wurde. Er schlürfte. Hundert Meter vom Strand entfernt begann die See schlagartig zu brodeln und zu sieden, so als mahle sich irgendein Ungeheuer aus den Tiefen empor. Eine riesige korkenzieherförmige Schnauze tauchte auf. Ein Metallkrake zu Besuch. Pomrath vollführte die Abwehrbewegung, und augenblicklich zogen die Wächterzellen der Insel einen Pfostenzaun aus Kupferdraht hoch, jeder Strang zweieinhalb Meter hoch und eineinhalb Millimeter dick. Zwischen den Drähten leuchtete das Abwehr-Kraftfeld.
Der Krake wälzte sich ans Ufer. Er nahm es mit dem Kraftfeld nicht auf. Sieben Meter aus dem Wasser ragend, warf das massige, grünlich-graue Ding einen langen Schatten auf Pomrath und Helaine. Es hatte große gelbe Augen. Im röhrenförmigen Kopf öffnete sich eine Klappe, eine Platte schob sich heraus, von der eine menschliche Gestalt herabstieg. Der Krake war also nur ein Transportmittel, erkannte Pomrath. Er kannte die Gestalt, die ans Ufer kam, und ließ das Kraftfeld in sich zusammenfallen.
Es war Danton.
Kalte Augen, scharfe Adlernase, schmale Lippen, dunkler Teint zeugten für eine über das Maß hinausgehende gemischte Herkunft: Danton. Als der Potentat Stufe Eins ans Ufer trat, nickte er der nackten Helaine höflich zu und hielt dem ängstlichen Pomrath beide Hände ausgestreckt entgegen. Pomrath tippte auf die Steuertafel des Butlers; der Metallkasten huschte davon, um dem Besucher einen Pneumostuhl zu bringen. Danton ließ sich nieder. Pomrath ließ sich ein volles Glas für ihn geben. Danton bedankte sich herzlich. Helaine legte sich auf den Bauch in die Sonne.
Danton sagte leise: »Zu Kloofman. Die Zeit ist reif —«
Pomrath wurde wach. Sein Mund schmeckte nach alten Lumpen.
So war es immer, dachte er traurig. Gerade wenn die Halluzination wirklich aufregend wurde, hörte die Wirkung auf. Ab und zu hatte er versuchsweise für eine doppelt starke Dosis bezahlt, damit er den Tagtraum länger genießen konnte. Aber selbst da war die Unterbrechung mitten in der Halluzination die Regel. FORTSETZUNG FOLGT, erklärte die Maske stets, als der Vorhang fiel. Aber was erwartete er? Eine schön abgerundete Episode, Anfang, Mitte, Höhepunkt, Auflösung? Seit wann ging es im Universum so zu? Er stemmte sich von der Liege hoch und ging zum Eingang, um die Maske abzugeben.
»War es gut, Norm?« fragte Jerry.
»Großartig«, sagte Pomrath. »Ich bin zu Stufe Zwanzig degradiert und in einen Hochsicherheitstrakt gesteckt worden. Dann fanden sie Arbeit für mich als Gehilfe eines Sanitärroboters. Ich war derjenige, welcher den Gummischrubber führen durfte. Danach bekam ich Krebs im Innenohr und —«
»He, erzählen Sie doch nichts! So einen Traum wollen Sie hier gehabt haben?«
»Sicher«, sagte Pomrath. »Nicht schlecht für eineinhalb Stück, wie? So etwas macht Spaß.«
»Sie haben einen seltsamen Humor, Norm. Ich weiß nicht, wo einer wie Sie das hernimmt.«
Pomrath lächelte schief.
»Das ist ein Geschenk des Himmels. Da stellt man keine Fragen. Man bekommt es ganz von selbst, wie Krebs im Innenohr. Auf bald, Jerry.« Er ging hinaus und nahm den Schacht zur Oberseite des Tanks. Es war schon spät, fast Zeit zum Abendessen. Er war in der Stimmung, zu Fuß zu gehen, aber er wußte, daß Helaine einen Anfall bekommen würde, wenn er auf dem Heimweg so lange herumtrödelte, und ging deshalb zur nächsten Schnellboot-Rampe. Als er darauf zuging, sah Pomrath eine abgerissene Gestalt eilig auf sich zukommen. Pomrath spannte die Muskeln an. Ich bin auf alles gefaßt, dachte er. Der soll es nur versuchen.
»Lesen!« sagte der Mann und drückte Pomrath einen zerknüllten Minizettel in die Hand.
Pomrath faltete den harten gelblichen Kunststoffstreifen auseinander. Die Mitteilung war knapp, in roten Buchstaben auf die Streifenmitte gedruckt.
Interessant, dachte Pomrath. Ich muß inzwischen ganz das Aussehen des ewig Arbeitslosen haben. Arbeitslos? Gewiß! Aber wer, zum Teufel, ist dieser Lanoy?
5
Martin Koll ordnete umständlich die Unterlagen auf seinem Schreibtisch, um eine Verwirrung zu verdecken, die Quellen zu zeigen er wenig Lust hatte. Der KrimSek hatte Koll eben einen sehr beunruhigenden Vorschlag gemacht, voller kaum überblickbarer Aspekte, wie ein Bild zwischen zwei Spiegeln. Koll seinerseits würde ihn zur Beurteilung der Hohen Regierung vorlegen müssen. Er hätte Quellen dafür, daß er ihm solche Schwierigkeiten bereitete, mit Vergnügen aufgespießt. Zugegeben, es war ein kluger Vorschlag. Doch Klugheit paßte zu Quellen nicht. Der Mann war beharrlich, methodisch, einigermaßen tüchtig, aber das war kein Grund, seinem Vorgesetzten einen derart hinterhältigen Vorschlag zu machen.
»Mal sehen, ob ich das richtig erfaßt habe«, sagte Koll, der nur zu gut begriff. »Ihre Durchforschung der Springer-Unterlagen hat einen wirklich vorhandenen Mann namens Mortensen ergeben, der dem Register nach vom nächsten Monat aus in die Vergangenheit abgereist ist. Ihr Vorschlag sieht vor, ihn zu überwachen, zu seiner Kontaktstelle zu verfolgen und ihn notfalls mit Gewalt daran zu hindern, daß er die Reise in die Vergangenheit antritt, indem diejenigen festgenommen werden, die sich bereit erklärt haben, ihn hinzuschicken.«
Quellen nickte.
»So ist es.«
»Ist Ihnen klar, daß das ein direkter Eingriff in die Vergangenheit wäre, auf eine überlegte Art, wie er, soviel ich weiß, bislang noch nie versucht worden ist?«
»Das ist mir klar«, sagte Quellen. »Deshalb bin ich vorher zu Ihnen gekommen. Ich sitze zwischen zwei Geboten: einerseits den Drahtzieher der Zeitreisen zu fassen und andererseits die geordnete Struktur der Geschichte zu bewahren. Offenbar steht jener Mortensen mit dem Drahtzieher in Verbindung oder er wird diese zu ihm aufnehmen, wenn der 4. Mai tatsächlich der Tag seiner Abreise ist. Sobald wir ihn also mit einem Peiler verfolgen —«
»Ja«, unterbrach ihn Koll trocken. »Das sagten Sie schon. Die Probleme sind mir klar.«
»Haben Sie eine Anweisung für mich?«
Koll schob wieder seine Papiere umher. Er argwöhnte, daß Quellen das absichtlich tat, daß er aufbegehrend seinen Chef in die Klemme bringen wollte. Koll war sich der Feinheiten der Situation voll bewußt. Zehn Jahre lang hatte er Quellen nach seiner Pfeife tanzen lassen, ihn gezwungen, einen schwierigen Auftrag nach dem anderen auszuführen, und hatte dann mit einiger Belustigung zugesehen, wie Quellen seine beschränkten Fähigkeiten ins Spiel brachte, um mit dem Problem fertigzuwerden. Koll räumte ein, daß bei der Art seines Umgangs mit Quellen ein sadistisches Element mitgespielt hatte. Das ging in Ordnung; Koll hatte, wie jedermann, Anspruch auf seine Charakterschwächen, und es erschien ihm gerechtfertigt, seine Aggressionen durch Feindseligkeit dem geduldigen Quellen gegenüber abzubauen. Trotzdem war es ärgerlich, daß Quellen, um sich zu rächen, so etwas anrichtete.
Nach einer langen Schweigepause der Verlegenheit sagte Kolclass="underline" »Ich kann Ihnen noch keine Anweisung geben. Ich muß mich natürlich mit Spanner besprechen. Und sehr wahrscheinlich brauchen wir eine beratende Stellungnahme von anderer Stelle.«