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Also von der Hohen Regierung. Koll übersah das kleine Triumphlächeln nicht, das rasch über Quellens Gesicht huschte. Quellen genoß das, kein Zweifel.

»Ich warte mit dem konkreten Einsatz, bis ich wieder höre, Sir«, sagte der KrimSek.

»Da tun Sie gut daran«, erwiderte Koll.

Quellen ging hinaus. Koll grub die Fingernägel in die Handfläche, bis es schmerzte. Dann drückte er mit schnellen, verärgerten Bewegungen die Autosek-Tasten, bis das Gerät eine Spule mit der Aufzeichnung des eben geführten Gesprächs ausspuckte. Damit sollte Spanner sich befassen. Und danach —

Spanner war gerade nicht da. Er ging einer Beschwerde in einer anderen Abteilung nach. Koll, der stark schwitzte, wünschte sich, daß Quellen einen Zeitpunkt abgewartet hätte, zu dem Spanner sich im Büro befand, als er diesen Unfug mit Mortensen vorlegte. Aber ohne Zweifel gehörte auch das zu Quellens teuflischem Plan. Koll empfand bitteren Groll darüber, von dem Untergebenen so drangsaliert zu werden. Er schloß die Augen und sah auf der Innenseite der Augenlider Quellens Gesicht: lange, gerade Nase, blaßblaue Augen, Kinn mit Grübchen. Ein gewöhnliches, leicht zu vergessendes Gesicht. Manche hätten sogar von einem gutaussehenden Gesicht gesprochen. Niemand hatte Martin Koll jemals als gutaussehend bezeichnet. Andererseits war er schlau. Viel schlauer als der unsägliche Quellen. Jedenfalls hatte Koll das bis zu diesem Nachmittag immer geglaubt.

Eine Stunde später kam Spanner zurück. Als er sich an seinem Schreibtisch wie ein wildes Tier niederließ das sich eben den Wanst vollgeschlagen hat, schob Koll ihm die Spule hinüber.

»Spielen Sie das ab und sagen Sie mir, was Sie davon halten.«

»Können Sie das nicht abkürzen?«

»Nein. So ist es einfacher«, sagte Koll.

Spanner ließ die Aufzeichnung ablaufen, benützte aber zu Kolls Erleichterung den Kopfhörer, so daß Koll sich das Ganze nicht noch einmal anhören mußte. Als die Spule durchgelaufen war, hob Spanner den Kopf. Er zupfte an seinen Halsfalten und sagte: »Das bietet gute Aussichten, den Kerl zu erwischen, nicht?«

Koll schloß die Augen.

»Verfolgen Sie meinen Gedankengang. Wir beobachten Mortensen. Er geht in der Zeit nicht zurück. Er bekommt nicht die fünf Kinder, die er in die Welt gesetzt haben soll. Drei von diesen Kindern sind vielleicht Träger bedeutsamer historischer Vektoren. Eines davon wächst zum Vater des Mörders von Generalsekretär Tse heran. Einer wird der Großvater des unbekannten Mädchens, das die Cholera nach San Francisco gebracht hat. Eines ist verantwortlich für die Abfolge, die mit Flaming Bess aufhört. Da Mortensen sein Ziel in der Vergangenheit nie erreicht hat, kommt also keine dieser drei Personen zur Welt.«

»Betrachten Sie es anders herum«, meinte Spanner. »Mortensen geht zurück und hat fünf Kinder. Zwei davon bleiben ledige Mädchen. Das dritte bricht im dünnen Eis ein. Das vierte wird gewöhnlicher Arbeiter und hat Kinder, aus denen nie etwas wird. Das fünfte —«

»Woher wissen Sie«, fragte Koll leise, »wie die Folgen aussähen, wenn ein einzelner einfacher Arbeiter aus der Matrix der Vergangenheit herausgelöst wird? Woher wissen Sie, welche unberechenbaren Veränderungen dadurch ausgelöst werden würden, daß man auch nur eine alte Jungfer herausnimmt? Wollen Sie das Risiko eingehen, Spanner? Wollen Sie die Verantwortung übernehmen?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Seit vier Jahren wäre es möglich gewesen, Springer abzufangen, einfach, indem man die Aufzeichnungen durchgegangen wäre und sie ergriffen hätte, bevor sie das Weite gesucht hätten. Niemand hat es getan. Niemand hat es, soviel ich weiß, auch nur vorgeschlagen, bis diese teuflische Idee im Kopf unseres Freundes Quellen entstanden ist.«

»Das bezweifle ich«, sagte Spanner. »Mir ist der Gedanke sogar selbst gekommen.«

»Und Sie haben ihn für sich behalten.«

»Hm, ja. Ich hatte nicht die Zeit, mir die Konsequenzen genau zu überlegen. Aber ich bin sicher, daß er auch noch anderen im Staatsdienst gekommen ist, die sich mit dem Springerproblem befaßt haben. Vielleicht ist es sogar schon geschehen, Koll.«

»Also gut«, sagte Koll. »Rufen Sie Quellen an und sagen Sie ihm, er soll einen formellen Antrag auf Genehmigung des Plans stellen. Dann unterschreiben Sie.«

»Nein. Wir unterschreiben beide.«

»Ich weigere mich, die Verantwortung zu übernehmen.«

»In diesem Fall ich auch«, sagte Spanner.

Sie lächelten einander ohne jede Belustigung an. Die naheliegende Schlußfolgerung war alles, was noch blieb.

»Dann müssen wir es Denen zur Entscheidung vorlegen«, sagte Koll.

»Das glaube ich auch. Übernehmen Sie das.«

»Feigling!« schnaubte Koll.

»Gar nicht. Quellen kam damit zu Ihnen. Sie haben die Sache mit mir besprochen und meinen Rat gehört, der Ihre eigene Meinung bestätigte. Jetzt ist der Ball wieder bei Ihnen, und Sie müssen ihn spielen. Spielen Sie ihn zu Denen hinauf.« Spanner lächelte verbindlich. »Sie haben doch keine Angst vor Denen, oder?«

Koll bewegte unbehaglich die Schultern. Auf seiner Ebene von Autorität und Verantwortung hatte er Zugangsrecht zur Hohen Regierung. Er hatte es früher schon mehrmals genutzt, nie mit Freude. Freilich keinen direkten Zugang; er hatte von Angesicht zu Angesicht mit ein paar Leuten von Stufe Zwei gesprochen, Verbindung mit Stufe Eins aber nur über den Bildschirm gehabt. Bei einer Gelegenheit hatte Koll mit Danton gesprochen und dreimal mit Kloofman, aber es gab keine Gewißheit für ihn, daß die Bilder auf dem Schirm wirklich auch die von authentischen menschlichen Wesen waren. Wenn jemand meinte, das sei Kloofman, spreche wie Kloofman und sehe aus wie die 3D-Abbilder Kloofmans in der Öffentlichkeit, dann hieß das noch lange nicht, es gäbe jetzt auch wirklich einen Peter Kloofman oder es hätte ihn jemals gegeben.

»Ich rufe an, dann sehe ich schon«, sagte Koll. Er wollte das nicht von seinem eigenen Schreibtisch aus machen. Das Bedürfnis nach körperlicher Bewegung erfüllte ihn plötzlich stark. Koll stand abrupt auf und huschte hinaus, den Korridor entlang, in eine dunkle Kommunikationszelle. Der Bildschirm wurde hell, als er die Konsole zuschaltete.

Man wagte es natürlich nicht, den Hörer abzunehmen und Kloofman anzurufen. Es gab Kanäle. Kolls Weg nach oben führte über David Giacomin, Stufe Zwei, Vizekönig für innere Kriminalangelegenheiten. Giacomin gab es wirklich. Koll hatte ihn in Fleisch und Blut gesehen, einmal sogar seine Hand berührt, hatte gar zwei lähmende Stunden auf Giacomins Privatsitz in Ostafrika verbracht; eines der prägendsten und schlimmsten Erlebnisse in Kolls ganzem Leben.

Er stellte die Verbindung mit Giacomin her. Nach weniger als fünfzehn Minuten war der Vizekönig auf dem Schirm und lächelte Koll mit dem mühelosen Wohlwollen an, das zu zeigen ein Zweier mit Selbstsicherheit sich leisten konnte. Giacomin war ein Mann um die Fünfzig, schätzte Koll, mit kurzgeschorenen, eisengrauen Haaren, mit Lippen, die schief im Gesicht standen, und mit zerfurchter Stirn. Sein linkes Auge war irgendwann irreparabel beschädigt worden; an dessen Stelle trug er einen stummelartigen Faser-Rezeptor, dessen Glasstäbchen direkt an sein Gehirn angeschlossen waren.

»Was gibt es, Koll?« fragte er freundlich.

»Sir, einer meiner Untergebenen hat eine ungewöhnliche Methode vorgeschlagen, Informationen über die Springererscheinungen zu beschaffen. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob wir den empfohlenen Weg beschreiten sollen.«

»Warum erzählen Sie mir nicht einfach alles?« sagte Giacomin. Seine Stimme war so herzlich und tröstlich wie die eines Freundes, der alles über die ärgste Neurose des anderen wissen wollte.

Eine Stunde später, gegen Ende seines Arbeitstages, erfuhr Quellen von Koll, daß im Hinblick auf Mortensen noch nichts entschieden sei. Koll habe mit Spanner und dann mit Giacomin gesprochen, jetzt spreche Giacomin mit Kloofman, und ohne Zweifel werde jemand von Denen in wenigen Tagen eine Entscheidung verkünden. Inzwischen solle Quellen abwarten und nichts unternehmen, das etwas präjudizieren könne. Es sei noch Zeit genug bis zu Mortensens vorgesehenem Verschwinden am 4. Mai.