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»Ich hab’ nur gesagt, daß ich nach Afrika will«, murmelte der Junge.

»Widersprich deinem Vater nicht«, sagte Helaine. »Außerdem ist das Frühstück fertig. Zieht euch an.« Sie seufzte. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte jemand zermahlenes Glas hineingeschüttet. Die Kinder dauernd im Zank. Norm in der Ecke wie ein Gast bei der eigenen Totenwache. In der Wäsche rätselhafte Minizettel. Vier fensterlose Wände, die sie einsperrten — nein, es war zuviel. Sie begriff nicht, wie sie das ertragen sollte. Essen, schlafen, baden, lieben, alles in einem einzigen kleinen Zimmer. Tausende von verdreckten Nachbarn im selben Sumpf. Picknick einmal im Jahr, mit Stat in eine ferne Gegend, wo noch nicht alles zugebaut war — Brot und Spiele, damit die Proleten zufrieden sind. Aber es tat weh, einen Baum zu sehen und dann nach Appalachia zurückzukommen. Es ist wirklich qualvoll, dachte Helaine elend. Das war nicht zu erwarten gewesen, als sie Norm Pomrath geheiratet hatte. Er war voller Pläne gewesen.

Die Kinder aßen und gingen zur Schule. Norm blieb, wo er war, und drehte das Fakband mit den kurzen Fingern hin und her. Ab und zu machte Norm Helaine mit einer Nachricht bekannt. »Danton weiht nächsten Dienstag in Pacifica ein neues Krankenhaus ein. Völlig automatisch, ein großer Homöostat und überhaupt keine Techniker. Ist das nicht schön? Die Kosten für den Staat sinken, wenn keine Angestellten gebraucht werden. Und jetzt noch etwas Gutes: Ab ersten Mai werden die Sauerstoffmengen in allen gewerblichen Gebäuden um zehn Prozent herabgesetzt. Damit zusätzliche Mengen für die Privatwohnungen frei werden, heißt es. Du erinnerst dich, Helaine, als im August auch die Haushaltsmengen gekürzt worden sind. Es wird immer weniger. Wenn es schon soweit ist, daß sie die Luft rationieren —«

»Norm, reg dich nicht auf.«

Er beachtete sie nicht.

»Wie ist das alles soweit gekommen mit uns? Wir haben ein Anrecht auf etwas Besseres. Vier Millionen Menschen auf den Quadratmeter, das blüht uns noch. Die Häuser tausend Stockwerke hoch, damit jeder Platz hat, und es dauert einen Monat, bis man zur Straße hinunterkommt oder an eine Schnellbootrampe, aber was macht das schon? Das ist der Fortschritt. Und —«

»Glaubst du, du kannst diesen Lanoy finden und durch ihn Arbeit bekommen?« fragte sie.

»Was wir brauchen«, fuhr er fort, »ist eine erstklassige Erregerseuche. Selektiv, versteht sich. Weg mit allen, denen es an nutzbaren Berufskenntnissen fehlt. Damit wird die Alu-Liste am Tag schon um ein paar Milliarden Einheiten erleichtert. Das Steueraufkommen für Arbeitsbeschaffungsprogramme bei den übrigen aufwenden. Wenn das nicht klappt, einen Krieg anfangen. Außerirdische Feinde, die Krebsgeschöpfe vom Krebsnebel, alles für Patriotismus. Einen Krieg anfangen, der verlorengeht. Kanonenfutter.«

Er schnappt über, dachte Helaine, als ihr Mann weitersprach. In der letzten Zeit war das ein endloser Monolog, eine rauschende Fontäne der Bitterkeit. Sie versuchte nicht zuzuhören. Da er keine Anstalten machte, die Wohnung zu verlassen, tat sie es. Sie warf das Geschirr in den Schlucker und sagte: »Ich besuche die Nachbarn.« Sie verließ den Raum, als er die Vorzüge des beherrschten Atomkriegs zum Zweck der Bevölkerungseindämmung aufführte. Willkürliche Lautstöße, das war alles, was Norm Pomrath seit einiger Zeit nur noch hervorbrachte. Er mußte sich selbst reden hören, um nicht zu vergessen, daß es ihn noch gab.

Wohin soll ich gehen? fragte sich Helaine.

Beth Wisnack, verwitwet durch ihren zeitspringenden Ehemann, wirkte heute kleiner, grauer, trauriger als bei Helaines letztem Besuch. Beths Mund war in niedergehaltenem Zorn straff gespannt. Hinter dem Ausdruck weiblicher Resignation verbarg sich grenzenlose Wut: Wie kann er es wagen, mir das anzutun, wie konnte er mich so im Stich lassen?

Höflich bot Beth ihrem Gast ein Alkoholröhrchen an. Helaine lächelte liebenswürdig, griff nach dem roten Plastikröhrchen mit den stumpfen Enden und stieß es an die Haut des Oberarms. Beth tat dasselbe. Die Ultraschalldüsen surrten; der anregende Stoff spritzte in ihre Blutbahn. Ein müheloser Schwips für diejenigen, denen der moderne Alkohol nicht schmeckte. Helaine klapperte mit den Wimpern und wurde ruhig. Sie hörte sich eine Weile Beths Klagelied an.

Dann sagte Helaine: »Beth, kennst du einen Lanoy?«

Beth horchte sofort auf.

»Welcher Lanoy? Was für ein Lanoy? Wo hast du von ihm gehört? Was weißt du von ihm?«

»Nicht viel. Deshalb frage ich dich.«

»Ich habe den Namen gehört, ja.« Ihre wasserhellen Augen wirkten erregt. »Bud hat ihn erwähnt. Ich hörte ihn mit einem anderen Mann reden, Lanoy hin und Lanoy her… Das war in der Woche, bevor er mir davongelaufen ist. Lanoy, sagte er. Lanoy wird das einrichten.«

Helaine griff nach einem zweiten Alkoholröhrchen, ohne auf die Einladung zu warten. In ihr breitete sich plötzlich Eiseskälte aus, die bekämpft werden mußte.

»Lanoy wird was einrichten?« fragte sie.

Beth Wisnack sackte erschöpft zusammen.

»Ich weiß nicht. Bud hat mit mir nie etwas besprochen. Aber ich habe ihn auf jeden Fall von diesem Lanoy reden hören. Da wurde viel gewispert. Kurz bevor er ging, sprach er nur von Lanoy. Ich habe da meine Meinung zu Lanoy. Willst du sie wissen?«

»Natürlich.«

Lächelnd sagte Beth: »Ich glaube, Lanoy ist der Mann, der das mit den Springern betreibt.«

Helaine hatte das auch vermutet. Aber sie war hergekommen, um das Gegenteil zu erfahren, nicht, um ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu hören. Verkrampft, die Hände ein wenig zitternd, strich sie über ihre Tunika, verlagerte das Gewicht und sagte: »Meinst du wirklich? Hast du irgendeinen Grund, das anzunehmen?«

»Bud sprach die ganze Woche nur von Lanoy. Dann verschwand er. Er heckte etwas aus, und das hing mit Lanoy zusammen. Ich soll wissen, was? Aber ich habe meine Meinung. Bud hat diesen Lanoy irgendwo getroffen. Sie wurden sich einig. Und — und —« Qual und Zorn quollen an die Oberfläche. »Und Bud ist gegangen«, sagte Beth Wisnack gepreßt. Sie drückte wieder ein Röhrchen auf den Arm. Dann sagte sie: »Warum fragst du?«

»Ich habe in Normans Kleidung einen Streifen gefunden«, sagte Helaine. »Eine Art Werbung. ›Arbeitslos? Zu Lanoy.‹ Ich habe Norman danach gefragt. Er wurde sehr verlegen, nahm mir den Zettel weg, versuchte mir einzureden, das sei eine Stellenvermittlung oder dergleichen. Ich konnte sehen, daß er log. Etwas verbarg. Das Dumme ist nur, ich weiß nicht, was.«

»Da fängst du besser an, dir schwere Sorgen zu machen, Helaine.«

»Du glaubst, es ist schlimm?«

»Ich glaube, es ist dasselbe wie bei Bud. Norm ist in Verbindung mit ihnen. Wahrscheinlich versucht er gerade, das Geld aufzubringen. Und sie schicken ihn fort. Peng! Kein Mann mehr. Witwe Pomrath. Zwei Kinder, sieh, wie du zurechtkommst.«

Beth Wisnacks Augen glitzerten sonderbar. Sie wirkte bei der Möglichkeit, daß Helaines Ehemann Springer werden mochte, nicht unglücklich. Es war das Elend, das Genossen sucht, wie Helaine wußte. Mochten alle Ehemänner auf der Welt im Schlund der Vergangenheit verschwinden, und Beth Wisnack würde vielleicht ein wenig Freude empfinden.

Helaine bemühte sich, ruhig zu bleiben.

»Hast du bei der Polizei Lanoys Namen erwähnt, als sie Buds Verschwinden untersuchte?« fragte sie.

»Ich habe ihn erwähnt, ja. Sie wollten wissen, ob Bud neue Leute getroffen hätte, bevor er verschwand, und ich sagte, das wüßte ich nicht, aber er hätte ein paarmal diesen Lanoy erwähnt, den ich nicht kenne. Sie schrieben es auf. Ich weiß nicht, was sie unternommen haben. Das bringt Bud nicht zurück. Man kann in der Zeit nur in einer Richtung gehen, weißt du. Rückwärts. Es gibt hinter uns keine Maschinen, um die Leute wieder vorwärts zu schicken, und außerdem geht das gar nicht, soviel ich weiß. Wenn du zurückgehst, sitzt du fest. Wenn Norm also geht —«