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»Quellen«, sagte er, den Blick auf den grauen, leeren Bildschirm gerichtet.

»Hier Koll«, kam krächzend Antwort. »Konnte Sie bis jetzt nicht erreichen. Warum schalten Sie das Bild nicht zu, Quellen?«

»Es funktioniert nicht«, sagte Quellen. Er hoffte, der wache Koll, sein unmittelbarer Vorgesetzter im Sekretariat Verbrechen, werde die Lüge in seiner Stimme nicht bemerken.

»Kommen Sie sofort her, Quellen, ja? Spanner und ich haben etwas Dringendes mit Ihnen zu besprechen. Verstanden, Quellen? Dringend. Eine Sache der Hohen Regierung. Man setzt uns stark unter Druck.«

»Ja, Sir. Sonst noch etwas, Sir?«

»Nein. Die Einzelheiten erfahren Sie, wenn Sie hier sind. Auf der Stelle!« Koll unterbrach die Verbindung abrupt.

Quellen starrte eine Zeitlang auf den leeren Sichtschirm und kaute an seiner Lippe. Entsetzen hatte ihn erfaßt. War er das, der Ruf in die Zentrale, damit man ihm sein zuhöchst illegales, verbrecherisch selbstsüchtiges Versteck vorwarf? War endlich der Untergang gekommen? Nein. Nein. Sie konnten nicht dahintergekommen sein. Es war ausgeschlossen. Er hatte alles geregelt.

Aber sie mußten sein Geheimnis entdeckt haben, meldete sich der Gedanke sofort wieder. Weshalb sonst sollte Koll ihn so dringend zitieren, in schneidendem Ton? Quellen begann trotz der Klimaanlage, mit der die schlimmste Kongohitze ferngehalten wurde, zu schwitzen.

Man würde ihn in Stufe Acht zurückversetzen, wenn man dahinterkam. Oder, noch wahrscheinlicher, man würde ihn hinunterstoßen bis Zwölf oder Dreizehn und den Wiederaufstieg verbieten. Er würde dazu verurteilt sein, den Rest seines Lebens in einem winzigen Zimmer zu verbringen, in dem noch zwei oder drei andere Menschen wohnten, die größten, übelriechendsten, unangenehmsten Menschen, welche die tickenden Computer für ihn finden konnten.

Quellen zwang sich zur Ruhe. Vielleicht regte er sich grundlos auf. Koll hatte doch gesagt, es handle sich um eine Sache der Hohen Regierung, oder nicht? Eine Direktive von oben, keine Festnahme. Wenn sie ihm wirklich auf die Schliche kamen, würden sie ihn, das wußte Quellen, nicht einfach rufen. Sie würden ihn holen. Also ging es um etwas Dienstliches. Er sah vor seinem inneren Auge kurz die Mitglieder der Hohen Regierung, schattenhafte Halbgötter, mindestens drei Meter groß, die in ihrer unbegreiflichen Tätigkeit innehielten, um Koll durchs Rohr eine Minizettel-Mitteilung zukommen zu lassen.

Quellen warf einen langen Blick auf die grünen, überhängenden Bäume, die gebeugt waren von der Last ihres Laubes und funkelten mit den Tropfenkügelchen des Morgenregens. Er ließ die Augen bedauernd durch die zwei geräumigen Zimmer wandern, durch seine Luxusveranda, über die unverstellte Aussicht. Jedesmal, wenn er hier fortging, war es, als sei dies das letztemal. Einen Augenblick lang, nun, da alles praktisch verloren sein mochte, genoß Quellen beinahe das Summen der Fliegen. Er saugte einen letzten, alles erfassenden Blick in sich hinein und trat auf den Stat zu. Das purpurrote Feld hüllte ihn ein. Er wurde in die Maschine gesogen.

Quellen wurde verschlungen. Die verborgenen Energiegeneratoren des Stats waren in direkter Leitung mit dem Hauptgenerator verbunden, der sich am Boden des Atlantiks endlos um seine Pole drehte und die Thetakraft verdichtete, die Stat-Fortbewegung ermöglichte. Was war Thetakraft? Quellen konnte es nicht sagen. Er konnte kaum die Elektrizität erklären, die es schon viel länger gab. Er hielt sie für selbstverständlich und überließ sich dem Statfeld. Hätte jemand eine kleine Abszissenverzerrung eingeführt, Quellens Atome wären ins All gesendet und nie mehr zusammengesetzt worden. Aber niemand dachte an solche Dinge.

Die Wirkung war eine augenblickliche. Die schlanke, schlaksige Gestalt Quellens wurde zerfetzt, ein Strom von Indikator-Partikeln wurde um den halben Planeten geleitet, und Quellen wurde wieder zusammengesetzt. Es geschah so schnell — im Bruchteil einer Nanosekunde Molekül von Molekül gerissen —, daß sein Nervensystem den Schmerz totaler Auflösung nicht zu erfassen vermochte. Die Wiederherstellung zum Leben geschah ebenso schnell.

Man dachte nicht nach über die Realitäten der Statreisen. Man begab sich einfach auf die Reise. Anders zu handeln, hieß, das Elend herbeizurufen.

Quellen tauchte in der winzigen Wohnung für Bürger von Appalachia auf, die er nach jedermanns Ansicht bewohnte. Einige Mitteilungen erwarteten ihn. Er warf einen Blick darauf: in der Hauptsache Werbeeinblendungen. Ein Vermerk machte ihn aber darauf aufmerksam, daß seine Schwester Helaine zu Besuch gekommen war. Quellen spürte einen Stich von Schuldbewußtsein. Helaine und ihr Mann waren Prole — Proleten, von den grimmigen Realitäten niedergewalzt. Er hatte sich oft gewünscht, etwas für sie tun zu können, da ihr Elend seinem eigenen Gewissen scharfe Krallen verlieh. Aber was konnte er tun? Er zog es vor, sich nicht einzumischen.

Mit einer Reihe rascher Bewegungen schlüpfte er aus seiner Freizeitkleidung und in seine gestärkte Arbeitsuniform, dann entfernte er die Anzeige ›Nicht stören‹ von der Tür. So wandelte er sich aus Joe Quellen, Besitzer eines illegalen Privatnestes mitten in einem nicht gemeldeten Reservat in Afrika, um in Joseph Quellen, KrimSek, entschlossener Verteidiger von Recht und Ordnung. Er verließ das Haus. Der Lift kippte ihn endlose Etagen zum Schnellboot-Landeplatz im zehnten Stockwerk. Statübertragung innerhalb einer Stadt war technisch nicht möglich; um so bedauerlicher, dachte Quellen.

Ein Schnellboot glitt auf seine Rampe. Quellen schloß sich dem Gedränge an. Er spürte das Energiedröhnen, als das Boot hinausglitt. In dumpfem Angstschmerz begab Quellen sich in die Innenstadt zu Koll.

Das Gebäude des Sekretariats Verbrechen, kurz KrimSek genannt, galt als architektonisches Meisterwerk, wie man Quellen erzählt hatte. Achtzig Stockwerke, darüber Stacheltürme; die blutroten Vorhangwände waren in ihrer Beschaffenheit grob und sandig, so daß sie, wenn beleuchtet, wie Rundfeuer leuchteten. Das Gebäude hatte Wurzeln; Quellen hatte nie in Erfahrung gebracht, wie viele Untergeschosse es gab, und er vermutete, daß niemand es wirklich wußte, mit Ausnahme von bestimmten Mitgliedern der Hohen Regierung. Ganz gewiß gab es da unten zwanzig Etagen Computer und darunter eine Gruft für Totenlagerung und noch tiefer weitere acht Etagen Verhörräume. Soviel wußte Quellen genau. Manche behaupteten, es gäbe noch einen Computer, vierzig Etagen dick, unter den Verhörräumen, und andere sagten, das sei der wahre Computer, während der darüber nur zur Dekoration und Tarnung diene.

Vielleicht. Quellen versuchte nicht, in solche Dinge zu tief einzudringen. Die Hohe Regierung mochte, was ihn anging, in eben diesem Gebäude hundert Stockwerke unter der Straße zu geheimen Sitzungen zusammentreten. Er hielt seine Neugier im Zaum. Er wollte die Neugier anderer nicht auf sich lenken, und dazu mußte er seine eigene einschränken.

Büroangestellte nickten Quellen respektvoll zu, als er zwischen ihren dichtgedrängten Reihen dahinging. Er lächelte. Er konnte es sich leisten, freundlich zu sein; hier besaß er Rang, das Mana von Stufe Sieben. Sie waren Vierzehner, Fünfzehner, der Junge, der den Abfallkorb leerte, vermutlich ein Zwanziger. Für sie war er eine erhabene Gestalt, praktisch ein Vertrauter von Personen der Hohen Regierung, ein persönlicher Mitarbeiter von Danton und Kloofman gar. Alles eine Frage des Blickwinkels, dachte Quellen. In Wahrheit hatte er Danton — oder jemanden, der angeblich Danton war — nur einmal kurz erspäht. Er hatte eigentlich keinen Anlaß zu der Vermutung, daß es Kloofman wirklich gab, obwohl dem so sein mochte.

Quellen umklammerte mit der Hand fest den Türknopf und wartete die Abtastung ab. Die Tür des inneren Büros ging auf. Er trat ein und fand unwirsche Personen über Schreibtische gekauert. Der kleine, scharfblickende Martin Koll, aussehend wie ein großes Nagetier, saß der Tür gegenüber und blätterte in einem Stapel Minizettel. Lein Spanner, Quellens zweiter Chef, saß ihm am schimmernden Tisch gegenüber, den mächtigen Stiernacken über andere Mitteilungen gebeugt. Als Quellen ins Zimmer kam, griff Koll mit einer raschen, nervösen Bewegung zur Wand und klappte den Belüftungsschacht auf, so daß die Zufuhr für drei Personen reichte.