Er fand Mortensen mühelos: ein schlanker, blonder Mann von achtundzwanzig Jahren mit hellblauen Augen und so weißen Brauen, daß sie praktisch unsichtbar waren. Brogg streifte ihn an einer Schnellboot-Rampe und konnte dem Mann ein Ohr an den Körper praktizieren, indem er den winzigen Haken des Transpondersystems unauffällig in Mortensens Haut stieß. Brogg benützte ein Splittermodell und schob es in eine Schwiele an Mortensens Handfläche. Der Mann würde nie etwas spüren. In einigen Tagen würde sich das Gerät auflösen, aber bis dahin endlose Informationen übermitteln. Brogg war Fachmann in diesen Dingen.
Er peilte sich auf Mortensen ein und zeichnete auf, was dieser trieb.
Der Mann hatte mit einer Person namens Lanoy zu tun. Brogg hörte Dinge wie:
»— an der Station mit Lanoy am Sprungtag —«
»— Lanoys Honorar deponiert —«
»— sagen Sie Lanoy, daß ich in der ersten Maiwoche gehe —«
»— ja, am See, wo wir uns das letztemal getroffen haben —«
Mortensen war verheiratet. Stufe Zehn. Mochte seine Frau nicht. Springen führt zu sofortiger Scheidung, dachte Brogg belustigt. Das Ohr übertrug Sidna Mortensens schrille Klagen, und er mußte zugeben, daß Mortensen wirklich gut daran tat, zu springen. Brogg sammelte ausführliche Daten über den künftigen Springer.
Dann kam die Entscheidung von Kloofman über Giacomin über Koll zu Quellen und damit zu Brogg:
»Lassen Sie Mortensen in Ruhe! Es darf nicht eingegriffen werden! Das ist die Entscheidung!«
Brogg sah Quellen fragend an.
»Was soll ich tun? Wir erfahren viel von Mortensen.«
»Brechen Sie die Ermittlungen ab.«
»Wir könnten versuchen, sie insgeheim weiterzuführen«, schlug Brogg vor. »Solange Mortensen nichts merkt, könnten wir weiter Daten über ihn erhalten. Ich schlage nicht vor, seine Abreise zu verhindern, aber bis —«
»Nein.«
Feigling, dachte Brogg. Hast Angst, daß die Hohe Regierung es dir besorgt.
In einem anarchistischen Augenblick sah Brogg sich, wie er Donald Mortensen bewußt tötete, dreist gegen die Hohe Regierung handelnd, möglicherweise alles zerstörend wie Samson, als er die Schultern an die Säulen des Tempels stemmte. Es hätte Brogg belustigt, wenn er erfahren hätte, daß der angeblich so schüchterne Quellen denselben rebellischen Gedanken gehabt hatte. Es lag ungeheure Macht in dem Wissen, daß ein kleiner Eingriff eines kleinen Beamten die Sicherheit der Hohen Regierung zu bedrohen vermochte. Aber Brogg gab dem Impuls so wenig nach wie Quellen. Er brach die Ermittlungen gehorsam ab. Mortensen würde am 4. Mai in die Vergangenheit verschwinden, und das Kontinuum würde erhalten bleiben.
Immerhin hatte Brogg eine neue Spur zu Lanoy.
Sie war an diesem Tag aufgetaucht. Ein Prolet namens Brand, Stufe Fünfzehn, hatte in einer gewöhnlichen Kneipe zuviel getrunken. Leeward, der sich dort erfrischte, hatte zugehört, wie Brand von Lanoy und seinem Springerunternehrnen gefaselt hatte. Ohne die Mitwirkung der modernen Technologie hatte Leeward so einen entscheidenden Hinweis entdeckt und ihn zu Brogg gebracht.
»Holen wir Brand zum Verhör«, sagte Brogg, als er hörte, was Leeward ermittelt hatte. »Bringen Sie ihn her. Nein — warten Sie. Ich hole ihn. Sie bleiben im Büro.«
Brogg ging auf Erkundung. Er sah sich die Kneipe an, entdeckte Brand, erwog das Unwägbare. Nach einigem Zögern holte er Brand aus der Herde heraus, gab sich als Staatsdiener zu erkennen und nahm ihn zu einem Verhör fest. Brand wirkte erschrocken.
»Ich hab’ nie nichts getan«, sagte er. »Ich hab’ nie nichts getan.«
»Ihnen passiert nichts«, versprach Brogg. »Wir wollen Sie nur befragen.«
Er nahm Brand mit. Als er mit dem Proleten zusammen das Sekretariat erreichte, erfuhr Brogg, daß Quellen eine neue Anweisung erlassen hatte.
»Er will ein Ohr bei seinem Schwager«, sagte Leeward.
Brogg grinste.
»Vetternwirtschaft sogar bei Ermittlungen in Strafsachen? Schämt sich der Mann denn gar nicht?«
»Das kann ich nicht beantworten«, erwiderte Leeward schwerfällig. »Aber er sagt, der Schwager erwägt, zu springen. Er will das überprüfen lassen. Der Kerl soll mit einem Ohr rund um die Uhr überwacht werden. Norman Pomrath heißt er. Ich habe die Daten über ihn schon.«
»Gut. Wir kümmern uns sofort um Pomrath.«
»Pomrath soll mit Lanoy in Verbindung stehen, sagte Quellen.«
»Das scheint für jeden zuzutreffen. Sogar Quellen ist angegangen worden. Wußten Sie das?« Brogg lachte. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihm zu sagen, daß auch Mortensen mit Lanoy im Geschäft war, aber ich bezweifle, daß ihn das überraschen wird. Und dieser Prolet, dieser Brand, den Sie gefunden haben — das ist noch eine Spur zu Lanoy. Wir werden einen von ihnen in einem oder zwei Tagen ganz sicher zur Quelle zurückverfolgt haben.«
»Soll ich bei Pomrath das Ohr anbringen?« fragte Leeward.
»Das mache ich. Ich habe ein Talent dafür. Das müssen Sie zugeben.«
So war es auch. Für jemanden von seinem Gewicht konnte er sich leichtfüßig bewegen. So unauffällig wie irgendein guter Frotteur vermochte er sich einem Opfer in einem Schnellboot zu nähern und an einer unvermuteten Stelle geschickt ein Ohr anzubringen. Das Talent war ihm nützlich gewesen, als er Quellen bespitzelt hatte; bei Mortensen war er ebenso geschickt vorgegangen. Nun Pomrath. Brogg ging ins Labor hinunter und suchte nach dem modernsten Gerät, das zur Verfügung stand.
»Hier ist etwas Schönes«, sagte der Labortechniker stolz. »Wir sind eben damit fertig geworden. Es ist uns gelungen, die Ohrtechnologie auf ein Substrat von pseudolebendigem Glas zu übertragen, und das Ergebnis ist einzigartig. Sehen Sie.«
Brogg hielt ihm die Hand hin. Der Techniker legte ein winziges metallisches Sendeplättchen darauf, nur einige Moleküle dick, gänzlich unsichtbar, aber in einem schimmernden, kleinen Kügelchen aus grünem Kunststoff eingeschlossen.
»Wie funktioniert das?« fragte Brogg.
»Normal funktioniert es als Ohr. Aber die Glasnadel hat eine ganz ungewöhnliche Lebens-Reizbewegung. Sobald das Ohr an den Körper des Empfängers gebracht ist, tritt das Glas in Aktion und bohrt sich durch die Haut, zumeist durch die Poren. Es ist eine Art künstlicher Parasit, wissen Sie. Es gelangt hinein und bleibt dort, wo es von jemandem, der sich häufig kratzt, auf keinen Fall entfernt werden kann. Und es sendet auf Dauer. Man muß einen chirurgischen Eingriff vornehmen, um den Informationsfluß abzuschneiden.«
Brogg war beeindruckt. Es gab natürliche viele Modelle von Ohren für den inneren Gebrauch, aber sie mußten alle durch eine der Körperöffnungen des Opfers eingebracht werden, mit gewissen voraussehbaren Schwierigkeiten für den Agenten. Die übliche Methode bestand darin, es ins Essen des Opfers zu schmuggeln. Da aber die meisten Menschen zögerten, vor Fremden zu essen, erforderte das komplizierte Planung. Außerdem wurde das Ohr ziemlich rasch verdaut oder ausgeschieden. Es gab natürlich andere Körperöffnungen, und Brogg hatte bei Gelegenheit Ohren in Frauen placiert, die in einem pulsierenden Augenblick ekstatischer Leidenschaft nicht auf der Hut waren. Doch das war mühselig. Dieses Gerät hier war unendlich besser. Das Ohr konnte äußerlich angebracht werden und gelangte von selbst in den Körper. Ja. Brogg gefiel das.
Er brachte eine Stunde damit zu, den Gebrauch des neuen Modells zu erlernen. Dann suchte er Norm Pomrath.
Der Televektor-Abtaster fand Pomrath schnell für ihn: Im Zentralen Arbeitsregister, wo er zweifellos in der gewohnten Proletenstimmung völliger Verzweiflung die Stellungsmaschine drückte. Brogg zog eine abgewetzte Proletentunika an, die geeignet für eine Umgebung von Stufe Zwölf war, und machte sich auf den Weg zum Kuppelbau der Stellungsmaschine.