»Ich bin Brose Cashdan«, sagte der Mann. Er hatte eine tiefe, herrische Stimme. Quellen konnte sich vorstellen, daß dieser Mann den ganzen Tag knapp und klar Entscheidungen traf und sich kaum die Mühe machte, eine Empfehlung von der Hohen Regierung einzuholen.
»Joseph Quellen. Ich wurde eingeladen von —«
»Judith da Silva. Gewiß. Judith ist schon da. Willkommen, Mr. Quellen. Wir sind geehrt, daß Sie sich uns anschließen. Kommen Sie, kommen Sie.«
Es gelang Cashdan, gleichzeitig einschmeichelnd und herrisch zu wirken. Er führte Quellen in einen anderen Raum von sieben Metern Länge und mindestens zehn Metern Breite. Von Wand zu Wand war der Raum mit einem Bodenbelag aus grauem Schaumstoff ausgelegt, der möglicherweise ein Maß an Pseudoleben besaß. In diesem Palast gab es gewiß nichts Karges oder Farbloses.
Acht oder neun Personen saßen in der Mitte des Raumes beieinander auf dem Boden. Judith war dabei. Zu Quellens Überraschung hatte Judith es nicht für angemessen gehalten, sich auf die armselige, zurückhaltende Weise zu kleiden, die von den meisten Kommunikanten dieser Sekte bevorzugt wurde. Offenbar hatte diese Oberklassen-Versammlung andere Maßstäbe. Judith trug ein höchst unanständiges Aufsprühkleid, blau mit grünen Untertönen. Ein Streifen Stoff zog sich zwischen ihren Brüsten hindurch, die sonst nackt waren, und wand sich um ihre Hüften und Lenden. Ihre Nacktheit war mehr oder weniger bedeckt, aber da die Hülle nicht mehr war als Farbe, hätte sie ebensogut nackt kommen können. Quellen hatte gehört, daß solche Extremmoden nur in hochfeinen Kreisen zulässig waren, wo niemand unter Stufe Sechs teilnahm. Für Judith, Stufe Sieben, war es also ein wenig vorwitzig, so zu erscheinen. Quellen spürte, daß er und Judith wohl die einzigen Siebener im Raum sein mochten. Er lächelte Judith an. Sie hatte kleine Brüste, die Art, die jetzt begehrt war, und lenkte die Aufmerksamkeit dadurch auf sich, daß sie die Brustwarzen gefärbt hatte.
Neben ihr saß ein korpulenter, praktisch halsloser Mann mit gestutztem, blaugefärbtem Vollbart, feuchten Lippen und gelassenem Gesichtsausdruck. Neben sich hatte er eine zweite Frau, etwas älter als Judith, die ein Aufsprühkleid trug, das nicht viel züchtiger war als das ihre. Bei Judith sah das gut aus, aber nicht bei dieser Frau, die unmoderne pralle Brüste und dicke Oberschenkel hatte. Sie lächelte Quellen affektiert an, während er unhöflich auf ihren geschmacklos entblößten Körper starrte.
Die anderen Teilnehmer wirkten wohlhabend und ernsthaft intellektuell — in der Hauptsache Männer, die meisten ein wenig weibisch, alle gut gekleidet und offenkundig von hohem Rang. Judith stand auf und übernahm die Vorstellung. Quellen ließ die meisten der Namen an sich vorüberziehen, ohne sie zu beachten. Der halslose Mann mit dem blauen Bart war, wie er erfuhr, Dr. Richard Galuber, Judiths Freudel. Die beleibte Dame war Mrs. Galuber. Interessant. Quellen hatte nicht gewußt, daß der Freudel verheiratet war. Er hatte infolge einer von Scham diktierten umgekehrten Übertragung lange den Verdacht gehabt, Judith sei Galubers Geliebte. Das mochte sein, aber würde Galuber bei einer solchen Versammlung Ehefrau und Geliebte zusammenführen? Quellen konnte es nicht entscheiden. Freudel waren in ihren Motivationen oft sehr ungewöhnlich, und was Quellen anging, mochte Galuber bei seiner Ehefrau therapeutisch etwas bewegen wollen, indem er sie mitgenommen hatte.
Außerhalb der Gruppe sagte Judith: »Ich bin so froh, daß du gekommen bist, Joe. Ich hatte schon befürchtet, du wolltest dich aus der Affäre ziehen.«
»Ich hatte doch versprochen, daß ich komme, oder?«
»Ja, ich weiß. Du hast aber eine Neigung, vor möglicherweise feindseligen Erlebnissen in der Gemeinschaft zurückzuweichen.«
Quellen ärgerte sich.
»Du fängst schon wieder an, mich zu freudeln. Hör auf damit, Judith. Ich bin gekommen, nicht wahr?«
»Natürlich.« Ihr Lächeln wirkte plötzlich herzlich. »Ich freue mich sehr. Ich wollte dich nicht angreifen. Komm, ich mach’ dich mit Doktor Galuber bekannt.«
»Muß das sein?«
Sie lachte.
»Wie gesagt, du hast eine Neigung, dich vor möglicherweise —«
»Gut, gut. Führ mich hin.«
Sie gingen durch das Zimmer. Quellen war durch Judiths Nacktheit aus der Fassung gebracht. Ein polymerisierter Farbstreifen war eigentlich keine Kleidung. Er konnte unter dem dunklen Blau ihre Gesäßbacken unterscheiden. Sie wirkte entblößter als bei völliger Nacktheit. Die Wirkung war herausfordernd und beunruhigend. Ihr schlanker, fast knochiger Körper reizte ihn auf fast unerträgliche Weise, besonders im Rahmen dieser Umgebung. Auf der anderen Seite war Mrs. Galuber praktisch genauso entblößt, aber Quellen hätte ihr am liebsten eine Decke über die Schultern geworfen, um das Schandbare zu verdecken.
Der Freudel sah Quellen freudelhaft an.
»Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Mr. Quellen. Ich habe viel von Ihnen gehört.«
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Quellen nervös. Es enttäuschte ihn, daß Galuber trotz seines vielversprechend teutonischen Namens nicht den rituellen mitteleuropäischen Akzent nachahmte, den die meisten Freudels annahmen. »Ich wußte nicht, daß Männer in Ihrem Beruf solchen Sekten angehören.«
»Wir nehmen spirituelle Erlebnisse jeder Art auf«, erklärte Galuber. »Gibt es irgendeinen Grund, weshalb wir sie zurückweisen sollten?«
»Eigentlich nicht.«
Der Freudel wies mit einer Kinnbewegung auf seine Frau.
»Jennifer und ich gehören schon seit über einem Jahr einer Gemeinschaftserbrech-Gruppe an. Das hat uns bemerkenswerte Einsichten gebracht, nicht wahr, Liebste?«
Mrs. Galuber lächelte wieder einfältig. Sie beäugte Quellen auf so unverhohlen sexuelle Weise, daß ihn ein Stich durchzuckte.
»Es war außerordentlich aufschlußreich«, bestätigte sie. Sie hatte eine warme, tiefe Stimme. »Jede Art zwischenmenschlicher Beziehung ist günstig, finden Sie nicht? Soll heißen, wir erreichen Kathexis auf jene Art, die unseren Bedürfnissen am besten entspricht.« Jennifer Galubers üppiges Fleisch schwabbelte, als sie jovial lachte. Quellen ertappte sich dabei, daß er die häßlichen, hochgereckten Wölbungen ihrer nackten Brüste anstarrte, und er wandte schuldbewußt und angewidert den Blick ab. Die Galubers müssen eine sehr seltsame Ehe führen, dachte er. Doch ich lasse mich von der fetten Hexe nicht für ein Zwischenspielchen entführen. Galuber mag mit Judith schlafen, aber es bringt mir nichts ein, wenn ich dafür mit seiner Frau ins Bett gehe, weil die Rollen nicht gleich sind.
»Ich dränge Doktor Galuber schon seit Monaten, zu einer unserer Zusammenkünfte zu kommen«, sagte Judith. »Aber er hat sich immer gewehrt. Er meinte, bis er und ich bei meiner Behandlung das richtige Stadium erreicht haben, könne er sich auf eine solch intime Ebene nicht begeben.«
»Es geht natürlich um mehr«, sagte der Freudel wohlwollend. »Wie immer. In diesem Fall ging es darum, der Gruppe das Handikap meiner Frau aufzuerlegen, was besondere Vorbereitungen verlangt. Jennifer ist eine Mutantin mit Galaktosemangel. Sie muß sich galaktosefrei ernähren.«
»Aha«, sagte Quellen verständnislos.
»Ein genetischer Zufall«, fuhr Galuber fort. »Sie kann überhaupt keine Galaktose verarbeiten, weil ein Enzymdefizit vorliegt. Galaktosevorboten würden sich anstauen, und es käme zu Zellschädigungen. Sie mußte also von Geburt an galaktosefrei essen, aber das führt zu anderen Problemen. Wegen dem Enzymdefizit kann sie Galaktose nicht aus inneren Kohlehydraten abspalten, was unbehandelt zu einer Verdrängung von Galaktolipiden durch Glukolipide im Hirn führen würde, zu einem stark geschädigten Blutbild, zu schlechter Immunreaktion bei Organverpflanzungen, zu abnormer Hirnentwicklung — ach, in vieler Beziehung ein großes Problem.«
»Ist das heilbar?« fragte Quellen.