»Nicht im Sinne einer Vollremission. Aber man kann es in Schach halten. Erbliche Schäden am Galaktosemetabolismus können durch Enzymsynthese beherrscht werden. Trotzdem muß sie eine Spezialdiät einhalten und bestimmte Substanzen meiden, darunter diejenige, die heute abend bei der Zeremonie eine Hauptrolle spielt. Deshalb mußten wir unser eigenes vorbereitetes Material mitbringen. Für den Gastgeber lästig.«
»Durchaus nicht, durchaus nicht«, dröhnte Brose Cashdan unerwartet. »Nebensache! Wir freuen uns sehr, daß Sie kommen konnten, Mrs. Galuber!«
Quellen, verwirrt durch Galubers Strom von klinischem Jargon, war erleichtert, als Cashdan verkündete, die Zeremonie werde gleich beginnen. Der Freudel hat mir sein ganzes Gefasel aufgetischt, um seine geistige Überlegenheit zu bekunden, dachte Quellen gereizt. Statt den Jargon seines eigenen Berufs von sich zu geben, der leicht zu parieren war, wenn man sich mit Cocktailparty-Freudelismus auskannte, hatte Galuber es vorgezogen, Quellen mit einem Schwall unergründlicher Fremdwörter medizinischer Art zu überschütten. Quellen verfluchte im stillen Jennifer Galubers Enzymdefizit, ihre wollüstigen Blicke, ihre Galaktolipide-Stauung und ihre wippenden Brüste. Er entfernte sich und folgte Judith durch den Raum zu der mit einem Teppich ausgelegten Vertiefung in der Mitte, wo die Zeremonie stattfinden sollte.
Judith sagte warnend: »Joe, bitte, zieh dich nicht zurück, wie du es das letztemal getan hast. Du mußt lernen, dich von Stammesreaktionen zu befreien. Betrachte die Dinge objektiv. Was macht es, ein wenig Speichel zu vermischen?«
»Nichts«, sagte er. »Nehme ich an.«
»Und Verdauungssäfte — sie können dir nicht schaden. Das dient alles der geistigen Kommunion. Du darfst die Dinge nicht auf veraltete Art betrachten.«
»Bringst du so den Nerv auf, nackt zu einer Gesellschaft zu gehen?« fragte er. »Indem du die Dinge auf nicht-veraltete Art betrachtest?«
»Ich bin nicht nackt«, sagte sie spröde.
»Nein. Du trägst einen Farbüberzug.«
»Er verbirgt, was zu verbergen uns die Gesellschaft gebietet.«
»Er läßt deine sekundären Geschlechtsmerkmale frei«, betonte Quellen. »Das ist ziemlich nackt.«
»Aber nicht die primären. Sieh selbst. Ich bin dort völlig bedeckt, halte mich also durchaus in der Norm. Warum siehst du mich nicht an? Du kannst manchmal so absurd sein, Joe.«
Da sie darauf bestand, starrte er auf ihre Taille. Seine Augen glitten bis zu ihren Oberschenkeln hinunter. Er mußte es zugeben, dort war sie züchtig bekleidet. Sie sah nackt aus, war es aber nicht. Raffiniert, dachte er. Aufreizend. Er fragte sich, wie sie das Aufsprühkleid wieder wegbekam. Vielleicht würde sie ihm auch das zeigen, bis die Nacht um war. Ihr schmaler Körper übte einen überaus starken Reiz auf ihn aus. Im Gegensatz zu Helaine, deren Schlankheit die Folge von Verfall und allgemeiner Hagerkeit war, besaß Judiths Körper in seiner biegsamen, schlanken Eleganz Vollkommenheit. Quellen wäre nur zu gern sofort mit ihr weggegangen.
Aber erst mußte die Zeremonie erduldet werden.
Die Mitglieder dieser Kommunionsgruppe versammelten sich am Rand der Vertiefung. Brose Cashdan brachte als Gastgeber eine funkelnde Metallschüssel, in der eine teigige Masse von der ungefähren Größe eines Menschenkopfes lag. Das war die Substanz des Liebesmahles, wie Quellen wußte: ein unverdauliches Algenprodukt mit Brechreiz erregenden Eigenschaften. Ohne Zweifel auf Mrs. Galubers Galaktosedefizit abgestellt.
Cashdan sagte: »Doktor Galuber hat sich freundlicherweise bereit erklärt, heute abend unser erster Zelebrant zu sein.«
Die Beleuchtung dämpfte sich. Galuber nahm von Cashdan die schimmernde Schüssel entgegen und stellte sie auf seine Knie. Dann riß er feierlich ein faustgroßes Stück des Teigs ab und stopfte es sich in den Mund. Er begann zu kauen.
Es gab viele Sekten. Es war nicht Quellens Art, irgendwo einzutreten, aber selbst er war hier und da in ihre Zeremonien hineingezogen worden, in der Hauptsache auf Judiths Drängen hin. Sie kam auf ihrer Suche nach spiritueller Erfüllung überall hin — von Freudel zu Freudel, von Sekte zu Sekte. Quellen vermutete, daß sie auch bei den verbotenen Sekten gewesen war, vielleicht sogar bei der geächteten Flammen-Bess-Religion. Er konnte sich vorstellen, wie Judith nackt tanzte — kein Aufsprühkleid mehr, um ihre Scham zu bedecken —, während ein sabbernder Pyromane einen außersinnlichen Brand erzeugte und tobende Stimmen den Umsturz der Hohen Regierung forderten. Vor einer Generation hatten Pyromanen sogar mehrere Führer Stufe Eins durch Attentate getötet. Die Sekte bestand immer noch.
Aber in der Hauptsache waren die Sekten harmloser — abstoßend, ja, aber nicht verbrecherisch. Wie diese hier, wo Wiedergekäutes auf irgendeine Weise zu einem Gefühl zwischenpersönlicher Harmonie führte. Cashdan leierte irgendeine Digestivlitanei herunter. Galuber stopfte immer noch elastischen Teig in den Mund. Wieviel konnte dieser dicke Bauch aufnehmen? Jennifer beobachtete ihren Mann voll Stolz. Der Freudel schlang weiter. Sein Gesicht war verwandelt, die Augen sahen praktisch nichts. Jennifer leuchtete. Ihr nackter Körper wirkte noch riesiger, während sie sich in der Bedeutung ihres Mannes sonnte.
Sie sangen jetzt alle. Sogar Judith. Leise, ernsthafte Laute der Spiritualität ertönten.
Sie stieß ihn an.
»Du auch«, flüsterte sie.
»Ich kenne den Text nicht.«
»Dann summ einfach mit.«
Er zuckte die Achseln. Galuber hatte fast den ganzen Teig in sich hineingeschlungen. Sein Magen mußte schmerzhaft geweitet sein. Das Zeug war wie Gummi. Das Brechmittel darin wirkte auf der Grundlage kritischer Masse; sobald man genug von dem Stoff im Bauch hatte, wurde der Peristaltikreflex ausgelöst, und das geheiligte Erbrechen begann.
Judith neben Quellen flehte, in die Reiche des Einsseins aufgenommen zu werden. Nirwana durch Kotzen, dachte Quellen kalt. Wie konnte das sein? Was mache ich hier? Der Gesang hallte von den Glaswänden wieder und betäubte ihn. In subtilem Wechselgesang kreisten Lautströme durch das Zimmer. Er konnte nicht verhindern, daß er im Rhythmus mitschwankte.
Seine Lippen bewegten sich. Er wäre eingefallen, wenn er den Text gekannt hätte. Er ertappte sich dabei, daß er wortlos summte. Cashdan, der immer noch die Leitung hatte, wurde lauter. Seine Stimme war ein schöner, starker, schwarz er Baß von großer Ausdruckskraft.
Galuber saß regungslos in der Mitte der Vertiefung. Seine Augen waren geschlossen, die Hände auf dem Bauch gefaltet. Sein Gesicht war gerötet. Er allein war inmitten dieser schwankenden, singenden Gemeinde regungslos. Quellen zwang sich dazu, abseits zu bleiben und zu beobachten. Er sah das rhythmische Schaukeln von Jennifer Galubers anstößig großen Brüsten. Er sah, wie Judiths feingeschnittenes Gesicht aus einer inneren Ekstase heraus erstrahlte. Ein geschlechtsloser junger Mann mit glatten, kastanienbraunen Haaren zuckte, als halte er ein Starkstromkabel in der Hand. Im ganzen Zimmer begann sich die rätselhafte Leidenschaft des Gemeinschaftserbrechens durchzusetzen.
Dr. Galuber begann sich zu übergeben.
Der Freudel erbrach sich mit stiller Würde. Seine dicken Lippen öffneten sich, und Teigklumpen stürzten in die Schüssel. Sein rotes Gesicht war schweißbedeckt; jede Art von rückläufiger Peristaltik erforderte Anstrengung, selbst wenn die Medulla wie hier durch die Droge im Teig betäubt war. Trotzdem erfüllte Galuber seine Funktion im Ritus vornehm. Die Schüssel war voll.
Sie wurde herumgereicht.
Hände griffen nach feuchtem Teig. Nimm und iß, nimm und iß; das ist der Leib, die wahre Substanz der Gruppe. Nimm teil am Einssein. Brose Cashdan aß. Jennifer Galuber aß. Judith ließ sich friedvoll ihren Anteil geben. Quellen entdeckte in seiner Hand eine feuchte, teigige Masse.
Nimm. Iß.
Sei objektiv. Das ist Einssein. Seine Hand hob sich zitternd zum Mund. Er spürte Judiths warmen Schenkel an dem seinen. Nimm und iß. Nimm und iß. Galuber lag ausgestreckt in der Vertiefung, außer sich vor Ekstase.