Quellen aß.
Er kaute eifrig und gestattete sich kein Zögern. Die besondere Eigenschaft der unverdaulichen Substanz bestand darin, daß sie bei Berührung mit Speichel nach Eingang in den Verdauungskanal verdaut werden konnte. Einmal schlucken genügte nicht; Galuber hatte sie für ihre Aufnahme nur vorbereitet. Quellen schluckte. Seltsamerweise wurde ihm nicht übel. Er hatte schon Ameisen, rohe Schnecken, Seepferdchen und andere exotische Delikatessen gegessen und dabei keine Aussicht auf ein spirituelles Erlebnis gehabt. Warum hier zögern?
Die anderen Kommunikanten weinten vor Freude. Auf Judiths Aufsprühkleid glänzten Tränen. Quellen stand dem Universum noch immer bejammernswert objektiv gegenüber. Er hatte an der mystischen Kommunion also doch nicht teilgenommen, trotz der pflichteifrigen Beteiligung am Ritus. Er wartete geduldig darauf, daß bei den anderen die Ekstase abflaute.
Judith flüsterte ihm zu. »Willst du die nächste Runde feiern?«
»Keineswegs.«
»Joe —«
»Bitte. Ich bin gekommen, ja? Ich nehme teil. Verlang nicht, daß ich als Star auftrete.«
»Es ist üblich, daß Fremde in der Gruppe —«
»Ich weiß. Nicht bei mir. Jemand anderer kann die Ehre haben.«
Sie sah ihn vorwurfsvoll an. Quellen begriff, daß er bei ihr versagt hatte. Der heutige Abend war eine Art Probe gewesen, und er hatte sie beinahe bestanden. Beinahe.
Brose Cashdan hatte eine zweite Menge Ritualteig gebracht. Wortlos griff Jennifer Galuber nach der Schüssel und begann sich vollzustopfen. Der Freudel, erschöpft durch seine Anstrengungen, saß zusammengesunken neben ihr und sah kaum hin. Der Ritus lief ab wie der erste. Quellen nahm teil wie vorher, ohne je wirklich beteiligt zu sein.
Hinterher kam Brose Cashdan zu Quellen und sagte leise:
»Möchten Sie bei unserer nächsten Kommunion vorangehen?«
»Bedaure«, sagte Quellen. »Ich kann wirklich nicht. Ich muß bald gehen.«
»Das tut mir leid. Wir hatten gehofft, Sie würden voll und ganz teilnehmen.« Cashdan lächelte verträumt und gab die Schüssel an eine andere Person weiter.
Quellen zerrte an Judiths Handgelenk und zog sie beiseite.
»Komm mit mir nach Hause«, flüsterte er drängend.
»Wie kannst du hier an Sex denken?«
»Du bist nicht gerade züchtig bekleidet, weißt du. Du hast zwei Kommunionen gehabt. Gehst du mit mir?«
»Nein«, sagte sie entschieden.
»Wenn ich warte, bis die nächste Kommunion vorbei ist?«
»Nein. Auch dann nicht. Du mußt die Kommunion selbst nehmen, als Zelebrant, und es ernst meinen. Sonst würde ich mich dir später nicht verbunden fühlen. Im Ernst, Joe, wie kann ich mich einem Mann hingeben, mit dem ich nichts gemein habe? Das wäre völlig mechanisch und würde uns beiden schaden.«
Ihre Nacktheit, die keine war, versetzte ihm einen Stich. Er konnte es nicht ertragen, auf ihren reizvoll schlanken Körper zu blicken. Gequält sagte er: »Tu mir das nicht an, Judith. Sei fair. Gehen wir.«
Statt einer Antwort wandte sie sich ab und schloß sich den anderen an. Die dritte Kommunion sollte beginnen. Cashdan sah einladend Quellen an, der den Kopf schüttelte und rasch das Zimmer verließ. Draußen blickte er durch die Glaswand hinein und sah Judith mit zurückgelegtem Kopf und verzückt geöffneten Lippen. Die Galubers wirkten ebenso ekstatisch. Das Bild von Jennifer Galubers fettem Körper brannte sich unauslöschlich in Quellens Gehirn ein. Er floh.
Er war bald nach Mitternacht zu Hause, aber seine Wohnung bot keinen Trost. Er mußte fort von hier. Verwegen trat er in das Statfeld und ließ sich nach Afrika schleudern.
Dort war Morgen. Ein leichter, nebelartiger Regen fiel, aber der goldene Glanz der Sonne durchbohrte den grauen Dunst.
Die Krokodile waren, wo sie immer waren. Ein Vogel kreischte. Die dichtbelaubten Äste, schwer vom Regen, sanken auf die satte, nasse, schwarze Erde herab. Quellen versuchte sich vom Frieden gefangennehmen zu lassen. Er zog die Schuhe aus und ging zum Fluß hinunter. Der Schlamm quoll schwelgerisch zwischen seinen Zehen hindurch. Ein kleines Insekt stach ihn in die Wade. Ein Frosch sprang in den Fluß und hinterließ auf dem schwarzen Wasser einen Kreis von wandernden konzentrischen Ringen. Ein Krokodil öffnete träge ein schimmerndes Auge. Die duftende, schwere Luft strömte in Quellens Lunge.
Er fand in nichts Behaglichkeit.
Dieser Ort gehörte ihm, aber er hatte ihn sich nicht verdient. Er hatte ihn gestohlen. Er konnte hier keinen wahren Frieden erleben. Hinter ihm, in Appalachia, fand er ebensowenig Ruhe. Die Welt war zu nah an ihm, er zu wenig von dieser Welt. Er dachte an Judith, sah sie, wie sie das Wiedergekäute in den Mund nahm. Sie haßt mich, dachte Quellen, oder vielleicht bemitleidet sie mich auch, aber es läuft auf eins hinaus. Sie wird mich nie wiedersehen.
Er wollte nicht in dieser schönen Umgebung bleiben, solange er in einer solchen Stimmung war.
Quellen kehrte zum Stat zurück. Er trat in das Feld und wurde über das Meer hinweg in seine Wohnung zurückgeschleudert. Er ließ den Morgen zurück und geriet in die Faust der Nacht. Er schlief schlecht.
11
Am nächsten Morgen im Büro warteten seine beiden UnterSek mit einem dritten Mann auf ihn, einem hochgewachsenen, linkischen, schäbig gekleideten Burschen mit gebrochener Nase, die schnabelartig aus seinem Gesicht stand. Brogg hatte den Sauerstoff voll aufgedreht, wie Quellen feststellte.
»Wer ist das?« fragte Quellen. »Sie haben eine Festnahme durchgeführt?« Konnte es sein, daß das Lanoy war? Nicht sehr wahrscheinlich. Wie konnte dieser abgerissene Prolet — offenbar zu arm, um sich eine kosmetische Nasenoperation leisten zu können — die Macht sein, die hinter den Springern stand?
»Sagen Sie dem KrimSek, wer Sie sind!« befahl Brogg und stieß den Proleten grob mit dem Ellenbogen an.
»Heiße Brand«, sagte der Prolet mit dünner, klagend hoher Stimme. »Stufe Fünfzehn. Ich hab’s nicht bös gemeint, Sir — es war nur so, daß er mir ein eig’nes Haus versprochen hat und einen Job und frische Luft —«
Brogg schnitt ihm das Wort ab. »Wir sind in einem Trinklokal auf den Mann gestoßen. Er hatte ein, zwei Glas zuviel erwischt und erzählte jedem, daß er bald Arbeit haben würde.«
»Das hat der Mann gesagt«, murmelte Brand. »Sollte ihm nur zweihundert Kred geben, dann würde er mich dahin schicken, wo jeder Arbeit hat. Und ich könnte Geld schicken, damit meine Familie durchkommt.«
»Das kann nicht richtig sein«, meinte Quellen. »Geld zurückschicken? Kontakt den Zeitpfad aufwärts?«
»Das hat er gesagt. Es klang so gut, Sir.«
»Ein Schwindel als Anreiz«, sagte Brogg. »Wenn es hin und her Kontakt gibt, stimmen alle unsere Vermutungen nicht. Aber das kann nicht sein.«
»Wie heißt der Mann?« fragte Quellen.
»Lanoy, Sir.«
Lanoy! Überall Lanoy, Fühler gleichzeitig in alle Richtungen!
»Jemand hat mir das gegeben und gesagt, ich soll mich mit ihm in Verbindung setzen«, brummte Brand. Er hielt ihm einen zerknüllten Minizettel hin. Quellen faltete ihn auseinander und las:
»Die gibt es überall«, sagte Quellen. Er griff in seine Tasche und zog den Streifen heraus, der ihm auf der Flugrampe in die Hand gedrückt worden war. Er trug ihn seit Tagen bei sich wie einen Talisman. Er legte ihn neben den ersten. Sie waren gleich.
»Lanoy hat viele Bekannte von mir hingeschickt«, sagte Brand. »Er sagt, sie hätten alle Arbeit und wären glücklich, Sir —«