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»Hat lange genug gedauert«, sagte Koll, ohne aufzusehen.

Quellen funkelte ihn böse an. Koll war grauhaarig, grauen Gesichts, von grauer Seele. Quellen haßte ihn.

»Verzeihung«, sagte er. »Ich mußte mich umkleiden. Ich war außer Dienst.«

»Was wir auch tun, es wird nichts ändern«, knurrte Spanner, so, als sei niemand hereingekommen und nichts gesprochen worden. »Was passiert ist, ist passiert, und nichts, was wir tun, wird auch nur die geringste Wirkung haben. Verstehen Sie? Am liebsten würde ich alles kurz und klein schlagen! Zerhacken und zerquetschen!«

»Setzen Sie sich, Quellen«, sagte Koll beiläufig. Er wandte sich Spanner zu, einem breitgebauten, korpulenten Mann mit gefurchter Stirn und plumpen Zügen. »Ich dachte, das hätten wir alles schon besprochen«, sagte Koll. »Wenn wir eingreifen, gerät alles durcheinander. Bei ungefähr fünfhundert Jahren, die betroffen sind, verpfuschen wir alles. Soviel steht fest.«

Quellen atmete innerlich auf. Was es auch sein mochte, das sie beschäftigte, sein illegales afrikanisches Versteck war es nicht. So, wie es sich anhörte, sprachen sie von den Zeitspringern. Gut. Er betrachtete seine beiden Vorgesetzten genauer, seit sein Blick nicht mehr von Angst und der Erwartung demütigender Bestrafung getrübt war. Sie stritten offenbar schon geraume Zeit, Koll und Spanner. Koll war der Unergründliche, mit seinem beweglichen Verstand und der nervösen, zuckenden Energie. Aber Spanner besaß mehr Macht. Es hieß, er besitze Verbindungen Höheren, sogar Hohen Orts.

»Also gut, Koll«, brummte Spanner. »Ich will sogar zugeben, daß das die Vergangenheit durcheinanderbringt. Soviel räume ich ein.«

»Immerhin etwas«, sagte der kleine Mann.

»Unterbrechen Sie mich nicht. Ich glaube nach wie vor, daß wir dem Einhalt gebieten müssen. Wir können nicht ungeschehen machen, was geschehen ist, aber wir können es dieses Jahr kappen. Das müssen wir sogar tun.«

Koll funkelte Spanner grimmig an. Quellen konnte erkennen, daß seine Anwesenheit der einzige Grund dafür war, daß Koll den Zorn unterdrückte, der hinter seinen Augen lag. Sie hätten einander beschimpft, wäre nicht der Untergebene Quellen dabeigewesen.

»Warum, Spanner, warum?« fragte Koll halbwegs beherrscht.

»Wenn wir das weiterlaufen lassen, erhalten sie die Dinge in dem Zustand, in dem sie sind. 86 sind viertausend gegangen, 87 neuntausend, 88 fünfzigtausend. Und wenn wir die Zahlen vom vorigen Jahr bekommen, werden es noch höhere sein. Hören Sie — hier steht, daß in den ersten achtzig Jahren mehr als eine Million Springer gekommen ist, und danach stiegen die Zahlen ständig an. Denken Sie an die Bevölkerung, die wir verlieren. Es ist wunderbar. Wir können es uns nicht leisten, diese Leute hier zu belassen, wenn wir eine Gelegenheit haben, sie loszuwerden. Und wenn die Geschichte sagt, daß wir sie losgeworden sind.«

»Die Geschichte sagt auch, daß sie nach 2491 aufgehört haben, zurückzugehen. Das heißt, daß wir sie im nächsten Jahr erwischt haben«, erklärte Spanner. »Ich meine, daß wir sie nächstes Jahr erwischen werden. Das ist so bestimmt. Wir haben keine andere Wahl, als zu gehorchen. Die Vergangenheit ist ein verschlossenes Buch.«

»So?« Koll lachte; es klang beinahe wie ein Bellen. »Und wenn wir keine Lösung finden? Wenn die Springer immer weiter zurückkehren?«

»So ist es aber nicht gekommen. Das wissen wir. Alle Springer, die in die Vergangenheit gelangt sind, kamen aus den Jahren 2486 bis 2491. Das ist festgehalten«, betonte Spanner.

»Man kann Aufzeichnungen fälschen.«

»Die Hohe Regierung wünscht, daß diesem Verkehr Einhalt geboten wird. Warum muß ich mich mit Ihnen streiten, Koll? Wenn Sie der Geschichte trotzen wollen, ist das Ihre Sache. Aber auch Denen? Nein. Diese Wahl haben wir nicht.«

»Aber Millionen von Prolen wegzuschaffen —«

Spanner gab einen Knurrlaut von sich und umklammerte die Minizettel fester. Quellen, der sich vorkam wie ein Eindringling, ließ die Augen zwischen den beiden Männern hin- und herzukken.

»Also gut«, sagte Spanner langsam. »Ich gebe Ihnen recht. Es ist erfreulich, alle diese Proleten zu verlieren. Obwohl es an der Oberfläche so aussieht, daß wir sie nicht mehr viel länger verlieren werden. Sie sagen, wir müssen das weitergehen lassen, sonst verändert das die Vergangenheit. Ich bin entgegengesetzter Ansicht. Aber lassen wir das auf sich beruhen. Ich will nicht darüber streiten, weil Sie Ihrer Sache so sicher zu sein scheinen. Ferner halten Sie es für eine gute Sache, diese Zeitspringer-Geschichte als eine Methode zur Verringerung der Bevölkerungszahlen zu nutzen. Da stimme ich Ihnen ebenfalls zu, Koll. Ich mag die Überfüllung so wenig wie Sie, und ich räume ein, daß die heutigen Zustände ein absurdes Ausmaß erreicht haben. Aber bedenken Sie: Wir werden getäuscht. Daß jemand hinter unserem Rücken ein Zeitreisen-Unternehmen betreibt, ist illegal und unmoralisch und vieles mehr, und man sollte ihm das Handwerk legen. Was meinen Sie, Quellen? Letzten Endes wird das unter die Verantwortung Ihrer Abteilung fallen, wissen Sie.«

Der plötzliche Bezug auf ihn erschreckte Quellen. Er bemühte sich immer noch, bei dieser Debatte die Orientierung zu finden, und war nicht ganz sicher, wovon sie sprachen. Er lächelte schwach und schüttelte den Kopf.

»Keine Meinung?« fragte Koll ätzend.

Quellen sah ihn an. Er war unfähig, direkt in Kolls harte, farblose Augen zu starren und richtete den Blick statt dessen auf die Backenknochen des Büroleiters. Er blieb stumm.

»Keine Meinung, Quellen? Das ist allerdings sehr bedauerlich. Es spricht nicht für Sie.«

Quellen unterdrückte ein Schaudern.

»Ich fürchte, ich habe mich nicht auf dem laufenden gehalten, was die neueste Entwicklung im Fall der Zeitspringer angeht. Wie Sie wissen, war ich sehr beschäftigt mit gewissen Projekten, die —« Er ließ seine Stimme verklingen und kam sich vor wie ein Narr. Meine übereifrigen Mitarbeiter wußten gewiß genau Bescheid, dachte er. Er fragte sich, warum er sich nie die Mühe gemacht hatte, bei Brogg zurückzufragen. Aber wie sollte er alles vorausahnen?

»Ist Ihnen klar, daß seit Anfang des Jahres Tausende von Proleten ins Nichts verschwunden sind, Quellen?« fragte Koll.

»Nein, Sir. Äh, ich meine, natürlich, Sir. Gewiß. Es ist nur so, daß wir im Grunde keine Gelegenheit gehabt haben, etwas zu unternehmen«, sagte Quellen.

Der alberne Klang seiner Stimme entsetzte ihn. Sehr lahm, Quellen, sehr lahm, sagte er zu sich selbst. Natürlich weißt du nichts darüber, wenn du deine ganze freie Zeit in dem hübschen kleinen Versteck jenseits des Ozeans verbringst. Aber Stanley Brogg kennt vermutlich alle Einzelheiten. Brogg ist sehr tüchtig.

»Nun, wohin, glauben Sie denn, sind sie gegangen?« fragte Koll. »Vielleicht glauben Sie, sie wären alle in Stats gesprungen und irgendwohin gegangen, um Arbeit zu suchen. Vielleicht nach Afrika?«

Der Stachel war giftig. Quellen war nahe daran, vor Entsetzen aufzustöhnen, bevor er sich einzureden vermochte, daß Koll ins Blaue zielte. Er verbarg seine Reaktion, so gut er konnte, und erwiderte gleichmütig: »Ich habe keine Ahnung, Sir.«

»Dann haben Sie Ihre Geschichtsbücher nicht richtig gelesen, Quellen. Denken Sie nach, Mann. Was war die wichtigste historische Entwicklung der vergangenen fünfhundert Jahre?«

Quellen überlegte. Was nun? Die Entente? Das Entstehen der Hohen Regierung? Der Zusammenbruch der Nationen? Das Stat? Er haßte die Art und Weise, wie Koll ihn zu einem dummen Schuljungen machen konnte. Quellen wußte, daß er kein Schwachkopf war, selbst wenn er noch so albern wirkte, sobald man ihn tadelte. Er war durchaus tüchtig. Aber im Kern seines Wesens lag seine verwundbare Stelle, sein verborgenes Verbrechen, und das bedeutete, daß er im Innersten Wackelpudding war. Er begann zu schwitzen. Er sagte: »Ich bin nicht sicher, wie ich diese Frage bewerten soll, Sir.«