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»Wo schickt er sie hin?« fragte Quellen leise.

»Weiß nicht, Sir. Lanoy sagt, das erklärt er mir, wenn ich ihm die Zweihundert gebe. Ich hab’ alle Ersparnisse abgehoben. Ich war auf dem Weg zu ihm und wollte nur noch einen kippen, als — als —«

»Als wir ihn fanden«, ergänzte Brogg. »Er erzählte allen Leuten, er gehe zu Lanoy, um Arbeit zu bekommen.«

»Mhm. Wissen Sie, was die Springer sind, Brand?«

»Nein, Sir.«

»Schon gut. Wie wär’s, wenn Sie uns zu Lanoy bringen würden?«

»Das geht nicht. Wär’ nicht gerecht. Alle meine Freunde —«

»Wenn wir Sie nun zwingen?« sagte Quellen.

»Aber er wollte mir Arbeit geben! Ich kann nicht. Bitte, Sir.«

Brogg sah Quellen scharf an.

»Lassen Sie es mich versuchen«, sagte er. »Lanoy wollte Ihnen Arbeit geben, sagen Sie? Für zweihundert Kred?«

»Ja, Sir.«

»Wenn wir Ihnen nun sagen, daß wir Ihnen umsonst Arbeit geben? Es kostet überhaupt nichts. Führen Sie uns zu Lanoy, und wir schicken Sie da hin, wo er sie hinschicken wollte, nur ohne Kosten. Und Ihre Familie schicken wir mit.«

Quellen lächelte. Wenn es um niedrige Proleten ging, war Brogg ein viel besserer Psychologe als er. Das mußte er zugeben.

»Hört sich gut an«, sagte Brand. »Aber mir ist nicht wohl dabei. Lanoy war gut zu mir. Doch wenn Sie sagen, daß Sie mich umsonst schicken —«

»Ganz richtig, Brand.«

»Dann mach ich’s, denk’ ich.«

Quellen zog den Sauerstoffschieber herunter. Brogg gab Leeward ein Zeichen, der Brand hinausführte.

»Gehen wir, bevor er es sich anders überlegt«, sagte Quellen. »Er schwankt offenkundig.«

»Kommen Sie mit, Sir?« fragte Brogg. Sein serviler Ton hatte einen Anflug von Sarkasmus. »Das wird vermutlich ein ziemlich schmutziges Viertel sein. Überall Ungeziefer. Die Unterwelt —«

Quellen zog die Brauen zusammen.

»Sie haben recht«, sagte er. »Ich brauche nicht mitzugehen. Machen Sie beide das. Ich habe hier genug zu tun.«

Sofort, als sie gegangen waren, rief Quellen Koll an.

»Gute Arbeit«, sagte Koll kalt. »Sollten interessante Ermittlungen werden.«

»Ich melde mich sofort, wenn —«

»Lassen Sie sich Zeit. Spanner und ich sprechen über Umstufungen im Amt. Wir möchten in der nächsten Stunde nicht gestört werden.« Er legte auf.

Was hieß das? dachte Quellen. Die Kälte in Kolls Stimme — nun, das war nichts Besonderes, aber doch bedeutsam. Koll hatte ihn die ganze Woche nach Fortschritten in Sachen Springer gedrängt. Jetzt, da endlich Fortschritte erzielt worden waren — seit ein Mann in Haft war, der sie zu dem schwer faßbaren Lanoy führen konnte —, war Koll brüsk gewesen, fast gänzlich uninteressiert. Koll verbirgt etwas, dachte Quellen.

Sein Gewissen drückte ihn. Sofort war der Verdacht wieder da: Koll weiß Bescheid über Afrika. Der Ausflug von gestern nacht ist bemerkt worden, und das war das letzte Beweisstück in der Kette gegen mich. Jetzt bereiten sie die Anklage vor.

Ohne Zweifel war Brogg ein höherer Preis dafür geboten worden, daß er redete, als er von Quellen für sein Schweigen erhalten hatte. Er war zum Meistbietenden übergegangen. Koll wußte jetzt alles. Degradierung würde noch die geringste Strafe für Quellen sein.

Quellens Tat war einzigartig. Seines Wissens war sonst niemand raffiniert genug gewesen, diesen Ausweg aus dem stark übervölkerten Appalachia, dem Kraken von Stadt, ausgebreitet über die ganze östliche Hälfte von Nordamerika, zu finden. Von all den Hunderten von Millionen Einwohnern hatte allein Joseph Quellen, KrimSek, die Schlauheit besessen, ein Stück unbekanntes und unregistriertes Land im Herzen Afrikas zu finden und sich dort ein zweites Heim zu bauen. Das war Anlaß zum Stolz. Er hatte die übliche Wohnkabine in Appalachia und dazu eine Villa Stufe Zwei, außerhalb der Träume der meisten Sterblichen, an einem schlammigen Fluß in Afrika. Das war schön, sehr schön für einen Mann, dessen Seele sich gegen die höllischen Umstände des Lebens in Appalachia auflehnte.

Aber es kostete Geld, die Menschen laufend zu bestechen. Quellen hatte jeden zum Schweigen gebracht, der wissen mochte, daß er, Quellen, ein Luxusleben in Afrika führte, statt in einer drei mal drei Meter großen Zelle in Nordwest-Appalachia zu hausen, wie es sich für einen braven Siebener gehörte. Irgend jemand — gewiß Brogg hatte ihn an Koll verkauft. Und nun stand Quellen auf sehr dünnem Eis.

Eine Degradierung würde ihn sogar des Vorrechts berauben, eine Einzelkabine zu bewohnen, und er würde seine Wohnung wieder mit einem anderen teilen müssen, wie damals mit dem unbeweibten Bruce Marok. Es war nicht so arg gewesen, als Quellen sich noch unter Stufe Zwölf befunden und zuerst in öffentlichen Schlafsälen für Junggesellen und dann mit immer weniger Leuten zusammengewohnt hatte. Aber als er Stufe Acht erreicht hatte und in ein Zimmer mit nur einer anderen Person gesteckt worden war, hatte sich das als die größte Qual erwiesen und Quellen für alle Zeit verbittert.

Auf seine Art war Marok ohne Zweifel ein sehr netter Mensch gewesen, dachte Quellen. Aber er war Quellen auf die Nerven gegangen, hatte ihn mit seiner Schlampigkeit und seinen endlosen Videofongesprächen und seiner ständigen Anwesenheit gemartert. Quellen hatte sich nach dem Tag gesehnt, an dem er Stufe Sieben erreichen und allein leben konnte, nicht mehr mit einem Wohngenossen zusammen, der ihn immerzu behinderte. Dann würde er frei sein — frei, sich vor der nachdrängenden Masse zu verbergen.

Wußte Koll die Wahrheit? Quellen würde es bald erfahren.

Ruhelos ging er durch den hallenden Korridor zum Monitorflügel. Kannst ebensogut feststellen, was sie über Norm herausgebracht haben, dachte er. Das braune Metallportal glitt zur Seite, als Quellen die Handfläche auf die Ausweisplatte drückte. Er ging hinein. Überall summten Geräte. Techniker begrüßten ihn unterwürfig. In der Luft hing ein Geruch nach einer antiseptischen Chemikalie, wie in einem Krankenhaus.

»Der Pomrath-Monitorspeicher«, sagte Quellen.

»Hier entlang, KrimSek.«

»Wer ist dort tätig?«

»Er läuft auf Automatik, Sir. Hier.« Der Mann zog einen Pneumosessel heraus. Quellen setzte sich an die rotierenden Spulen eines Tonbandgeräts. Der Techniker sagte: »Möchten Sie zuerst Echtzeit-Anschluß oder erst durchgehen, was seit gestern abend aufgezeichnet worden ist?«

»Von beidem etwas«, sagte Quellen.

»Das ist der Echtzeit-Anschluß, und hier —«

»Ich weiß. Ich kenne mich mit dem Gerät aus.«

Der Techniker wurde rot und eilte davon. Quellen stellte den Echtzeit-Anschluß her und schaltete schlagartig wieder aus. Sein Schwager übte natürliche Körperfunktionen aus. Quellen biß sich auf die Unterlippe. Mit einer hastigen, eckigen Bewegung ließ er die Reservespulen laufen und hörte ab, was Norm Pomrath getrieben hatte, seit Brogg ihn überwachen ließ.

Quellen konnte sich natürlich keinen direkten Ablauf leisten. Er mußte auswählen. Er überflog das Band und fand bemerkenswertwenig Gespräche. Pomrath war gestern abend in einem Schnüffellokal gewesen. Dann war er heimgegangen. Er hatte mit Helaine gestritten. Quellen lauschte.

POMRATH: Ist mir völlig egal. Ich brauche Entspannung.

HELAINE: Aber wir haben mit dem Essen auf dich gewartet. Und du kommst vollgepumpt mit Drogen daher. Du hast nicht einmal Appetit.

POMRATH: Na und? Ich bin hier. Her mit dem Essen! Du programmierst, ich esse!

So ging es weiter, alles unerbittlicher Alltag und schrecklich langweilig. Quellen ließ fünfzehn Minuten vorlaufen und stellte fest, daß der Streit immer noch weiterging, untermalt jetzt vom Schluchzen seines Neffen und den verärgerten Kommentaren der kleinen Marina. Es quälte Quellen, daß die Familienstreitigkeiten der Pomraths so alltäglich waren. Er ließ etwas vorlaufen. Das Ohr hatte andere Laute aufgefangen. Schweres Atmen.