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Für Quellen war es eine bedrückende Nacht gewesen. Er wußte natürlich, daß Norm Pomrath sich in die Vergangenheit abgesetzt hatte. Er hatte, angeschlossen an die Echtzeit-Schaltung, hilflos zugehört, als Pomrath und Lanoy das Ganze besprochen hatten und zu einer Einigung gekommen waren. Pomrath hatte an Ort und Stelle bezahlt — womit die Familienersparnisse praktisch aufgebraucht waren — und war auf die Platte getreten, um ins Jahr 2050 gestoßen zu werden. An diesem Punkt hatte die Übermittlung durch das Ohr aufgehört. Das Ohr war ein empfindliches Gerät, aber über einen Zeitabgrund hinweg konnte es nicht senden.

Helaines steinernes Gesicht hatte ihn noch mehr bedrückt. Sie gab ihm die Schuld an den Ereignissen, wie Quellen wußte, und sie würde ihm nie wirklich verzeihen. Er hatte also seine Schwester verloren, seine einzige Verwandte. Und auch Judith war für ihn verloren. Seit dem Fiasko bei der Gemeinschaftserbrech-Kommunion hatte sie sich geweigert, Anrufe von ihm anzunehmen. Er wußte, daß er sie nie wiedersehen würde. Die schlanke, nackte Gestalt im Aufsprühkleid drehte sich wollüstig in Quellens Träumen und weckte ihn oft.

Der einzige Trost in einer durchweg düsteren Lage war die Tatsache, daß Lanoy gefunden und festgenommen worden war. Das hieß, daß der Druck auf das Amt bald nachlassen würde. Da der Springerring zerschlagen war, konnte das Leben wieder seinen normalen Lauf nehmen, und Quellen würde wieder in der Lage sein, einen Großteil seiner Zeit in Afrika zu verbringen. Es sei denn, Brogg hatte ihn wirklich verraten. Quellen hatte nicht mehr daran gedacht. Kolls unfreundlicher Tonfall gestern — bedeutete er, daß seine eigene Verhaftung bevorstand, sobald der Fall Lanoy abgewickelt war?

Quellen erhielt die Antwort darauf kurz vor Mitternacht, als Koll anrief. Für Koll war immer Dienst.

»Ich habe mich eben im Amt erkundigt«, sagte Koll. »Ich höre, daß Sie den Halunken gefaßt haben.«

»Ja. Er wurde gegen Achtzehn oder Neunzehn gebracht. Brogg und Leeward hatten ihn aufgespürt. Sie haben ihn in den Gewahrsamstank gesteckt. Ich verhöre ihn am Morgen.«

»Gut gemacht«, sagte Koll, und Quellen sah um die Lippen des kleinen Mannes den Anflug eines echten Lächelns. »Das paßt gut zu der Personalbesprechung, die Spanner und ich heute nachmittag hatten. Ich habe eben einen Beförderungsantrag für Sie gestellt. Es erscheint ungerecht, den KrimSek in einer Wohnung Stufe Sieben hausen zu lassen, wenn ihm mindestens Sechs zusteht, finden Sie nicht? Sie werden sich Spanner und mir in Ihrem höheren Rang bald anschließen. Das wird Ihre Stellung im Amt selbst natürlich nicht beeinflussen, aber ich dachte, es würde Ihnen Freude machen.«

Quellen war erfreut. Und erleichtert. Er weiß also doch nichts von Afrika. Das war nur mein Schuldbewußtsein, dem ich die Ängste zu verdanken hatte. Dann kam eine neue Sorge. Wie sollte er das illegale Stat in eine neue Unterkunft schaffen, ohne entdeckt zu werden? Es war schon schwer genug gewesen, die Maschine hier einbauen zu lassen. Vielleicht lockte Koll ihn nur tiefer in eine Falle. Quellen preßte die Hände an die Schläfen und fröstelte, wartete auf den Morgen — und auf Lanoy.

»Sie geben zu, Menschen in die Vergangenheit geschickt zu haben?« fragte Quellen scharf.

»Gewiß«, sagte der kleine Mann keck. Quellen starrte ihn an und spürte ein unerklärliches Zornpochen in seinem Schädel. Wie konnte der Kerl so gelassen sein. »Gewiß«, sagte Lanoy. »Ich schicke Sie für zweihundert Kred zurück.«

Leeward stand breit und hochragend hinter dem kleinen Mann, und Quellen saß ihm am Tisch gegenüber. Brogg war heute nicht gekommen. Koll und Spanner hörten in ihrem eigenen Büro nebenan mit. Der Verbrecher wirkte wächsern nach seiner Nacht im Gewahrsamstank, verriet aber trotzdem Würde.

»Sie sind Lanoy?« zischte Quellen.

»So heiße ich.« Er war ein kleiner, dunkelhaariger, angespannter, wieseliger Mann, dessen schmale Lippen ständig in Bewegung waren. »Sicher, ich bin Lanoy.« Der kleine Kerl strahlte zuversichtliche Herzlichkeit aus. Er gewann von Minute zu Minute an Kraft. Er hatte jetzt die Beine übereinandergeschlagen und den Kopf zurückgelegt.

»War ziemlich übel, wie Ihre Leute mich aufgespürt haben«, sagte Lanoy. »Schlimm genug, daß Sie den armen, dummen Proleten übertölpelt haben, Sie zu mir zu führen, aber Sie hätten mich nicht auch noch in den Tank zu stecken brauchen. Die Nacht war scheußlich. Ich tue nichts Illegales, wissen Sie. Ich sollte Sie verklagen.«

»Nichts Illegales? Sie bringen die vergangenen fünfhundert Jahre durcheinander!«

»Keine Rede«, sagte Lanoy ruhig. »Das stimmt überhaupt nicht. Sie sind schon durcheinandergebracht worden. Das ist alles aufgezeichnet, wissen Sie. Ich sorge nur dafür, daß die vergangene Geschichte so stattfindet, wie sie stattgefunden hat, wenn Sie mich verstehen. Ich bin ein öffentlicher Wohltäter. Was wäre, wenn ich die Aufzeichnungen nicht wahr werden ließe?«

Quellen starrte den arroganten Kerl finster an. Er wollte auf und ab gehen, stellte fest, daß er in dem winzigen Büro nicht genug Platz hatte, und setzte sich lahm an seinen Schreibtisch. Er fühlte sich in Gegenwart des Kerls seltsam hilflos. Der Mann strahlte Macht aus.

»Sie geben zu, daß Sie Proleten als Springer zurückschicken?« sagte er. »Warum?«

Lanoy lächelte.

»Um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das werden Sie doch verstehen? Ich verfüge über ein sehr wertvolles Verfahren und möchte damit herausholen, was ich kann.«

»Sind Sie der Erfinder des Zeitreise-Verfahrens?«

»Das behaupte ich nicht. Aber darauf kommt es auch nicht an«, erklärte Lanoy. »Ich verfüge darüber.«

»Wenn Sie Ihre Maschine zum Geldverdienen benützen wollen, warum gehen Sie nicht einfach in der Zeit zurück und stehlen oder wetten auf Gliederfüßer, um Ihren Unterhalt zu bestreiten? Warum kassieren Sie nicht rasch beim Ausgang eines Rennens ab, über das Unterlagen vorhanden sind, und kommen wieder her?«

»Das könnte ich tun«, gab Lanoy zu. »Aber das Verfahren ist nicht umkehrbar, und ich könnte mit meinem Gewinn nicht wieder in die Gegenwart zurückkehren. Oder mit Gestohlenem. Und mir gefällt es hier, danke schön.«

Quellen kratzte sich am Kopf. Es gefiel ihm hier? Es erschien unfaßbar, daß es jemandem hier gefallen konnte, aber Lanoy meinte es offenbar ernst. Einer dieser perversen Ästhetiker, ohne Zweifel, dem noch ein Misthaufen als schön erschien.

Er sagte: »Hören Sie, Lanoy, ich will völlig offen mit Ihnen reden. Sie haben sich strafbar gemacht, weil Sie dieses Unternehmen ohne Zustimmung der Hohen Regierung betreiben. Kloofman hat Ihre Verhaftung angeordnet. Ich bin nicht bereit, mitzuteilen, was für eine Strafe Sie bekommen werden, aber das könnte hinaufreichen bis zur völligen Persönlichkeitslöschung, je nach Ihrer Einstellung. Sie haben aber eine Wahlmöglichkeit. Die Hohe Regierung wünscht über Ihre Zeitreisemaschine zu bestimmen. Übergeben Sie das meinen Leuten — nicht nur das Gerät, Sie verstehen, sondern auch die Methode. Ihre Mitarbeit wird sich strafmildernd auswirken.«

»Bedaure«, sagte Lanoy. »Die Maschine ist Privatbesitz. Sie haben keinen Anspruch darauf.«

»Die Gerichte —«

»Ich tue nichts Verbotenes, also brauche ich mir über eine Strafe nicht den Kopf zu zerbrechen. Und ich weigere mich, Ihre Jurisdiktion anzuerkennen. Die Antwort ist: nein.«

Quellen dachte an den Druck, der von Koll und Spanner und sogar von Kloofman auf ihn ausgeübt wurde, diesen Fall abzuschließen. Er wurde gleichzeitig zornig und ängstlich. Er stieß hervor: »Wenn ich mit Ihnen fertig bin, Lanoy, werden Sie sich wünschen, Sie hätten Ihre eigene Maschine benützt, um eine Million Jahre zurückzugehen. Wir können Mitarbeit erzwingen. Wir können Sülze aus Ihnen machen.«

Lanoys kühles Lächeln geriet nicht ins Schwanken. Seine Stimme klang gelassen, als er sagte: »Na, kommen Sie, KrimSek. Sie fangen an, die Beherrschung zu verlieren, und das ist immer gegen die Logik. Um nicht zu sagen, gefährlich.«